Wenn ich mein Projekt, Entwicklungsprozesse einmal in Gänze und in allen Facetten darzustellen, tatsächlich erfolgreich abschließen will, darf ich jetzt nicht mehr haltmachen. Auch wenn es wehtut. Bernd Niquet wurde 1956 in Berlin geboren und lebt noch immer dort. Im Rahmen der Serie "Wichtige und bisher liegengebliebene Themen und Fragestellungen" ist von ihm bereits als Band 1 "Die bewusst herbeigeführte Naivität" erschienen.

Autorentext
Dr. Bernd Niquet promovierte über das Entstehen neuer wirtschaftlicher Strukturen und war für die Privatisierung von Unternehmen für die Treuhandanstalt tätig. Daneben kümmerte er sich um Sanierungsmanagement in den neuen Bundesländern sowie um die Finanzierung junger Wachstumsunternehmen. Seit 1998 ist er als selbständiger Autor und Publizist in eigener Sache tätig. Seine hintergründigen Marktberichte und spitzen Kolumnen begeistern alle an Wirtschaft Interessierte. Der Autor lebt und arbeitet in Berlin.

Leseprobe
(Zweiter Abschnitt)
Wirbelsäulenmechanik

Es liegt bei mir noch so vieles herum, was noch nicht gehoben und erfasst worden ist, Schönes wie Unangenehmes. Ich fange mit dem Erfreulichen an. Ich besitze einen ganzen Karton voll mit Eintrittskarten zu Konzerten und beschließe, diese alle einmal aufzulisten. Ich habe große Lust dazu, graule mich gleichzeitig aber auch mächtig, denn das wird ein Riesenstück Arbeit.

Um nicht wie sonst bei solchen Gelegenheiten total im Rücken zu verspannen, wenn ich die Tickets einzeln zur Hand nehme, um ihre Daten in den Computer einzutippen, entschließe ich mich, die Karten zunächst einmal allesamt abzufotografieren, weil ich sie mir so auf dem Bildschirm laden und die Daten ohne körperliche Belastung in eine Datei eintippen kann.

Nach einer Stunde merke ich jedoch beim Ablichten ein heftiges Ziehen in den Waden, denn ich beuge mich beim Fotografieren stets nach vorne und fürchte jetzt, nachmittags gar nicht mehr joggen gehen zu können. Es fühlt sich fast wie eine doppelseitige Wadenzerrung an. Erst spät komme ich auf die Idee, beim Fotografieren ja nicht unbedingt stehen zu müssen, sondern mich auf einen Stuhl knien zu können. Das muss lustig aussehen, denke ich, doch es geht wesentlich besser so.

Nach anderthalb Stunden bin ich schließlich fertig und kann die 422 Fotos aller Eintrittskarten vom Fotoapparat auf den PC spielen. Eigentlich hatte ich gedacht, an die tausend Konzerte in meinem Leben gesehen zu haben, doch da habe ich mich wohl etwas überschätzt. Von diesen 422 Tickets sind zudem noch eine Menge Fußball-Eintrittskarten abzuziehen, von denen ich jedoch nur die allerwichtigsten aufbewahrt habe. Hinzuzufügen in die spätere Liste werden dann allerdings noch die Konzerte aus den 70er Jahren, von denen ich keine Eintrittskarten mehr besitze und deren Daten ich folglich aus meiner Erinnerung schöpfen muss. Das wird eine spannende Recherche.

Ich beschließe, mich bei der Erstellung der Liste nicht ausschließlich auf die Eintrittskarten zu verlassen, sondern zusätzlich meine Kalender zu Hilfe zu nehmen. Schnell merke ich dabei, dass ich auf weit mehr Konzerten gewesen bin als ich Tickets und vorherige Erinnerungen besitze. Zum Schluss gleiche ich sogar noch die Eintrittskarten mit den Kalendereintragungen ab, wobei ich herausfinde, dass ich auf manchen Konzerte, deren Tickets ich aufgehoben habe, anscheinend gar nicht gewesen bin. Die habe ich wohl aus Müdigkeit geschwänzt.

Dieses Abgleichen ist ein qualvoller Prozess, der mehr als drei volle Arbeitstage in Anspruch nimmt und mich sowohl von der körperlichen Anspannung wie auch von der Konzentration her vollkommen in Anspruch nimmt. Abends bin ich dann jeweils müde wie nach einem Marathonlauf. Doch macht es einen Riesenspaß.

Lange bin ich nicht so glücklich gewesen wie in diesen Tagen, in denen ich mich durch meine Kalender und die Fotos der Tickets hindurchfresse. Es strengt mich zwar enorm an, doch es ist die schönste Tätigkeit, die ich mir momentan überhaupt vorstellen kann. Und die ganze Zeit über denke ich: Jetzt grabe ich den Rhythmus meines Lebens aus!

Was zum Schluss dabei herauskommt, ist eine ziemlich imposante Liste chronologisch geordneter Konzerte. Da meine Ticketsammlung ebenso wie meine Kalenderführung erst 1974 beginnt, beruhen die Daten der Jahre 1972 und 1973 ausschließlich auf Erinnerungen. Terminlich verbürgt sind hierbei nur die ersten vier Konzerte, aufgrund meines Reisetagebuchs, das ich damals in England geführt habe.

Und so sieht die Liste aus:

1972: Edgar Broughton Band + Strife, Atomic Rooster + Strife, Chicken Shack + Brinsley Schwarz, Status Quo (alle Town Hall, Torquay, GB) 1972 + 1973: Jethro Tull, The Who + Golden Earring (Deutschlandhalle), Grand Funk Railroad (Deutschlandhalle, zur Zugabe eingelassen), Uriah Heep (Sportpalast, rübergeklettert), Frank Zappa, Pink Floyd/_Dark Side Of The Moon (Deutschlandhalle).
Titel
In tiefsten Schichten
Untertitel
Teil II der Reihe: Wichtige und bisher liegengebliebene Themen und Fragestellungen
EAN
9783960081302
ISBN
978-3-96008-130-2
Format
E-Book (epub)
Veröffentlichung
30.10.2015
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
0.64 MB
Anzahl Seiten
327
Jahr
2015
Untertitel
Deutsch
Auflage
1. Auflage.