»Alles in diesem Buch ist wahr« mit diesen Worten beginnt Anatoli Kusnezows literarisches Dokument über eines der furchtbarsten Verbrechen der deutschen Besatzung: das Massaker von Babyn Jar. Im September 1941 wurden in einer Schlucht nahe Kyjiw innerhalb von zwei Tagen mehr als 33 000 jüdische Männer, Frauen und Kinder von den Nationalsozialisten ermordet. Kusnezow, damals zwölf Jahre alt, erlebte den deutschen Einmarsch, die Terrorherrschaft der Besatzer und die Rückeroberung durch die Rote Armee aus nächster Nähe. Jahrzehnte später schuf er mit Babyn Jar ein Werk, das von hemmungslosen Grausamkeiten erzählt, von Hunger, Angst und Überleben.
In der Sowjetunion wurde Babyn Jar zensiert, erst nach Kusnezows Flucht in den Westen konnte der Text in vollständiger Fassung erscheinen mit jenen Passagen, die gestrichen worden waren, und jenen, die er sich damals selbst nicht zu schreiben getraut hatte. Die Neuübersetzung von Christiane Körner macht das Werk erstmals in seiner ganzen sprachlichen und historischen Dringlichkeit zugänglich. Der Historiker Bert Hoppe zeichnet in seinem Nachwort die geschichtlichen Ereignisse nach, während sich die Autorin Kateryna Mishchenko mit Kusnezows Werk vor dem Hintergrund der russischen Invasion in der Ukraine 2022 auseinandersetzt und so eine neue Lesart dieses erschütternden Dokuments der Zeitgeschichte eröffnet.
Autorentext
Anatolij Kusnezow war 12 Jahre alt, als die Armee Hitlers 1941 in Kiew einmarschierte. Diese Besatzungszeit seiner Heimatstadt und der ihr folgende Umschwung gingen in ihm ein. Die traumatisierende Erinnerung an diese Jahre verließ ihn nie. Sie findet ihren Inbegriff in der »Weiberschlucht«, Babij Jar, die Schauplatz unvorstellbaren Grauens wurde. Für Kunezow wurde sie zum Zeichen des grenzenlosen Vernichtungswillen des Menschen und des Aberwitzes des Krieges. Als es ihm endlich gelungen war, seine Erlebnisse niederzuschreiben, erschien das Buch, von der Zensur völlig verstümmelt, 1966 in der Sowjetunion. Nicht zuletzt der Wille, sein Roman-Dokument unverfälscht zu veröffentlichen, führte zu seiner Flucht nach England. 1970 konnte Babij Jar im Westen auf Russisch in erweiteter Form erscheinen. Kusnezow hatte sowohl die zensierten Stellen als auch jene, die der inneren Zensur 1966 zum Opfer gefallen waren, wieder eingefügt und im Text kenntlich gemacht.