Brigitte Werner, Jahrgang 1948, lebt und arbeitet im Ruhrgebiet, hat zehn Jahre Grundschulkinder unterrichtet und ist von ihnen belehrt worden, hat diese Chance genutzt und ist ausgestiegen in das prächtige Leben der Kreativität. Sie hat Geschichten erzählt, hat wunderbare Menschen gefunden und erfunden, hat in ihrem Kindermitspieltheater gespielt, gewerkelt und Stücke geschrieben, für die sie ein paar Preise gewonnen hat, und schreibt nun Bücher für Kinder und Erwachsene, am besten über eine mögliche andere, bessere Welt, an die sie fest glaubt. Sie gibt Literaturseminare und Workshops und hält viele Lesungen.
Autorentext
Brigitte Werner, geboren 1948, lebt und arbeitet im Ruhrgebiet und an der Schlei. Nach zehn Jahren Schuldienst ist sie umgestiegen in das Leben ohne festes Gehalt, ohne Chef und Vorschriften, aber mit einem Sack voller Lebensideen. Sie hat in ihrem Kindermitmachtheater gespielt und alle Stücke geschrieben, hat Geschichten gefunden und erfunden. Brigitte Werner gibt Literaturseminare und schreibt nun für Kinder und für Erwachsene. Ihr bisher erfolgreichstes Buch ist Kotzmotz der Zauberer. Ihr Bilderbuch WUM und BUM und die Damen DING DONG wurde von Gordon Kampe vertont, die Einspielung des Beethoven Orchesters Bonn wurde mit dem Medienpreis des Verbandes deutscher Musikschulen Leopold ausgezeichnet.
Leseprobe
1
Eines steht fest: Blöde Lehrer sollte man verbieten. Per Gesetz! Aber eigentlich war sie sonst nicht so blöd, eher das Gegenteil, ich meine Frau Schütte, unsere Deutschlehrerin. Sie tummelte sich auf meinem persönlichen Lehrerwertometer von Null bis Zehn immerhin bei Sieben oder Acht. Sie hatte sogar schon mal eine Neun plus, als sie es tatsächlich schaffte, die Klasse für eine Erzählung von Truman Capote zu begeistern. Da hieß die Hauptperson sogar Miriam. Erste Sahne.
Ja, und jetzt lässt sie die oberbescheuerte Referendarin alles vermasseln. Die ist so völlig neben der Spur, dass sie niemalsnicht mitkriegen würde, dass ihre Vorbereitungen bloßer Murks sind. Steht wahrscheinlich viel zu lange vor dem Spiegel, damit ihr perfektes Make-up stimmt, statt über Motivation und Stundenaufbau nachzudenken. Hat aber angeknabberte Fingernägel, was mich tatsächlich mal gerührt hat. Aber seit dieser völlig verkorksten Stunde nicht mehr. Und Frau Schütte lässt sie voll ins Messer laufen ist das eine didaktische Maßnahme, wie es so schön heißt? Die Referendarin von Frau Schütte will wohl unbedingt ihre Prüfung vermasseln. Ich kenne nur einen in unserer Klasse, der sich wirklich für ihr Thema: Lyrik zur Veranschaulichung der Kraft der Poesie (so oder so ähnliches Zeugs) interessiert, und das bin ich. Sie würde hinten rüberfallen, wenn sie wüsste, dass ich Sylvia Plath kenne und liebe, besonders die Zeilen mit den Sonnenwolken, die Schürzen haben, und mit dem Herz, das durch den Mantel blüht. Ja, und diese Sylvia Plath, die hat sich mit dreißig Jahren umgebracht, das hat Tante Greta mir erzählt. Na bitte, das sagt doch schon alles über Lyrik aus, das ist einfach ein schwerer Brocken.
Aber sie merkt s einfach nicht. Irgendetwas will sie in unserer Klasse erzwingen. Alle nagen gerade an einem Gedicht von Paul Celan rum, das einsame Spitze ist, das ich voll kapiere, aber niemals erklären könnte. Alle nagen daran herum wie an einem blitzblanken Knochen, der auch nicht mal ein Fitzelchen von einer schmackhaften Fleischfaser bietet. Und sie kaut uns irgendwas vor, was sie wohl in einer Zahnlücke versteckt hat.
Aber dann! Dann kommt die Hausaufgabe: Wir sollen einen Rotkohl durchschneiden, ihn ansehen und anschließend beschreiben. Es soll Poesie werden. Das Wort «Poesie» kann in unserer Klasse schon keiner mehr hören, weil Poesie als Unterrichtsfach einfach grässlich ist und jede Poesie schon im Keim erstickt. Was will uns der Dichter damit sagen? Und wehe, wir haben eine andere Idee, was der sagen wollte, als unsere Lehrer! Oder die Reclam-Heftchen. Oder was in anderen schlauen Büchern so steht. Ob die Dichter sich manchmal in ihrem Grab umdrehen? Aber holla! Manche werden dort unten bestimmt dauerkreiseln. Und jetzt dieser Rotkohl!
Die Klasse schweigt, ist total perplex. Alle fallen ins Koma.
Frau Schütte wagt ein hilfloses, aufmunterndes Lächeln. «Traut euch einfach!», sagt sie.
Und da trauen wir uns und prusten los, keiner wagt, den anderen anzusehen. «Rotkohl!», prusten wir, bis wir keine Luft mehr kriegen, so schüttelt es uns.
Später sitze ich in der Küche, Lady liegt neben den Rotkohlhälften auf dem Tisch und schweigt. Und ich begreife auf einmal, dass es tatsächlich Poesie ist, was ich da sehe, und ich meine nicht Lady, die ist sowieso das reinste Gedicht, nein, der aufgeschnittene Rotkohl mit seinen Wellenlinien aus reinem Weiß und tiefem Rot mit diesen Verdickungen und Zartheiten und diesen verschlungenen Aufun