ist studierter Jurist und verfolgt zeitgeschichtliche Entwicklungen, über die er neben seiner Physik-Kolumne beim Nachrichtenportal Telepolis ebenfalls schreibt. Sein Hintergrund als Neurowissenschaftler erlaubt ihm einen besonders fundierten Blick auf Probleme, die die Welt heute dem menschlichen Verstand stellt. Sein wissenschaftskritisches Buch 'Vom Urknall zum Durchknall' (Springer Verlag) wurde als 'Wissenschaftsbuch des Jahres' gekürt.
Autorentext
ist studierter Jurist und verfolgt zeitgeschichtliche Entwicklungen, über die er neben seiner Physik-Kolumne beim Nachrichtenportal Telepolis ebenfalls schreibt. Sein Hintergrund als Neurowissenschaftler erlaubt ihm einen besonders fundierten Blick auf Probleme, die die Welt heute dem menschlichen Verstand stellt. Sein wissenschaftskritisches Buch "Vom Urknall zum Durchknall" (Springer Verlag) wurde als "Wissenschaftsbuch des Jahres" gekürt.
Leseprobe
Nachrichtenflut -Die Überreizung unserer Gehirne
Millionen Nervenzellen feuern, sobald wir die Augen öffnen. Von der Netzhaut ausgehend verbreiten sich diese Signale zu den etwa hundert Milliarden Zellen im ganzen Gehirn. Dennoch ist das meiste der aus elektrischen Strömen bestehenden Information für immer verloren. Nur ein verschwindend geringer Teil wird chemisch in Synapsen gespeichert, jenen Verbindungspunkten zu anderen Nervenzellen, von denen jede Zelle über mehrere Tausend verfügt.
Das Bildgedächtnis spielte eine überragende Rolle in der Evolution. Die damit verbundene Fähigkeit, dreidimensionale Bewegungsabläufe im Gehirn zu simulieren, war wohl entscheidend dafür, dass wir unter den Tierarten auf der Erde heute eine herausragende Rolle einnehmen. Es ist das Gehirn, was uns zu Menschen macht. Nur aufgrund seiner besonderen Eigenschaften haben sich unsere Intelligenz und schließlich die Zivilisation entwickelt.
Auch der größte Teil dieser Kurzzeitspeicherung ist vorübergehend, und nur die allerwichtigste Information, abhängig von unserer Aufmerksamkeit und unserem emotionalen Zustand, bleibt als Langzeitgedächtnis erhalten, das erstaunliche Erinnerungsleistungen über Jahrzehnte hinweg vollbringt. Wir empfinden unser Gedächtnis wie ein Videoarchiv unseres bisherigen Lebens, obwohl die biologische Speicherfähigkeit gerade einmal für ein paar Wochen reichen würde. Dem Schutz vor »Überschreiben« von Gedächtnisinhalten dient unter anderem der hierarchische Aufbau des Gehirns, zu dem physiologisch schon die Netzhaut gehört. Ein raffinierter Mechanismus von Augenbewegungen sorgt dafür, dass wir unseren Blick auf das Wesentliche richten, vieles wird unbewusst ergänzt, sodass ein großer Teil unseres Gesichtsfeldes überhaupt nur aus einer Illusion besteht.
Das Gehirn und sein dominierender Kanal, das Sehen, sind ein fantastisches, aber auch filigranes System der Informationsverarbeitung. Es birgt unser gesamtes Wissen, unsere wertvollsten Erinnerungen und charakterisiert uns als Individuum. Angesichts dessen ist es doch gelinde gesagt erstaunlich, wie wenig wählerisch und in welchen Mengen wir heute Information aufnehmen. Das gilt erst recht, weil das Gehirn gar nicht anders kann, als zu lernen, auch bei sogenannter Unterhaltung. Mehr als wir wollen, sind wir das Produkt dessen, was wir wahrnehmen.
Mentale FehlernährungWelche Auswirkungen die moderne Informationsgesellschaft auf unsere Art hat, ist uns wohl kaum bewusst. Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte hatte unser Gehirn nur wenige Bilder der vertrauten Umgebung zu verarbeiten, selbst Schrift musste erst mühsam erlernt werden. Die möglichen Folgen des exzessiven Konsums von Fernsehen, Computerspielen und digitalen Medien sind eigentlich offensichtlich, werden aber selten thematisiert.I Vor allem müssen uns dabei die noch sehr formbaren Gehirne von Kindern und Jugendlichen beunruhigen, insbesondere weil sich die Folgen für die Gesellschaft erst eine Generation später zeigen. Wenn man zappelige Achtjährige beobachtet, die stundenlang nicht von ihrem Display lassen können, gerät man ins Grübeln. Langfristig könnte das zu einem Suchtverhalten wie bei Alkohol oder anderen Drogen führen.
Obwohl bei vielen Computerspielen nur primitive Reaktionsmuster gelernt werden, verbrauchen sie trotzdem mentale Ressourcen. Wenn ein Jugendlicher auf diese Weise den Abend vor dem Bildschirm verbracht hat und am nächsten Morgen beim Lernen entsprechend unmotiviert ist, sollte dies ebenso wenig verwundern wie Appetitlosigkeit nach einem Eimer von Kartoffelchips. Viele Jugendliche kommen heute in den Genuss von beidem. Wie im Fall von Tabak wird der Konsum von einer Lobby gefördert, und die Folgen sind wohl von niemandem vorhersehbar. Ganz allgemein erinnert aber der leichtfertige Umgang mit unserem Gedächtnis an die unbedachte Verschmutzung der Umwelt zu