Amy Hempel ist die Meisterin der Kurzform. In ihren Short Stories geht sie unsere geheimen Ängste und Wünsche an, beschwört unsere Menschlichkeit und verpflichtet uns zu Leidenschaft. Hempels Charaktere sind greifbar und lebendig, immer unvergesslich, mit gebrochenen Herzen und von Trauer verfolgt. Genau wie sie schrecken auch wir vor der Wahrheit zurück, flüchten uns in bequeme und fiktive Ausschmückungen, um ihre Gefahren zu vermeiden. Doch Amy Hempels Geschichten ermöglichen es, die Wahrheit zu überleben, für sie und von ihr zu singen. Das Geheimnis liegt in der Qualität des Liedes.

- Verführerisch, verstörend, zart, voll von dunklem Humor - Für Liebhaber von Alice Munroe, Ernest Hemingway, Raymond Carver und Frederick Barthelme - Ambassador Book Award 2007, Rea Award for the short Story 2008

Autorentext
Amy Hempel ist eine der meistgefeierten gegenwärtigen Stimmen der amerikanischen Literatur. Sie lehrt im Graduate Writing Program am Bennington College und am Stony Brook Southampton. Sie hat bereits vier erfolgreiche Bände mit Short Stories veröffentlicht, zuletzt erschien The Collected Stories of Amy Hempel (2007). Auf Deutsch sind bisher u. a. erschienen Was Uns Treibt und Die Ernte (luxbooks 2013 und 2015). Ihre Geschichten erscheinen außerdem in Zeitschriften wie GQ, Vanity Fair u. a. Im Jahr 2008 wurde sie mit dem Rea Award ausgezeichnet und 2009 mit dem PEN/Malamud Award for Excellence in the Short Story. Sie lebt in der Nähe von New York City.

Leseprobe
Greed Mrs. Greed war seit vierzig Jahren verheiratet, ihr Ehemann der größte Gehörnte aller Zeiten. Ein hässlicher Mann mit einem beachtlichen Vermögen, der sie auf Besorgungen in der Nachbarschaft begleitete. Es war Ehrensache für Mrs. Greed zu sagen, dass sie ihn nie verlassen würde. Es spielte dabei keine Rolle, ob ihre Zuneigung für ihn von ihrer Hingabe an andere übertroffen wurde. Einschließlich, beispielsweise, meinem Mann. Wenn sie zu Hause im Bett ihres Mannes schlief, interessierte es ihn dann, was sie tagsüber tat? Ich war diejenige, die es interessierte. Beschützt durch Männer, Geld und fehlendes Schamgefühl war Mrs. Greed lange in der Lage gewesen, dem zu entgehen, was sie verdient hatte. Sie besaß jene Fröhlichkeit, die Männer glauben ließ, sie vögelte nicht herum, sie dachten, sie verfüge einfach über joie de vivre; sie hielten sie für einen Freigeist, nicht für eine Hure. Sie hatte die Mittel, in wildem Verhalten zu schwelgen und die Morgen nach Nächten zu verschlafen, die sie vor ihren Freunden versteckte. Sie bereiste die Welt und verwandelte sich an anderen Orten in die Person, die sie sein konnte, mit Menschen, die sie nie wieder sehen würde. Sie war mehrere Jahre älter als mein Mann, sie lebte von ihrer inzwischen auf Sparflamme brennenden Schönheit. Die ihre war eine konventionelle Schönheit, und ich schämte mich dafür, dass mein Mann ihr huldigte. Durch ihre Begegnung floss ein Strom des Bedauerns: darüber, dass sie sich nicht früher begegnet waren. Er fragte sie, ob sie mütterliche Gefühle für ihn hege. Sie antwortete, sie sei sich nicht sicher, was er hören wolle. Sie sagte ihm, sie spüre eine erotische Mischung aus Leidenschaft und Zärtlichkeit. Wenn er die Zärtlichkeit als mütterlich wahrnehmen wollte, lass ihn doch. Als sie sich trafen, so sagte er, habe er die Tatsache nicht verheimlicht, dass sie aussah wie seine Mutter, eine schicke Frau, die grausam mit ihm umgegangen und gestorben war, als er noch ein Junge war. Er hatte das nicht gesagt, um ihr Alter zu betonen, noch hatte sie es für einen Fetisch gehalten. Sie musste es so gehört haben, wie sie gespürt hatte, dass es gemeint war: als ein Kompliment, als zusätzliche Möglichkeit, sich näherzukommen. Sie wäre glücklich gewesen, eine gute Mutter und zugleich die ultimative Sinnlichkeit zu sein. Und sieh nur, wie ihre Suche nach Lust für jene in ihrem Umfeld Freude hervorbrachte! Ein Ding zwischen den beiden: grüne Äpfel. Niemals rote, immer grüne. Ich wusste, dass mein Mann Mrs. Greed zu Gast gehabt hatte, wenn die drei Körbe in der Küche mit glänzenden, grünen Äpfeln gefüllt waren. Mein Mann behauptete, er möge ihre Optik; ich habe ihn nie einen essen sehen. Sobald sie anfingen, weich und braun zu werden, warf ich sie fort. Und so rasch würden die Körbe wieder gefüllt sein. Er erzählte mir, dass er sie vom italienischen Markt in der Stadt habe. Aber ich habe das überprüft, und der italienische Markt führt keine grünen Äpfel im Angebot. Was die grünen Äpfel für sie bedeuteten, weiß ich nicht, will ich nicht wissen. Aber sie brachte stets welche mit, wenn sie unser Haus betrat, und hätte ich die faul gewordenen nicht weggeworfen, so schien es mir, hätte er jeden einzelnen davon aufbewahrt.

Inhalt
Sing | Das verwaiste Lamm | Full-Service Tierheim | Puppentornado | Ich bleibe bei Syd | Die Schickane | Greed | Fort Bedd | Vier Anrufe in der letzten Stunde | Der richtige Griff | Die zweite Runde | Mondregenbogen | Äquivalent | Der Ruhewagen | Wolkenland
Titel
Sing
Untertitel
Neue Stories
EAN
9783843806282
Format
E-Book (epub)
Veröffentlichung
20.03.2020
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
2.33 MB
Anzahl Seiten
160
Lesemotiv