In der Wildnis von Wyoming, 1885: Eigentlich hat Abigail Harding ihr Leben gut im Griff. Sie unterrichtet an einer renommierten Mädchenschule und ist so gut wie verlobt. Doch eine spontane Reise zu ihrer Schwester, die als Offiziersgattin in einem Fort in Wyoming lebt und zutiefst unglücklich zu sein scheint, verändert alles. Abigail gerät in einen Strudel von Ereignissen, der nicht nur ihr gesamtes Lebenskonzept und ihre Zukunftspläne infrage stellt, sondern sie auch in Lebensgefahr bringt
Autorentext
Leseprobe
Kapitel 1 Wyoming, Juni 1885 Es gab Zeiten, in denen sich Abigail Harding nichts mehr wünschte, als ein Einzelkind zu sein. Zeiten wie diese. Wenn Charlotte nicht gewesen wäre, säße sie jetzt nicht eingepfercht in dieser Postkutsche und würde ein Land durchqueren, das so karg war, dass nicht einmal Kojoten hier leben wollten. Zu allem Überfluss wurde sie dabei auch noch von einer Frau begleitet, die noch niemals gehört hatte, dass Schweigen Gold war. Is 'n ziemlich schöner Tag, stimmt's? Abigail zuckte zusammen, als die Kutsche schwankte und sie zum gefühlt hundertsten Mal gegen die Seitenwand schleuderte. Obwohl Concord-Kutschen den Ruf genossen, die komfortabelsten zu sein, die jemals gebaut worden waren, konnte nichts eine holprige Straße ausgleichen. Fahrspuren, so war sie von ihrer gesprächigen Begleiterin informiert worden, waren allerdings immer noch besser als Matsch. Dieser könnte nämlich dazu führen, dass die Räder stecken blieben. Und dann wären die Passagiere gezwungen, auszusteigen und Bekanntschaft mit dem Dreck zu machen. Abigail war dankbar für die kleinen Dinge des Lebens und nickte. Der Himmel ist herrlich, gab sie zu. Das war das einzig Positive, was sie über diese trostlose Landschaft sagen konnte. Sie würde sicher nicht behaupten, dass sie das Gebiet von Wyoming schön fände, weil das absolut nicht der Fall war. Aber sie wollte Mrs Dunn auch nur ungern beleidigen, auch wenn sie wünschte, die Frau würde endlich aufhören zu reden. Abigail war an Einsamkeit gewöhnt und wenn sie nach den Geschichten urteilte, die die Witwe erzählt hatte, war diese ebenfalls damit vertraut. Das war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb Mrs Dunn Abigail unter ihre Fittiche genommen hatte, als sie sie in Cheyenne auf die Postkutsche hatte warten sehen. Abigails Einwand, sie komme allein klar, schließlich habe sie ja auch schon ohne Begleitung den ganzen Weg aus Wesley, Vermont, bis Cheyenne geschafft, hatte sie schlicht ignoriert. Es sei sehr unangebracht, so hatte Mrs Dunn behauptet, wenn Abigail ihre Reise ohne Begleitung fortsetze. Das gelte umso mehr, als einer der anderen Passagiere in der Postkutsche nach Deadwood ein alleinstehender Mann sei. Er is Soldat, hatte ihre selbsternannte Beschützerin gezischt, als ob Abigail nicht in der Lage sei, eine Uniform zu erkennen. Das sollte eigentlich bedeuten, dass er 'n anständiger Kerl is, aber man kann nich vorsichtig genug sein. Nicht einmal der Anblick eines Ehepaares, welches Fahrscheine kaufte, reichte aus, um Mrs Dunn von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie hielt Abigails Arm fest umklammert. Das sind reiche Leute, erklärte sie und zeigte auf den Berg eleganter Koffer, der die beiden begleitete. Die wollen ganz bestimmt nichts mit uns zu tun haben. Und so fand sich Abigail auf der Rückbank neben einer Frau wieder, die Stunden damit zubrachte, die Kordeln ihres Pompadours, eines unförmigen Beutels, der ihr als Handtasche diente, auf- und wieder zuzuknoten. Währenddessen hatte es sich der Leutnant auf dem Vordersitz neben dem wohlhabenden Pärchen bequem gemacht. Mit einem Fuß stützte er sich an der leeren Bank ab, die die mittlere Sitzreihe des Innenraumes bildete. Seine Mütze hatte er tief ins Gesicht gezogen. Der Anstand wurde zweifelsohne gewahrt, denn er und Abigail waren durch die ganze Länge der Kutsche voneinander getrennt. Sie sprachen nur miteinander, wenn die Postkutsche anhielt und er Abigail und Mrs Dunn dabei half, die hohen Stufen hinabzusteigen. Wie von Mrs Dunn vorhergesagt, war das Paar, das sich als Mr und Mrs Fitzgerald aus New York City vorgestellt hatte, eher schweigsam geblieben. Die beiden hatten sich lediglich darüber beklagt, rückwärts fahren zu müssen. Als Abigail ihnen ihren Platz und den noch freien Sitz zwischen ihr und Mrs Dunn angeboten hatte, hatte die Witwe protestiert. Sie können nich bei dem Herrn sitzen. Das macht man nich. Sie umklammerte Abigails Arm hartnäckig und hinderte sie dadurch, sich von ihrem Platz zu erheben. Die offensichtlich verärgerten Fitzgeralds beschränkten sich darauf, leise miteinander zu sprechen, und ignorierten Mrs Dunn völlig. Obwohl ihnen das nicht vorzuwerfen war, hatte es letztendlich dazu geführt, dass Abigail als einzige Gesprächspartnerin der übermäßig korrekten Witwe übriggeblieben war. Sie mögen also unser'n Himmel. Mrs Dunn nickte Abigail energisch zu. Ihre braunen Augen - eben noch tränennass, als sie über den Tod ihres geliebten Mannes gesprochen hatte und wie schwierig es gewesen sei, allein die Arbeit auf der Ranch weiterzuführen - strahlten wieder. Obwohl ihr Mann bereits seit über einem Jahr tot war, war Mrs Dunn noch immer tiefschwarz gekleidet und zutiefst davon überzeugt, dass sie niemals aufhören würde, ihn zu lieben. Ihr ausgesprochen unmodisches Kleid war von einer dicken Schicht grau-braunen Schmutzes bedeckt. Sogar in dem Schleier, der ihr Gesicht zur Hälfte bedeckte, hatte sich Staub verfangen. Beides war dem ständigen Wind geschuldet, der Schmutz aufwirbelte und ihn mit einer beinahe tornadoartigen Geschwindigkeit ostwärts trieb. Obwohl sie sich nichts mehr wünschte, als die Unterhaltung zu beenden, zwangen ihre guten Manieren Abigail, artig zu erwidern: Ich habe noch nie einen so klaren Himmel in einem so tiefen Blau gesehen. Das entsprach durchaus der Wahrheit. Ebenfalls der Wahrheit entsprach Abigails Erkenntnis, dass dieser Teil der Reise der bisher Schlimmste war. Der Zug war einigermaßen bequem gewesen und Cheyenne hatte sich als weniger primitiv erwiesen, als sie befürchtet hatte auch wenn die gesamte männliche Bevölkerung zu glauben schien, dass mindestens eine Waffe notwendiger Bestandteil einer angemessenen Garderobe sein musste. Doch jetzt befand sich Abigail unglücklicherweise im absoluten Nirgendwo und nichts, was Mrs Dunn bemerken könnte, würde etwas daran ändern. Es gab keine Anzeichen von Leben, es sei denn, man zählte das unansehnliche Gestrüpp mit, das die Hügellandschaft überall dort bedeckte, wo eigentlich Bäume hätten stehen sollen. Zugegeben, dieses Gestrüpp war lebendig. Lebendig und bereit zum Angriff. Die Kakteen waren schon schlimm genug, aber die wirklichen Schurken waren die Yuccas. Warum hatte Gott eine Pflanze erschaffen, deren stachelige Blätter von Rändern, scharf wie Rasierklingen, gesäumt waren? Sicher hatte er es nicht getan, um Löcher in den Rock einer nichtsahnenden Dame zu reißen. Mrs Dunn behauptete, dass die Yuccas im weiteren Verlauf dieses Monats mit wunderschönen weißen Blüten gesegnet werden würden. Wie dem auch sei: Abigail jedenfalls betrachtete ihre Existenz als Beweis dafür, dass dies kein Ort war, an dem zivilisierte Menschen leben sollten. Yuccas und unablässig heulender Wind gehörten nicht zu Abigails Vorstellung vom Paradies auf Erden. Ich geh mal davon aus, dass das Gebiet von Wyoming nich gerade heimatliche Gefühle bei Ihnen weckt. Hatte Mrs Dunn ihre Gedanken gelesen? Dieser Ort, der nun schon seit einem Jahr Charlottes Zuhause war, erschien ihr ausgesprochen ungastlich. Während sie aus dem Fenster blickte, verfinsterte sich Abigails Blick. So sehr sie sich auch bemühte, konnte sie sich einfach nicht vorstelle…
Autorentext
Amanda Cabot lebt mit ihrem Mann in Wyoming, USA, und machte zunächst als Informatikerin Karriere, bevor sie sich ganz ihrer Leidenschaft fürs Schrei-ben widmete. Ihre Romane waren bereits für zahlreiche Preise nominiert. 'Der Sommer, der so viel versprach' ist ihr erstes Buch, das auf Deutsch erscheint.
Leseprobe
Kapitel 1 Wyoming, Juni 1885 Es gab Zeiten, in denen sich Abigail Harding nichts mehr wünschte, als ein Einzelkind zu sein. Zeiten wie diese. Wenn Charlotte nicht gewesen wäre, säße sie jetzt nicht eingepfercht in dieser Postkutsche und würde ein Land durchqueren, das so karg war, dass nicht einmal Kojoten hier leben wollten. Zu allem Überfluss wurde sie dabei auch noch von einer Frau begleitet, die noch niemals gehört hatte, dass Schweigen Gold war. Is 'n ziemlich schöner Tag, stimmt's? Abigail zuckte zusammen, als die Kutsche schwankte und sie zum gefühlt hundertsten Mal gegen die Seitenwand schleuderte. Obwohl Concord-Kutschen den Ruf genossen, die komfortabelsten zu sein, die jemals gebaut worden waren, konnte nichts eine holprige Straße ausgleichen. Fahrspuren, so war sie von ihrer gesprächigen Begleiterin informiert worden, waren allerdings immer noch besser als Matsch. Dieser könnte nämlich dazu führen, dass die Räder stecken blieben. Und dann wären die Passagiere gezwungen, auszusteigen und Bekanntschaft mit dem Dreck zu machen. Abigail war dankbar für die kleinen Dinge des Lebens und nickte. Der Himmel ist herrlich, gab sie zu. Das war das einzig Positive, was sie über diese trostlose Landschaft sagen konnte. Sie würde sicher nicht behaupten, dass sie das Gebiet von Wyoming schön fände, weil das absolut nicht der Fall war. Aber sie wollte Mrs Dunn auch nur ungern beleidigen, auch wenn sie wünschte, die Frau würde endlich aufhören zu reden. Abigail war an Einsamkeit gewöhnt und wenn sie nach den Geschichten urteilte, die die Witwe erzählt hatte, war diese ebenfalls damit vertraut. Das war wahrscheinlich auch der Grund, weshalb Mrs Dunn Abigail unter ihre Fittiche genommen hatte, als sie sie in Cheyenne auf die Postkutsche hatte warten sehen. Abigails Einwand, sie komme allein klar, schließlich habe sie ja auch schon ohne Begleitung den ganzen Weg aus Wesley, Vermont, bis Cheyenne geschafft, hatte sie schlicht ignoriert. Es sei sehr unangebracht, so hatte Mrs Dunn behauptet, wenn Abigail ihre Reise ohne Begleitung fortsetze. Das gelte umso mehr, als einer der anderen Passagiere in der Postkutsche nach Deadwood ein alleinstehender Mann sei. Er is Soldat, hatte ihre selbsternannte Beschützerin gezischt, als ob Abigail nicht in der Lage sei, eine Uniform zu erkennen. Das sollte eigentlich bedeuten, dass er 'n anständiger Kerl is, aber man kann nich vorsichtig genug sein. Nicht einmal der Anblick eines Ehepaares, welches Fahrscheine kaufte, reichte aus, um Mrs Dunn von ihrem Vorhaben abzubringen. Sie hielt Abigails Arm fest umklammert. Das sind reiche Leute, erklärte sie und zeigte auf den Berg eleganter Koffer, der die beiden begleitete. Die wollen ganz bestimmt nichts mit uns zu tun haben. Und so fand sich Abigail auf der Rückbank neben einer Frau wieder, die Stunden damit zubrachte, die Kordeln ihres Pompadours, eines unförmigen Beutels, der ihr als Handtasche diente, auf- und wieder zuzuknoten. Währenddessen hatte es sich der Leutnant auf dem Vordersitz neben dem wohlhabenden Pärchen bequem gemacht. Mit einem Fuß stützte er sich an der leeren Bank ab, die die mittlere Sitzreihe des Innenraumes bildete. Seine Mütze hatte er tief ins Gesicht gezogen. Der Anstand wurde zweifelsohne gewahrt, denn er und Abigail waren durch die ganze Länge der Kutsche voneinander getrennt. Sie sprachen nur miteinander, wenn die Postkutsche anhielt und er Abigail und Mrs Dunn dabei half, die hohen Stufen hinabzusteigen. Wie von Mrs Dunn vorhergesagt, war das Paar, das sich als Mr und Mrs Fitzgerald aus New York City vorgestellt hatte, eher schweigsam geblieben. Die beiden hatten sich lediglich darüber beklagt, rückwärts fahren zu müssen. Als Abigail ihnen ihren Platz und den noch freien Sitz zwischen ihr und Mrs Dunn angeboten hatte, hatte die Witwe protestiert. Sie können nich bei dem Herrn sitzen. Das macht man nich. Sie umklammerte Abigails Arm hartnäckig und hinderte sie dadurch, sich von ihrem Platz zu erheben. Die offensichtlich verärgerten Fitzgeralds beschränkten sich darauf, leise miteinander zu sprechen, und ignorierten Mrs Dunn völlig. Obwohl ihnen das nicht vorzuwerfen war, hatte es letztendlich dazu geführt, dass Abigail als einzige Gesprächspartnerin der übermäßig korrekten Witwe übriggeblieben war. Sie mögen also unser'n Himmel. Mrs Dunn nickte Abigail energisch zu. Ihre braunen Augen - eben noch tränennass, als sie über den Tod ihres geliebten Mannes gesprochen hatte und wie schwierig es gewesen sei, allein die Arbeit auf der Ranch weiterzuführen - strahlten wieder. Obwohl ihr Mann bereits seit über einem Jahr tot war, war Mrs Dunn noch immer tiefschwarz gekleidet und zutiefst davon überzeugt, dass sie niemals aufhören würde, ihn zu lieben. Ihr ausgesprochen unmodisches Kleid war von einer dicken Schicht grau-braunen Schmutzes bedeckt. Sogar in dem Schleier, der ihr Gesicht zur Hälfte bedeckte, hatte sich Staub verfangen. Beides war dem ständigen Wind geschuldet, der Schmutz aufwirbelte und ihn mit einer beinahe tornadoartigen Geschwindigkeit ostwärts trieb. Obwohl sie sich nichts mehr wünschte, als die Unterhaltung zu beenden, zwangen ihre guten Manieren Abigail, artig zu erwidern: Ich habe noch nie einen so klaren Himmel in einem so tiefen Blau gesehen. Das entsprach durchaus der Wahrheit. Ebenfalls der Wahrheit entsprach Abigails Erkenntnis, dass dieser Teil der Reise der bisher Schlimmste war. Der Zug war einigermaßen bequem gewesen und Cheyenne hatte sich als weniger primitiv erwiesen, als sie befürchtet hatte auch wenn die gesamte männliche Bevölkerung zu glauben schien, dass mindestens eine Waffe notwendiger Bestandteil einer angemessenen Garderobe sein musste. Doch jetzt befand sich Abigail unglücklicherweise im absoluten Nirgendwo und nichts, was Mrs Dunn bemerken könnte, würde etwas daran ändern. Es gab keine Anzeichen von Leben, es sei denn, man zählte das unansehnliche Gestrüpp mit, das die Hügellandschaft überall dort bedeckte, wo eigentlich Bäume hätten stehen sollen. Zugegeben, dieses Gestrüpp war lebendig. Lebendig und bereit zum Angriff. Die Kakteen waren schon schlimm genug, aber die wirklichen Schurken waren die Yuccas. Warum hatte Gott eine Pflanze erschaffen, deren stachelige Blätter von Rändern, scharf wie Rasierklingen, gesäumt waren? Sicher hatte er es nicht getan, um Löcher in den Rock einer nichtsahnenden Dame zu reißen. Mrs Dunn behauptete, dass die Yuccas im weiteren Verlauf dieses Monats mit wunderschönen weißen Blüten gesegnet werden würden. Wie dem auch sei: Abigail jedenfalls betrachtete ihre Existenz als Beweis dafür, dass dies kein Ort war, an dem zivilisierte Menschen leben sollten. Yuccas und unablässig heulender Wind gehörten nicht zu Abigails Vorstellung vom Paradies auf Erden. Ich geh mal davon aus, dass das Gebiet von Wyoming nich gerade heimatliche Gefühle bei Ihnen weckt. Hatte Mrs Dunn ihre Gedanken gelesen? Dieser Ort, der nun schon seit einem Jahr Charlottes Zuhause war, erschien ihr ausgesprochen ungastlich. Während sie aus dem Fenster blickte, verfinsterte sich Abigails Blick. So sehr sie sich auch bemühte, konnte sie sich einfach nicht vorstelle…
Titel
Der Sommer, der so viel versprach
Autor
Übersetzer
EAN
9783868279139
ISBN
978-3-86827-913-9
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Genre
Veröffentlichung
01.02.2014
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
0.52 MB
Jahr
2014
Untertitel
Deutsch
Auflage
1., Auflage
Lesemotiv
Unerwartete Verzögerung
Ups, ein Fehler ist aufgetreten. Bitte versuchen Sie es später noch einmal.