Günther flieht vor dem Kind seiner Frau, weil dieses Kind ihm Angst macht. Jahre später, heimgekehrt, sucht er bei einem der namenlosen Gräber Trost und einen Ort, an dem er an seine Frau denken kann, die kurz nachdem er fortgegangen war, gestorben ist.

Eines Tages bemerkt er, dass ihn graue Kieselsteinaugen beobachten. Die Frau mag etwa sechzig sein, vielleicht auch noch nicht ganz. Beim besten Willen, ihr Alter kann man nicht schätzen. Sie setzt ihre große Sonnenbrille auf und steuert die Bank an. Günther rutscht ein wenig zur Seite. Beide schweigen. Die Frau greift sich an die Schläfe. Sie hat das Gefühl, dass man ihre Gedanken hören kann und sie weiß, wenn sie den Mund aufmacht, wird es aus ihr herausplatzen. Um sich abzulenken kneift sie sich ins Bein. Günther bemerkt die Unruhe der Frau und fühlt sich unbehaglich.



Autorentext

Ohne mich zu fragen, ob ich überhaupt am Leben teilnehmen will, wurde ich im Februar 1969 im beschaulichen Mecklenburg-Vorpommern geboren. Als jüngstes von zehn Geschwistern war ich vermutlich nicht geplant. Und so richtig außergewöhnlich ist die Geburt eines Kindes ja auch nicht mehr, wenn es schon neun vorher gab. Jedenfalls fühlte ich mich früh nicht zugehörig. Um ehrlich zu sein, ich denke - und vielleicht hoffe ich es sogar ein wenig, dass ich als Baby vertauscht wurde. Ich war so komplett anders als meine Geschwister, dass entweder der Genpool neu gemischt worden war oder aber... Die Optik sagt allerdings, dass zumindest meine Mutter, meine Mutter war und die Ähnlichkeit zu meiner ältesten Schwester ist so stark, dass ich heute schon weiß, wie ich in 20 Jahren aussehen werde.

Titel
Die Gräber der Namenlosen
EAN
9783750281684
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Veröffentlichung
12.02.2020
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
0.06 MB
Anzahl Seiten
12