Fast zehn Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist Antidiskriminierungspolitik in Deutschland immer noch ein Nischenthema. Das gilt trotz der von Politik und Öffentlichkeit jetzt akzeptierten Feststellung, dass es für eine erfolgreiche Migrationspolitik auch einer neuen Willkommenskultur bedarf. In den Studien, die sich mit der deutschen Einwanderungsgesellschaft befassen, steht oft der Aspekt der Integration im Vordergrund. Fragen der Diskriminierung werden dagegen nur nebenbei behandelt, obwohl die Teilhabegerechtigkeit für Migranten und ihre Nachkommen ein zentrales Element für den Erfolg von Einwanderungsgesellschaften ist. Nur so können langfristige soziale Spannungen und Entfremdungstendenzen innerhalb der Gesamtbevölkerung verhindert werden. Aber genügt die deutsche Antidiskriminierungspolitik diesem Anspruch? Die vorliegende Studie stellt die Erkenntnisse zur deutschen Antidiskriminierungspolitik im Bereich Herkunft und Religion dar, aber auch ihre Lücken und Probleme. Durch einen internationalen Vergleich werden konkrete Änderungsvorschläge für eine gute Antidiskriminierungspolitik abgeleitet.

Leseprobe
1 Diskriminierungsrealitäten in der Einwanderungsgesellschaft

Fast zehn Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) existiert eine Fülle von rechts- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen, die sich mit unterschiedlichen Aspekten von Antidiskriminierungspolitik beschäftigen. In vielen Studien, die sich mit der deutschen Einwanderungsgesellschaft befassen, steht der Aspekt der Integration im Vordergrund - Fragen der Diskriminierung werden nur nebenbei behandelt. Während sich rechtswissenschaftliche Untersuchungen in der Regel mit der Interpretation einzelner Normtexte befassen, ohne dabei die Rechtswirklichkeit in den Blick zu nehmen, weisen sozialwissenschaftliche Studien häufig eine gewisse "Rechtsferne" auf. In jedem Fall fehlt es bisher an dem Versuch, die an verschiedenen Stellen ausgemachten Lücken und Probleme der deutschen Antidiskriminierungspolitik zu systematisieren und daraus die notwendigen Schlüsse für eine gute, zumindest bessere Politik zu ziehen.

Die vorliegende Expertise hat den Anspruch, die wesentlichen rechtsdogmatischen und rechtstatsächlichen Erkenntnisse zum Stand der deutschen Antidiskriminierungspolitik im Kontext der Diskriminierungsdimensionen Einwanderung, Rassismus und Religion so zusammenzuführen, dass sich daraus konkrete Änderungsvorschläge ableiten lassen. Ausgehend von den Diskriminierungsrealitäten in der Einwanderungsgesellschaft, die in Bezug auf Diskriminierungskategorien und Lebensbereiche nachgezeichnet werden, geht es um die verschiedenen Wirkungsweisen von Diskriminierungen und es wird aufgezeigt, wie eine inklusive Politik zu mehr Teilhabegerechtigkeit führen kann.

Genügt die deutsche Antidiskriminierungspolitik diesem Anspruch? Zur Beantwortung dieser Frage wird zunächst das geltende Antidiskriminierungsrecht auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene skizziert. Diesem normativen Anspruch werden die faktischen Erfahrungen gegenübergestellt, die insbesondere von Diskriminierung Betroffene mit diesem Recht gesammelt haben. Lösungsansätze für die dabei zutage tretenden Probleme lassen sich in anderen Rechtskreisen finden: in Schweden, Nordirland, Großbritannien, Kanada und den USA. Die dort identifizierten "guten Beispiele" werden abschließend auf die deutsche Rechtsordnung übertragen und münden in Reformvorschläge und Handlungsempfehlungen für die deutsche Antidiskriminierungspolitik.
1.1 Relevante Diskriminierungskategorien

Zur Beschreibung der Diskriminierungsrealitäten in der deutschen Einwanderungsgesellschaft werden im politischen und juristischen Diskurs keine einheitlichen Begriffe und Kategorien verwendet.

In einem Land mit jahrhundertelanger Einwanderungsgeschichte sind Diskriminierungsrealitäten historisch spezifisch geprägt. Prägend für Deutschland waren insbesondere der deutsche Kolonialismus, der Nationalsozialismus, die Arbeitsmigration in die DDR und die Bundesrepublik, internationale politische und ökonomische Fluchtgründe, der internationale Antiterrordiskurs nach dem 11. September 2001 sowie die wirtschaftliche Krise in Süd- und Südosteuropa. Daraus ergeben sich besondere Diskriminierungsrisiken für People of Color (unabhängig von Staatsangehörigkeit und Aufenthaltsstatus 1 ), Sinti und Roma (verschärft durch aufenthaltsrechtliche Status und Diskurse), Juden und Jüdinnen, Menschen aus türkischen und arabischen Einwanderungsfamilien, Muslime und Muslimas. All diese Diskriminierungsrealitäten lassen sich im Einzelfall nicht immer sauber unter die juristischen Kategorien des Antidiskriminierungsrechts subsumieren. In diesen Regelwerken verweisen die Kategorien "Rasse" (= rassistische Diskriminierung), "ethnische Herkunft" und "Religion" auf Diskriminierungsrealitäten im Kontext der Einwanderungsgesellschaft.

Antimuslimischer Rassismus und Antisemitismus z. B. zeichnen sich durch die Übersch
Titel
Antidiskriminierungspolitik in der deutschen Einwanderungsgesellschaft
Untertitel
Stand, Defizite, Empfehlungen
EAN
9783867937221
ISBN
978-3-86793-722-1
Format
E-Book (epub)
Veröffentlichung
14.12.2015
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
1.01 MB
Anzahl Seiten
118
Jahr
2015
Untertitel
Deutsch
Auflage
1. Auflage
Lesemotiv