Barbara Wendelken wurde 1955 in Schwanewede bei Bremen geboren. Die gelernte Kinderkrankenschwester veröffentlicht seit 1996 regelmäßig Kinderbücher, Kriminalromane sowie zahlreiche Kurzgeschichten in Anthologien. Wenn sie nicht schreibt, genießt die Autorin mit ihrem Mann das Landleben in Ostfriesland.
Vorwort
Kann eine Mutter ihr Kind um jeden Preis beschützen?
Autorentext
Barbara Wendelken wurde 1955 in Schwanewede bei Bremen geboren. Die gelernte Kinderkrankenschwester veröffentlicht seit 1996 regelmäßig Kinderbücher, Kriminalromane sowie zahlreiche Kurzgeschichten in Anthologien. Wenn sie nicht schreibt, genießt die Autorin mit ihrem Mann das Landleben in Ostfriesland.
Leseprobe
FREITAG, 31. MAI
Seit drei Tagen drehte sich Margits Leben beinahe ausschließlich um ihren Enkelsohn. Vormittags nahm sie den Kinderwagen mit ins Büro, um dort das Nötigste zu erledigen, nachmittags machte sie frei, um Caspar zu genießen, wie sie das nannte. Ein Innenarchitekt war bestellt, der im Obergeschoss ein Kinderzimmer einrichten sollte, direkt neben Margits Schlafzimmer, und soeben hatte der Paketwagen einen riesigen Karton mit exklusiver englischer Babymode geliefert, die sie für ein Heidengeld im Internet bestellt hatte. Für Cornelius' Enkelsohn war ihr nichts zu teuer.
Das ungewöhnlich ernste Gesicht und die rabenschwarzen Haare ließen Caspar wie eine Miniaturausgabe seines verstorbenen Großvaters aussehen, was sie immer wieder mit Staunen erfüllte. Mit Säuglingen kannte Margit sich nicht aus, doch sie war überzeugt, dass Caspar sehr viel aufmerksamer in die Welt schaute als alle anderen Babys seines Alters, eine kleine Persönlichkeit, die man bereits ernst nehmen musste, ein Mensch, der seinen vorgezeichneten Weg gehen würde. Ganz besonders liebte sie es, die winzigen Hände zwischen Daumen und Zeigefinger zu nehmen und zu betrachten, selbst die Finger glichen denen von Cornelius. Eines Tages würden das Männerhände sein, die fest zupacken konnten.
Margit war jetzt achtundfünfzig, sie war ungewöhnlich spät in die Wechseljahre gekommen und litt immer noch an den typischen Beschwerden. Sie verachtete ihren Körper für das, was er ihr antat, nächtliche Hitzewallungen, die sie um den Schlaf brachten, und überfallartige Schweißausbrüche zu jeder Tages- und Nachtzeit. In den letzten Wochen hatte sie sich furchtbar gefühlt, fast schon depressiv. In den schlaflosen Nächten quälte sie die Frage, ob es jetzt nur noch bergab gehen würde. Manchmal schaute sie morgens in den Spiegel und dachte, vorbei, du befindest dich auf dem letzten Wegstück zum Grab. Da kommt nichts mehr, du wirst nur noch älter, jeden Tag ein bisschen älter. Mit tiefem Seufzen registrierte sie die Falten, die sich nicht mehr verleugnen ließen, die schlaffe Haut an den Unterarmen und am Hals, das wabbelige Gewebe am Bauch. Geradezu zwanghaft suchte sie ihren Körper nach neuen Scheußlichkeiten ab, nach weiteren Zeichen des äußeren Verfalls.
Doch mit Caspar waren all die düsteren Gedanken verflogen, er ließ ihre Tage wieder leuchten. Vergessen war das lähmende Gefühl, dass alles dem Ende zustrebte, das hier war ein neuer, unglaublich aufregender Anfang, der Beginn einer neuen Zeit.
Als Cords Mutter hatte sie sich ständig überfordert gefühlt, vermutlich war sie mit achtzehn einfach zu jung gewesen für diese Aufgabe, doch sein Sohn kam genau zum richtigen Zeitpunkt in ihr Leben, und zum ersten Mal begriff sie, wie es sich anfühlte, ein Kind aufrichtig zu lieben. Wenn es stimmte, was sie vorhin im Internet gelesen hatte, standen Silvanas Chancen auf eine vollständige Genesung nicht gut, und Cord, davon war sie fest überzeugt, würde der Doppelbelastung als Mediziner mit eigener Praxis und alleinerziehender Vater nicht lange gewachsen sein. So etwas schafften nur Frauen. Sehr bald schon würde Caspar ihr allein gehören.
Margit fühlte sich keineswegs zu alt, um ein Kind aufzuziehen. Heutzutage ließen sich sogar noch sechzigjährige Frauen befruchtete Eier implantieren, alles eine Frage des Geldes. Das Schicksal hatte ihr diesen mühsamen Weg erspart, sie hatte Cornelius' Enkel einfach geschenkt bekommen. Und warum sollten sie und Erich nicht als späte Eltern durchgehen?
Vorsichtig beugte Margit sich über den dunkelblauen Kinderwagen, den sie vor zwei Tagen gekauft hatte, weil ihr das ständige Hin und Her mit Caspars Sachen auf die Nerven fiel. Sie brauchte nichts von Cord, sie konnte es sich leisten, ihren Enkelsohn ganz nach ihrem eigenen Geschmack auszustaffieren. Der Kleine schlief selig unter der Decke mit dem blau-weiß gestreiften Bezug, gefüttert und frisch gewic