Der 1913 veröffentlichten Roman »Der Ingenieur Menni« ist quasi ein Prequel zu seiner fünf Jahre zuvor veröffentlichten Gesellschaftsutopie »Der rote Planet«. Mit dem Roman kehrt Alexander A. Bogdanov noch einmal zum Mars zurück. FiktiverErzähler der Geschichte ist der Revolutionär Leonid Protagonist in »Der rote Planet«, der nun jene Vorgeschichte berichtet, die einst während des Baus der Großen Kanäle zum Entstehen der kommunistischen Bewegung auf dem Mars führte. Zugleich dient Bogdanow die Romanhandlung zur Darlegung seiner Vorstellung einer »organisierten Wissenschaft«, die er später in seinem theoretischen Werk »Tektologie« ausführlich darlegen sollte. Von Lenin heftig kritisiert verschwand der Roman in den 20er Jahren aus dem Buchhandel und konnte in Russland erst 60 Jahre später wieder aufgelegt werden. Bogdanow war zweiter Mann in der von Lenin geführten Bolschewistischen Partei. Nach dem Scheitern der ersten russischen Revolution unternahm der Arzt, Philosoph und Politiker in phantastischer Form ein erstaunlich weitsichtiges Denkabenteuer: Nach der Perspektive der russischen Revolution und des Weltsozialismus wird gefragt, indem die irdische realgeschichtliche Entwicklung mit einem idealen Mars-Kommunismus konfrontiert wird.
Leseprobe
Die offizielle Beratung über den Kanalbau durch Westlibyen wurde im Winter 1667 nach Erdenrechnung im Ministerium für Gesellschaftliche Arbeiten einberufen. Unter den Hunderten Teilnehmern befanden sich Vertreter der wichtigsten Bankkartelle, aber auch besonders interessierter Industrietrusts und großer Privatunternehmen, eine ganze Reihe bekannter Wissenschaftler und hervorragender Ingenieure, Deputierte des Parlaments und Regierungsabgeordnete. Der Minister eröffnete die Versammlung mit einer kurzen Rede, in der er das Ziel darlegte. »Sie alle«, begann er, »sind mit dem Projekt des Ingenieurs Menni Aldo in den Grundzügen bereits vertraut, kennen sein ausgezeichnetes Buch >Die Zukunft der Libyschen Wüste« Gesellschaft und Parlament bringen diesem Projekt große Aufmerksamkeit entgegen; davon zeugt Ihre Anwesenheit hier. Auf Vorschlag der Zentralregierung wird der Autor selbst uns heute einen Vortrag halten, in dem er die technische und die finanzielle Seite der Angelegenheit detailliert darlegt. Die Regierung baut auf Ihre hohe Kompetenz, sie misst Ihrer Meinung und Ihren Ratschlägen große Bedeutung bei. Es wäre sehr begrüßenswert, käme der Kongress in seiner Gesamtheit zu einer prinzipiellen Entscheidung für oder gegen das Projekt. Denn es geht ja nicht nur um das friedliche Erkämpfen neuen Landes für die Menschheit, sondern auch um Kosten, die auf ein bis zwei Milliarden veranschlagt wurden.« Danach erteilte er dem Referenten das Wort. Zunächst beschrieb Menni komprimiert und genau, mit Zahlen und Skizzen, die sogleich auf eine Leinwand projiziert wurden, das Geländerelief. »Ich selbst«, sagte er, »habe mit meinen Helfern eine neue Vermessung des Libyschen Beckens von Süd nach Nord und von Ost nach West durchgeführt: Die Angaben früherer Reisender waren ungenau und unvollständig. Eine Fläche von mehr als sechshunderttausend Quadratkilometern ist von allen Seiten durch Berge begrenzt, die so hoch sind, dass sie keine Regenwolken passieren lassen. Im Süden und Westen reichen diese Berge ziemlich dicht an den Ozean heran, im Norden und Osten aber beginnen jenseitig andere Wüsten. Früher war dieses Becken eine Meeressenke, doch da der Meeresspiegel stark sank, wurde die Verbindung zum Ozean unterbrochen, und die Senke trocknete aus. Noch heute freilich befindet sich ihr zentraler Teil, wie Sie aus den Querschnittsskizzen ersehen können, fünfzig bis zweihundert Meter unter der Meeresoberfläche, stellenweise sogar bis dreihundert Meter. Diese Fläche von etwa fünfzigtausend Quadratkilometern würde erneut überflutet, gelänge es uns, sie wieder mit dem Ozean zu verbinden. Dadurch würde sich das gesamte Klima des Landes entscheidend verändern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es dort nur hoffnungslos trockene Wüste, mit einer Sandfläche, die in ihrer oberen Schicht tödlicher, Lungen und Augen verbrennender Staub geworden ist. Es gibt keine Oasen, an denen Reisende verschnaufen könnten. In den letzten hundert Jahren sind von acht Expeditionen, die in die Tiefe der Wüste vordrangen, zwei überhaupt nicht zurückgekehrt, die anderen haben einen Teil ihrer Mitglieder verloren. Unsere Expedition war besser als alle vorangegangenen ausgerüstet, hat allerdings auch bedeutend länger durchgehalten. Doch ist nur die Hälfte von uns zurückgekommen, und alle außer mir waren ernstlich krank. Besonders schwer wogen die Nervenerkrankungen, hervorgerufen durch die Eintönigkeit der Gegend und das Fehlen jeglicher Geräusche. Ein regelrechtes Reich des Schweigens. Wenn es gelingt, in Libyen ein Binnenmeer zu schaffen,wird sich das Land grundsätzlich verändern. Die Feuchtigkeit, die bei tropischer Sonne über der Oberfläche dieses Meeres durch Verdunstung entsteht, wird von den Bergen rings um das Becken aufgehalten werden und in Form von Bächen und Flüsschen wieder zurückströmen, was keine übermäßige, doch eine ausreichende Bewässerung garantiert. Der Wüstengrund enthält nach unserer Analyse im Überfluss Salze, die für das Pflanzenwachstum unentbehrlich sind, und das Wasser würde ihn mit einem Schlage fruchtbar machen. Die Landwirtschaft, würde sie wissenschaftlich betrieben, könnte bis zu zwanzig Millionen Menschen ernähren - die Gesamtbevölkerung unseres Planeten beträgt gegenwärtig dreihundert Millionen. Natürlich wären für eine solche Kolonisation mehrere Dutzend Jahre notwendig. Doch nach Entstehen des Binnenmeeres würde sehr schnell ein leichter Zugang zu den nördlichen und östlichen Bergen Libyens möglich, wo die gigantischen Mineralreichtümer lagern. Dort wurden schon früher ganze Felsen besten Magneteisenerzes entdeckt und ausgedehnte Steinkohlenflöze, die in den Spalten und Verschiebungen geologischer Formationen zutagetreten. Wir haben Muster von Silberbleierz mitgebracht, die nach Meinung von Spezialisten zu den besten in der Welt zählen, aber auch Proben von Quecksilber, und sogar Uranerz. Wir haben ein Gebiet gefunden, wo es natürliches Platin gibt und wertvolles Edelmetall. Es besteht auch keinerlei Zweifel, dass wir längst nicht alles, sondern nur einen unbedeutenden Teil gesehen haben - zu kurz war die Zeit, die wir zur Verfügung hatten, zu beschränkt unsre Kraft.« Danach ging Menni zu Fragen über, die den Kanal direkt betrafen. Die Wahl des Anlageortes bereitete keinerlei Schwierigkeiten, gab es doch nur einen einzigen geeigneten Punkt: den nämlich, wo das Becken am weitesten an die Ostküste heranreichte und wo sich das Gebirgsmassiv bis auf einige Kilometer verengte. »Hier«, sagte Menni, »wird die Gesamtlänge des Kanals keine siebzig Kilometer überschreiten, und wir besitzen Schiffahrtskanäle, die zwei- bis dreimal länger sind. Das Problem ist nur, das Binnenmeer zu füllen und den Wasserstand zu halten. Ein gewöhnlicher Kanal würde im Wüstensand einfach versickern. Die Berechnungen haben ergeben, dass er hier fünfmal so breit und dreimal so tief sein muss wie sonst üblich. Ein Teil von ihm, ungefähr ein Drittel, muss über Felsengrund geführt werden, das Entscheidende aber - wir müssen einen Gebirgspass durchtrennen. Wir werden eine gigantische Masse von Kalkgestein zu sprengen haben und in größerer Tiefe sogar Granit, der die Basis der Gebirgskette bildet. Dazu ist etwa eine halbe Million Tonnen Dynamit nötig. An die zweihunderttausend Arbeitskräfte werden nach voraussichtlichen Schätzungen gebraucht, und das für vier Jahre bei Verwendung bester und teuerster Maschinen.« Im weiteren legte Menni den Finanzplan des Projekts dar. Die Gesamtsumme, wenn man überall die maximalen Ausgaben veranschlagte, betrug eintausendfünfhundert Millionen - ein Unternehmen also, dem nur der Staat gewachsen war. Im Verlauf von vier Jahren würde er ein Spezialdarlehen gewähren, um sowohl die jährlich anfallenden Produktio…
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Die offizielle Beratung über den Kanalbau durch Westlibyen wurde im Winter 1667 nach Erdenrechnung im Ministerium für Gesellschaftliche Arbeiten einberufen. Unter den Hunderten Teilnehmern befanden sich Vertreter der wichtigsten Bankkartelle, aber auch besonders interessierter Industrietrusts und großer Privatunternehmen, eine ganze Reihe bekannter Wissenschaftler und hervorragender Ingenieure, Deputierte des Parlaments und Regierungsabgeordnete. Der Minister eröffnete die Versammlung mit einer kurzen Rede, in der er das Ziel darlegte. »Sie alle«, begann er, »sind mit dem Projekt des Ingenieurs Menni Aldo in den Grundzügen bereits vertraut, kennen sein ausgezeichnetes Buch >Die Zukunft der Libyschen Wüste« Gesellschaft und Parlament bringen diesem Projekt große Aufmerksamkeit entgegen; davon zeugt Ihre Anwesenheit hier. Auf Vorschlag der Zentralregierung wird der Autor selbst uns heute einen Vortrag halten, in dem er die technische und die finanzielle Seite der Angelegenheit detailliert darlegt. Die Regierung baut auf Ihre hohe Kompetenz, sie misst Ihrer Meinung und Ihren Ratschlägen große Bedeutung bei. Es wäre sehr begrüßenswert, käme der Kongress in seiner Gesamtheit zu einer prinzipiellen Entscheidung für oder gegen das Projekt. Denn es geht ja nicht nur um das friedliche Erkämpfen neuen Landes für die Menschheit, sondern auch um Kosten, die auf ein bis zwei Milliarden veranschlagt wurden.« Danach erteilte er dem Referenten das Wort. Zunächst beschrieb Menni komprimiert und genau, mit Zahlen und Skizzen, die sogleich auf eine Leinwand projiziert wurden, das Geländerelief. »Ich selbst«, sagte er, »habe mit meinen Helfern eine neue Vermessung des Libyschen Beckens von Süd nach Nord und von Ost nach West durchgeführt: Die Angaben früherer Reisender waren ungenau und unvollständig. Eine Fläche von mehr als sechshunderttausend Quadratkilometern ist von allen Seiten durch Berge begrenzt, die so hoch sind, dass sie keine Regenwolken passieren lassen. Im Süden und Westen reichen diese Berge ziemlich dicht an den Ozean heran, im Norden und Osten aber beginnen jenseitig andere Wüsten. Früher war dieses Becken eine Meeressenke, doch da der Meeresspiegel stark sank, wurde die Verbindung zum Ozean unterbrochen, und die Senke trocknete aus. Noch heute freilich befindet sich ihr zentraler Teil, wie Sie aus den Querschnittsskizzen ersehen können, fünfzig bis zweihundert Meter unter der Meeresoberfläche, stellenweise sogar bis dreihundert Meter. Diese Fläche von etwa fünfzigtausend Quadratkilometern würde erneut überflutet, gelänge es uns, sie wieder mit dem Ozean zu verbinden. Dadurch würde sich das gesamte Klima des Landes entscheidend verändern. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es dort nur hoffnungslos trockene Wüste, mit einer Sandfläche, die in ihrer oberen Schicht tödlicher, Lungen und Augen verbrennender Staub geworden ist. Es gibt keine Oasen, an denen Reisende verschnaufen könnten. In den letzten hundert Jahren sind von acht Expeditionen, die in die Tiefe der Wüste vordrangen, zwei überhaupt nicht zurückgekehrt, die anderen haben einen Teil ihrer Mitglieder verloren. Unsere Expedition war besser als alle vorangegangenen ausgerüstet, hat allerdings auch bedeutend länger durchgehalten. Doch ist nur die Hälfte von uns zurückgekommen, und alle außer mir waren ernstlich krank. Besonders schwer wogen die Nervenerkrankungen, hervorgerufen durch die Eintönigkeit der Gegend und das Fehlen jeglicher Geräusche. Ein regelrechtes Reich des Schweigens. Wenn es gelingt, in Libyen ein Binnenmeer zu schaffen,wird sich das Land grundsätzlich verändern. Die Feuchtigkeit, die bei tropischer Sonne über der Oberfläche dieses Meeres durch Verdunstung entsteht, wird von den Bergen rings um das Becken aufgehalten werden und in Form von Bächen und Flüsschen wieder zurückströmen, was keine übermäßige, doch eine ausreichende Bewässerung garantiert. Der Wüstengrund enthält nach unserer Analyse im Überfluss Salze, die für das Pflanzenwachstum unentbehrlich sind, und das Wasser würde ihn mit einem Schlage fruchtbar machen. Die Landwirtschaft, würde sie wissenschaftlich betrieben, könnte bis zu zwanzig Millionen Menschen ernähren - die Gesamtbevölkerung unseres Planeten beträgt gegenwärtig dreihundert Millionen. Natürlich wären für eine solche Kolonisation mehrere Dutzend Jahre notwendig. Doch nach Entstehen des Binnenmeeres würde sehr schnell ein leichter Zugang zu den nördlichen und östlichen Bergen Libyens möglich, wo die gigantischen Mineralreichtümer lagern. Dort wurden schon früher ganze Felsen besten Magneteisenerzes entdeckt und ausgedehnte Steinkohlenflöze, die in den Spalten und Verschiebungen geologischer Formationen zutagetreten. Wir haben Muster von Silberbleierz mitgebracht, die nach Meinung von Spezialisten zu den besten in der Welt zählen, aber auch Proben von Quecksilber, und sogar Uranerz. Wir haben ein Gebiet gefunden, wo es natürliches Platin gibt und wertvolles Edelmetall. Es besteht auch keinerlei Zweifel, dass wir längst nicht alles, sondern nur einen unbedeutenden Teil gesehen haben - zu kurz war die Zeit, die wir zur Verfügung hatten, zu beschränkt unsre Kraft.« Danach ging Menni zu Fragen über, die den Kanal direkt betrafen. Die Wahl des Anlageortes bereitete keinerlei Schwierigkeiten, gab es doch nur einen einzigen geeigneten Punkt: den nämlich, wo das Becken am weitesten an die Ostküste heranreichte und wo sich das Gebirgsmassiv bis auf einige Kilometer verengte. »Hier«, sagte Menni, »wird die Gesamtlänge des Kanals keine siebzig Kilometer überschreiten, und wir besitzen Schiffahrtskanäle, die zwei- bis dreimal länger sind. Das Problem ist nur, das Binnenmeer zu füllen und den Wasserstand zu halten. Ein gewöhnlicher Kanal würde im Wüstensand einfach versickern. Die Berechnungen haben ergeben, dass er hier fünfmal so breit und dreimal so tief sein muss wie sonst üblich. Ein Teil von ihm, ungefähr ein Drittel, muss über Felsengrund geführt werden, das Entscheidende aber - wir müssen einen Gebirgspass durchtrennen. Wir werden eine gigantische Masse von Kalkgestein zu sprengen haben und in größerer Tiefe sogar Granit, der die Basis der Gebirgskette bildet. Dazu ist etwa eine halbe Million Tonnen Dynamit nötig. An die zweihunderttausend Arbeitskräfte werden nach voraussichtlichen Schätzungen gebraucht, und das für vier Jahre bei Verwendung bester und teuerster Maschinen.« Im weiteren legte Menni den Finanzplan des Projekts dar. Die Gesamtsumme, wenn man überall die maximalen Ausgaben veranschlagte, betrug eintausendfünfhundert Millionen - ein Unternehmen also, dem nur der Staat gewachsen war. Im Verlauf von vier Jahren würde er ein Spezialdarlehen gewähren, um sowohl die jährlich anfallenden Produktio…
Titel
Ingenieur Menni
Autor
EAN
9783961272358
Format
E-Book (pdf)
Altersempfehlung
ab 14 Jahre
Hersteller
Veröffentlichung
22.04.2021
Digitaler Kopierschutz
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