Leseprobe
Erstes Kapitel.
Einleitung Inhaltsverzeichnis
Gespielen meiner Jugend! Ihr, von denen ein Theil mir noch gegenwärtig die ungemischtesten Freuden des Lebens bereitet; ein anderer, durch Tod und weite Entfernung von mir getrennt, mein Herz mit wehmüthigen und dennoch süßen Erinnerungen erfüllt! - Brüder, edle Brüder! ihr, mit denen ich lange die Pflichten und die Freuden des Hausgenossen theilte, Hand in Hand die Bahn verfolgte, welche die Würde, einem Stamme guter Bürger anzugehören, vorschrieb, und denen ich jetzt bey der ehrenvollen Bestimmung, fürs Vaterland zu kämpfen, nur mit meinen Bekümmernissen und meinem Zurufe folgen kann! - Vor allen aber du, mir selbst gewählter Vater, erster meiner Freunde, Führer, Leiter meiner Jugend, Stütze meines reifern Alters! Euer Andenken soll besonders in meiner Seele herrschend seyn, während daß ich liebende Anhänglichkeit von der bloß liebenden Aufwallung unterscheide.
Zuneigung ist das Werk eines Augenblicks, aber Anhänglichkeit setzt Angewöhnung zum Voraus, unsere Zuneigung auf eine bestimmte Person zu richten.
Schon Thiere machen uns aufmerksam auf diesen Unterschied. Seht das freundliche Windspiel an, wie es durch Anschmiegen und reitzende Wendungen hüpfender Spiele jedem Vorübergehenden zu schmeicheln, und Freude um sich her zu verbreiten sucht! Dagegen beißt der mürrische Hund des Hirten jeden Fremden von sich ab, nimmt Speise und Liebkosung nur von der Hand des angewöhnten Herrn, begehrt wehklagend nach dessen Gegenwart bey der kleinsten Trennung, und wird selbst durch die härteste Begegnung nicht von ihm zurückgewiesen. Ja! man erzählt, was unser Herz so geneigt ist zu glauben, daß Thiere dieser Art, gleich trostlosen Geliebten, ihr Leben auf dem Grabe des geraubten Freundes geendigt haben. 10 Eine gleiche Verschiedenheit zeigt die Natur gewisser Geflügel. Der Haushahn ist unstreitig einiger sympathetischen Gefühle, die liebenden Aufwallungen ähneln, gegen die ihm zugelaufenen Weibchen fähig. Er kratzt für sie das Körnchen auf, dessen Genuß er selbst entbehrt, und zu dem er sie herbeylockt. Aber jedes neue Weibchen kann das verlorne ersetzen, wenn der mörderische Stahl die angewöhnte Gattin von seiner Seite gerafft hat.
Wie ähnlich ist die Verschiedenheit der Charakter der Menschen, diesen verschiedenen Anlagen der Thiere! Wie viele giebt es unter ihnen, denen die Natur viel Sympathie, viel allgemeines Wohlwollen ins Herz gelegt hat, und die bey dem stets regen Wunsche, daß Alles froh und zufrieden um sie her sey, sich an keine einzelne bestimmte Person hängen können! Wie viele, die eben so unfähig sind, die stärkeren Pflichten zu erfüllen, welche engere Verbindungen auflegen, als ihre höhern Süßigkeiten zu genießen! Wie wenig beweiset auf der andern Seite die stärkste Anhänglichkeit an eine bestimmte Person für allgemeine Menschenliebe! Man pflegt zu sagen; Allmanns Freund Niemands Freund! Laßt uns mit eben dem Rechte sprechen: Freund der Person, fremd der Art! So selten geht beydes neben einander.
Zweytes Kapitel.Begriff der Anhänglichkeit; nicht jede ist liebend Inhaltsverzeichnis
Anhänglichkeit überhaupt heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, von der Vorstellung unsers Verhältnisses zu einer bestimmten Person zu Gefühlen von Lust gereitzt zu werden.
Sie kann höchst eigennützig seyn, diese Anhänglichkeit; oft kann Wonne der Selbstheit, oft Wonne des Beschauungshanges hauptsächlich bey ihr zum Grunde liegen. In beyden Fällen ist sie nicht liebend. Auch Handlungsgenossen können an einander hängen, weil sie sich angewöhnt haben, auf die Kenntniß ihrer wechselseitigen persönlichen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit die Hoffnung eines Antheils am gemeinschaftlichen Gewinnste zu gründen. Es giebt Anhänglichkeiten, die auf einem feineren Eigennutze beruhen. So hängt oft der anschreitende Ehrgeitzige dem Manne von gegründetem Rufe an, um durch i