Leseprobe
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Die strenge Disziplin, der sich nicht nur die Besatzung, sondern auch alle Passagiere auf der 'Sphinx', einem Kriegsschiff Seiner Britannischen Majestät, zu unterwerfen gehabt hatten, lockerte sich, seit Land in Sicht gekommen war. Das Wetter zeigte sich freundlich. Der Wind hatte auf Südwest bis Süd gedreht und brachte warme Luft heran, die nach Land roch, unverkennbar nach Land.
Die Frauen des niederen Decks sperrten sich nicht mehr ängstlich ab; sie suchten die Gemeinschaft ihrer Männer, mochte auch manch anderes Mannsbild neidische Blicke werfen. Und auf dem Oberdeck machten sich die wenigen Damen so schön wie möglich und genossen die Huldigungen der jungen Herren, die sich durchaus nicht genierten, den Ehegatten nach bester Kavaliersmanier den Rang abzulaufen.
Der Kapitän des Schiffes sagte zu Cornwallis: »Es wird Zeit, dass wir unser Ziel erreichen, Sir! Keiner ist mehr seekrank. Wenn Sie Ihre Leute in Chebucto an Land gesetzt haben, wird es so viel zu tun geben, dass aller Welt der Übermut vergehen sollte. Wenn nur die Transporter mit der Hauptmasse der Neusiedler nicht allzu lange auf sich warten lassen!«
Cornwallis erwiderte nachdenklich: »Sie haben recht, Kapitän. Es werden an die dreitausend Leute sein auf den dreizehn Transportschiffen. Die habe ich in den vier Monaten, die mir vor der Kälte noch verbleiben, unter Dach und Fach zu bringen, eine nicht sehr aussichtsvolle Aufgabe.« Er seufzte und sah in diesem Augenblick viel älter aus, als er war.
Außer den beiden an erster Stelle Verantwortlichen war jedermann an Bord der 'Sphinx' von Gefühlen der Erleichterung und auch Hoffnungsfreude beherrscht. Niemand war auf der langen Seereise ernsthaft zu Schaden gekommen. Das 'Schiffsfieber' hatte sich nicht durch die im Seegang knarrenden Räume geschlichen, um seinen schrecklichen Zoll einzufordern. Auch wurde ruchbar, dass die beiden Männer, die man an Bord genommen hatte, mit dem Auftrag nach Louisbourg unterwegs waren, die dortige englische Besatzung nach Chebucto zu geleiten, sobald die Franzosen die ihnen im Frieden von Aachen erneut zugesprochene Seefestung wieder übernehmen würden.
Es war also von London aus gut vorgesorgt worden. Man würde in Chebucto nicht ohne militärischen Schutz bleiben, würde den Indianern oder brandschatzenden Piraten nicht hilflos ausgeliefert sein. Weder Anke noch Walther, noch eigentlich alle anderen an Bord, Cornwallis eingeschlossen, vermochten sich von den 'Indianern' eine lebendige Vorstellung zu machen. Nur eines war bekannt: Die Indianer standen alle auf der Seite der Franzosen; jedes nicht französische, nicht katholische Bleichgesicht schlugen sie tot, wo sie seiner habhaft werden konnten, und schnitten ihm, ob Mann, ob Weib, ob Kind, die Kopfhaut samt den Haaren vom Schädel. Die Franzosen, so hieß es, zahlten den Indianern für jeden 'Skalp' eines Engländers fünf blanke Louisdor!
Die 'Sphinx' war, wenn sie die 'Chebucto' genannte Bucht erreichen wollte, schon zu weit nach Süden vorgedrungen.
Die Lotsen brachten das Schiff zunächst dicht unter Land, um zu sehen, wo man sich befand. Eine Bucht öffnete sich, von Inseln und Landzungen vorzüglich gegen die hohe See geschützt. Vorsichtig tastete sich die 'Sphinx' hinein. Der Kapitän ließ den Anker fallen. Die Lotsen waren sich nicht darüber im Klaren, ob dies schon die gesuchte Bucht von Chebucto wäre. Während sie sich noch mit Cornwallis und dem Kapitän im Kartenraum des Schiffes berieten, bat Herr von Hestergart um die Erlaubnis, eintreten zu dürfen. Sie wurde gewährt, Hestergart gehörte ja zum engsten Stabe von Cornwallis. Er meldete - und die Erregung war ihm anzumerken -, dass sein Mann, der dienstverpflichtete Walther Corssen, über dem Südufer des Hafens Rauch in der Luft beobachtet habe, wie von einem Herdfeuer. Auch seien für kurze Zeit zwei Kühe aus dem Wald am Südufer hervorgetreten, hätten das Wunder des Schiffes für eine Weile angeglotzt und seien dann wi