Der Neoliberalismus ist ein Gas (Deleuze). Einem Gas kann man kaum Grenzen setzen. Aus der Ökonomie kommend strömt es ungehindert in alle Diskurse und Lebenswelten ein. Ökonomische Imperative greifen auf alle Sphären der Gesellschaft über - auf Schule, Familie, Gesundheitswesen, Kultur, Bildung usw. Die Gesellschaft ist zum Anhängsel des Marktes geworden. Wir treffen heute auf ein Phänomen, das in den Sozialwissenschaften als Werteverschiebung vom Postmaterialismus zum Neomaterialismus bezeichnet wird. Der Neomaterialismus steht für eine Grundhaltung, die postmaterielle Werte der '68er Generation wie Solidarität, Toleranz, idealistische Selbstverwirklichung und die Kritik an gesellschaftlicher Ungerechtigkeit und Unterdrückung durch ein neomaterialistisches Wertesetting ersetzt, in dem die beherrschenden Werte Sicherheit, Konsum, sozialer Aufstieg, Nutzenorientierung und Affirmation der gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Berechtigt ist nur, was sich vor dem Richterstuhl der ökonomischen Imperative bewähren kann. Was sich nicht verwerten lässt, wird exkludiert, auch wenn es sich dabei um Menschen handelt. In verschulten und autoritär reglementierten Universitäten, in denen Bildung durch die unkritische Akkumulation von Fachwissen und dessen Abprüfung im geistlosen Multiple-Choice-Verfahren verdrängt wird, werden die Jugendlichen systematisch für die Verwendung im Markt hergerichtet. Kritische Reflexionen sind nicht mehr gefragt. Bildung als Erziehung zur Freiheit, als Persönlichkeitsbildung, als Förderung von kreativen und ästhetischen Fähigkeiten, Bildung der "Gesinnung und des Charakters" (Humboldt) - alles längst verabschiedet und auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Am Ende verlässt schön verpacktes Humankapital die bildungsökonomisch hocheffizienten Ausbildungsfabriken. Doch die gut ausgebildeten Ungebildeten sind ängstliche Kreaturen. Mit begrenztem Horizont und engem Herz geht diese neue Elite durch die Welt, die Angst im Nacken, von anderen, ebenso "coolen" Charakteren wie sie selbst aus dem Feld geschlagen zu werden.

Autorentext

Bernhard Heinzlmaier ist seit über zwei Jahrzehnten in der Jugendforschung tätig. Er ist Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung und seit 2003 dessen ehrenamtlicher Vorsitzender. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.



Inhalt
Vorwort 7 Individualismus - Gemeinschaft - Gesellschaft 15 Über den Zwang zur Selbstverwirklichung unter neoliberalen Bedingungen Kultur und Bildung im Konkurrenzgetümmel 29 Über Humboldt, Sokrates und PISA-Pädadogik Keine Mission, keine Vision, keine Revolution? 45 Die postmoderne Jugend zwischen Pragmatismus und Idealismus Medien als jugendliche Inszenierungswelten 59 Das unternehmerische Selbst im Web 2.0 Krieg in den Städten 71 Was treibt die Ghetto-Kids zur Gewalt und wer trägt die Verantwortung? Jugend und Musik 79 Popkulturelles Kapital als relevante Wissensressource und Musikszenen als Lernorte Freizeit als Zeit der Selbstbestimmung? 99 Die Freizeitorientierung Jugendlicher in der Marktgesellschaft Jugendliche Freizeitkulturen in der Risikogesellschaft117 Posttraditionale Formen der Vergemeinschaftung, Mediennutzung und Sport Die Werte der Jugend in Zeiten der moralischen Krise 143 Wie ein egozentrischer Individualismus Gemeinschaftswerte unterminiert Marketing in einer juvenilen Kultur 171 Über die Notwendigkeit der Verallgemeinerung jugendkultureller Kommunikationsstile Literatur 189
Titel
Performer, Styler, Egoisten
Untertitel
Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben
EAN
9783943774450
ISBN
978-3-943774-45-0
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
13.05.2013
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
0.47 MB
Anzahl Seiten
196
Jahr
2013
Untertitel
Deutsch