Unterwegs sein. Pilgern auf dem Jakobsweg. Wandern auf dem Pacific Crest Trail, der die amerikanischen Bundesstaaten Kalifornien, Oregon und Washington durchläuft und bis nach Kanada führt. Eine Herausforderung, eine Selbstkasteiung, ein Ringen mit sich selbst. Hat man alle wichtigen Dinge dabei? Ist der Rucksack vielleicht zu schwer? Kann man noch auf einige Sachen verzichten? Erschöpfung, Überlastung, Schmerzen in den Knien. Und wieder die Ungewissheit, ob man noch eine Herberge findet oder im Zelt schlafen muss. Christine Schweinzers Aufzeichnungen einer Pilgerin über die Reise zu sich selbst und mit anderen sind eine Offenbarung, eine Huldigung an die Hiker dieser Welt. Hape Kerkelings 'Ich bin dann mal weg' darf man dann getrost vergessen und beiseitelegen ...

Leseprobe
Motivation:
Was steckt dahinter, hinter dem Wunsch, eine so lange Wanderung zu machen? Ich wandere gerne! Ich bin gerne draußen in der Natur. Ich bin gerne alleine. Das spielt sicher alles mit. Doch es geht um etwas anderes: Bald werde ich 60, meine Kinder sind erwachsen, und fürs Berufsleben bin ich zu alt. Ich habe Zeit, viel Zeit. Wie viel Lebenszeit, wer weiß das schon? Aber jeden Tag 24 Stunden, 7 Tage die Woche. Was mache ich damit? Ein bisschen lesen, etwas Neues lernen, mit dem Hund rausgehen, mich ehrenamtlich betätigen ... Ja, es gibt immer was zu tun. Und langweilig war mir noch nie in meinem ganzen Leben. Doch ich suche nach Sinn. Reicht es, sein Leben zu genießen? Hat ein Leben nur einen Sinn, wenn es für andere gut ist? Seit zwei Jahren bin ich nun draußen aus dem Berufsleben und mache immer, was ich will, wozu ich Lust habe. Und doch erscheint es mir nicht wünschenswert, dass es einfach so weitergeht. Eine Fortsetzung vom Ist-Zustand, nein, das will ich nicht! Der Sinn meines PCT besteht darin, herauszufinden, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen möchte. Ich höre ein ABER. Ja, natürlich könnte man, könnte ich den Jakobsweg gehen, wie so unzählige andere Suchende. Doch für mich ist das nichts. Da ist man zu wenig allein. Und, ich gebe es ja zu, die schönen Berglandschaften, durch die der PCT führt, gefallen mir viel besser als der Jakobsweg. Aber noch bin ich nicht losgegangen. Was haben Wandern und Erfolg gemeinsam?
Auf dem ersten Blick erscheint diese Frage seltsam, aber wollen wir uns das mal genauer anschauen. Bei beidem muss man sich aufraffen und den ersten Schritt machen. Ebenso wichtig ist es, ein Ziel zu haben. Schaut man sich erfolgreiche Menschen an, fragt sich kaum jemand, wie er so weit gekommen ist. Bei einer Gipfelbesteigung ist es eher offensichtlich: Es ist mit viel Mühe und Schweiß verbunden. Doch das allein reicht nicht. Es braucht Disziplin und Bestimmtheit. Auch pures Wollen allein ist nicht ausreichend. Je höher der Gipfel, umso mehr Planung und Vorbereitung braucht es. Erfolg und Wandern haben also vieles gemeinsam. Heute ist mir beim Wandern ein Satz eingefallen, der mich seit vielen Jahren begleitet: "Wenn man einmal aufgebrochen ist, um etwas zu tun, darf man nicht umkehren, ohne es getan zu haben." Charles de Foucauld Heute habe ich mal mehr darüber nachgedacht. Und erkannt, dass dieser Satz nicht immer anwendbar ist. Z. B. kann es unzählige vernünftige Gründe geben, warum eine Gipfelbesteigung abgebrochen werden muss. Weil tiefer Schnee liegt, weil ein Unwetter kommt oder man sich den Fuß verstaucht hat. Wenn man es ein bisschen anders sehen mag, passt der Satz trotzdem. Man ist aufgebrochen, und man hat nicht nur den ersten Schritt gewagt, sondern war eifrig unterwegs, ohne zu zögern. Und hier könnte man sagen: "Der Weg ist das Ziel!" Wandern und spirituelle Erfahrung
Natürlich ist es bekannt, dass beides irgendwie zusammenpasst, und es wurde viel darüber geschrieben. Es gibt Pilgerwege in allen Religionen, aber ich meine weder Religion noch Glauben. Bei und durch eine lange Nachtwanderung machte ich eine tiefe spirituelle Erfahrung. Eigentlich war es mir in der Nacht nicht bewusst, dass da etwas passiert ist. Obwohl wir eine Gruppe waren, war ich plötzlich in der Dunkelheit ganz allein. Kurz machte ich meine Stirnlampe aus, und da war es so dunkel, dass ich meine Hand vor dem Gesicht nicht sehen konnte. Ich marschierte den Lichtkegel der Stirnlampe entlang. Der schmale Weg war gut zu erkennen. Keine Ahnung, ob es eine oder zwei Stunden waren, bevor der Weg wieder aus dem Wald rausführte. Ich verspürte eine Verbundenheit mit allem, mit allen Menschen, aber auch Tieren und Pflanzen, mit allem, was atmet - und darüber hinaus mit den Steinen bis hin zum gesamten Universum, mit der ganzen Schöpf
Titel
Von San Diego nach Santiago
Untertitel
Pacific Crest Trail und Jakobsweg - 1300 km allein unterwegs
EAN
9783990649503
Format
E-Book (epub)
Herausgeber
Veröffentlichung
31.07.2020
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
0.93 MB
Anzahl Seiten
174
Features
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet