Jahrzehnte lang gab Brenda Strohmaier alles für ihren Job, ihre Chefs, ihren Mann. Doch kurz vor 50 beschleicht sie die Angst, eine dieser verbitterten deutschen Frauen zu werden, die nach Giftmörderin aussehen. Als ihr jemand von Marseille vorschwärmt, fährt sie hin - und will sofort bleiben. Wegen des Lichts, der Leute und vor allem: der Langsamkeit. Sie lernt endlich Französisch, kauft eine Wohnung mit dem 'Charme der Vergangenheit' (= renovierungsbedürftig), kündigt mit großer Geste. Brenda Strohmaier ist wild entschlossen, den Kampf mit ihrem inneren Existenzangsthasen aufzunehmen. Und es gibt durchaus Chancen, dass sie ihn gewinnt.
Brenda Strohmaier, geboren 1971, lebt seit 1990 in Berlin. Als Stilredakteurin bei der WELT kümmert sie sich um Trends aller Art, auch in einer Kolumne namens »Neue Moden«. Nebenher promovierte sie in Stadtsoziologie. Von 2005 an war sie mit dem Filmkritiker Volker Gunske liiert, seit 2015 verheiratet, 2016 wurde sie Witwe. Seither versucht sie, dem Familienstand neuen Glamour zu verleihen.
Lustig, tragisch, radebrechend wie eine Frau in der Mitte des Lebens in Frankreich von vorne anfängt
Jahrzehnte lang gab Brenda Strohmaier alles für ihren Job, ihre Chefs, ihren Mann. Doch kurz vor 50 beschleicht sie die Angst, eine dieser verbitterten deutschen Frauen zu werden, die nach Giftmörderin aussehen. Als ihr jemand von Marseille vorschwärmt, fährt sie hin und will sofort bleiben. Wegen des Lichts, der Leute und vor allem: der Langsamkeit. Sie lernt endlich Französisch, kauft eine Wohnung mit dem Charme der Vergangenheit (= renovierungsbedürftig), kündigt mit großer Geste. Brenda Strohmaier ist wild entschlossen, den Kampf mit ihrem inneren Existenzangsthasen aufzunehmen. Und es gibt durchaus Chancen, dass sie ihn gewinnt.
Autorin steht für Veranstaltungen zur Verfügung
Autorentext
Brenda Strohmaier, geboren 1971 in München, zog 1990 nach Berlin und wurde zur Journalistin mit vielen Nebenberufungen. Sie promovierte dazu, wie man lernt, Berliner zu sein und begründete eine Sexualkunde-Veranstaltung für Erwachsene. Zuletzt arbeitete sie als Stilredakteurin bei WELT. 2016 wurde Brenda Strohmaier Witwe, 2019 wagte sie einen radikalen Neuanfang: Sie gab ihren Job auf und zog nach Marseille.
Leseprobe
1
Mit dem Mars-Rover in Rente
Mein neues Leben in Marseille begann im Januar 2016 in einer Warschauer Bar. Als Schnapsidee. Ich war für eine Reportage in der Stadt und abends mit meinem Schulkameraden Armin verabredet, der als Korrespondent aus Polen berichtete. Wir kannten uns aus der Oberstufe im Saarland, diesem schweinchenförmigen Mini-Bundesland an der französischen Grenze. Wir tranken irgendwas mit Wodka und wurden irgendwann nostalgisch. »Ich vermisse Frankreich«, sagte Armin plötzlich und dachte an all die Ausflüge ins Nachbarland, die zu unserem Leben im Grenzgebiet gehörten. »Moi aussi«, sagte ich. »Weißt du, Brenda, ich überlege, in Marseille in Rente zu gehen.« Marseille?
Im Spätsommer 2018 landete ich erstmals auf dem Flughafen Marseille Provence. Die Idee: Fünf Tage Städtetrip, einfach so aus Neugierde. Der Autoverleiher Sixt begrüßte mich auf dem Flugfeld mit dem Slogan »Auf die Eroberung des Mars«. »À la conquête de Mars«. Na dann. Ich war bereit. Ich shuttelte mit dem Bus L91 zum Bahnhof Saint-Charles und ließ mir von einem Kavalier den Koffer aus dem Busbauch hieven.
Tatsächlich wollte ich mich quasi ab dem Moment in Marseille zur Ruhe setzen, in dem ich wie ein Filmstar die monumentale Treppe hinab gen Stadt schritt. Na ja, franchement schleppte ich 23 Kilo Gepäck bei 31 Grad im Schatten 104 Stufen hinunter. In den Verschnaufpausen betrachtete ich neidisch die barbusigen Frauenskulpturen, die die Treppe säumten. Neidisch wegen der straffen Brüste, aber auch wegen der wetteradäquaten Nicht-Bekleidung. Unten angekommen ratterte ich mit dem Rollkoffer den Boulevard d'Athènes entlang, vorbei an Imbissen und einer Bettlerin, die um Geld für »un petit café« bat, hinein in Gassen voller Marktstände, Kippenverkäufer, arabischer Metzgereien, Taschendiebe.
Was für ein Empfang: Erst dieser Blick vom Bahnhofsvorplatz auf die Skyline, pardon, Panorama urbain, mit den Bergen am Horizont und der katholischen Notre-Dame de la Garde auf dem Hügel, dann dieses maghrebinische Gewusel mit Halal-Faktor mitten in der Stadt. Und all das eingetaucht in provenzalisches Licht, dessen Magie man am besten mit einem kleinen Seufzer beschreibt, gefolgt von »La lumière!«.
Hier wollte ich sein, hier wollte ich schwitzen, bis dass der Tod uns scheidet. Ich weiß, das ist, als würde man nach den ersten Minuten eines heißen Dates gleich die Hochzeit planen, im Falle des als schwer kriminell geltenden Marseilles sogar mit einem, der für häusliche Gewalt berüchtigt ist. Oder ist es eher so, als verliebe sich eine ältere Dame in den Handtaschenräuber, während der auf sie zustürmt? Von wegen die Rente ist sicher.
Ich ratterte mit meinem Koffer die Canebière hoch, die Straße, die vom Hafen in die Stadt hineinführt und vor 100 Jahren mal eine Prachtmeile gewesen sein soll. Nun lief ich vorbei am Touristenbüro, einer Seifenboutique, C&A, Trödelständen, Western Union. Ich ließ die mächtige Église des Réformés rechts liegen und schwitzte weiter auf der Zielgraden, dem Boulevard de la Libération, wo ich in einem stickigen Airbnb eincheckte. Dort verbrachte ich die Nacht mit der Jagd auf ausgehungerte Moskitos. Am nächsten Morgen machte ich mich blutarm, aber gut gelaunt auf die Suche nach Koffein und Nahrung. Ob Stechmücken uns »Kaffeesauger« nennen? Ich nahm zum Wachwerden un Crème vor der Brasserie auf dem Platz Stalingrad. Mein müdes Hirn versuchte sich vergeblich an einem Weltkriegswitz. An und unter den vielen Tischen um mich herum Einheimische aller Art, Papas und Mamas und wuselnde Kinder, Geschäftsfrauen, Morgenbiertrinker, Hunde. Raucher allüberall. Drei Bettler in zehn Minuten.
»Passen Sie auf Ihre Tasche auf!«, mahnte mich der Ober angesichts meines Rucksacks, der auf einem Stuhl neben mir saß. In Deutschland habe ich so was nur ein einziges Mal gehört, vor 20 Jahren im Bahnhof