Seit Mitte der 1990er Jahre sind Deutschland und Frankreich mit hoher Arbeitslosigkeit, finanziell überforderten Sozialsystemen und wachsender Staatsverschuldung konfrontiert. Während andere OECD-Staaten ähnliche Probleme rasch überwinden konnten, wurden wirtschafts- und sozialpolitische Reformen in Frankreich und Deutschland eher zögerlich umgesetzt. In dieser Untersuchung wird aufgezeigt, unter welchen politisch-institutionellen Bedingungen die Durchsetzung umfangreicher Reformen gelang und warum manche Reformversuche scheiterten. Dabei ergibt sich der Befund, dass die Reformfähigkeit einer Regierung in hohem Maße von deren Handlungsstrategie bestimmt wird, durch die die Wirkung vermeintlicher institutioneller Reformhürden und Handlungsressourcen in ihr Gegenteil verkehrt werden kann
Bürgerliche und sozialdemokratische Wirtschafts- und Sozialpolitik
Vorwort
Bürgerliche und sozialdemokratische Wirtschafts- und Sozialpolitik
Autorentext
Dr. Christoph Egle ist wissenschaftlicher Assistent an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Zusammenfassung
Deutschland und Frankreich als reformpolitische Problemfälle Im Vergleich mit anderen westlichen Industrieländern gelten die Bundesrepublik Deuts- land und Frankreich seit den 1990er Jahren als reformpolitische Problemfälle. Gemessen an einigen zentralen Indikatoren, die zur Bewertung der wirtschafts- und sozialpolitischen Performanz einer Volkswirtschaft und eines politischen Gemeinwesens üblicherweise - rangezogen werden (z. B. Wirtschaftswachstum, Staatsverschuldung, Arbeitslosen- und Beschäftigungsquote), schneiden beide Länder schlechter ab als die meisten anderen St- ten dieser Gruppe. Galt das Modell Deutschland bis in die 1980er Jahre als ein Vorbild an ökonomischer Prosperität und hohem wohlfahrtsstaatlichen Leistungsniveau, wurde die ökonomische Entwicklung in Deutschland in den vergangenen Jahren als der Abstieg eines Superstars interpretiert (Steingart 2004). Noch alarmistischer fragte der Ökonom Hans-Werner Sinn (2004), ob Deutschland überhaupt noch zu retten sei. Auch in Fra- reich wurden in jüngerer Zeit zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher ähnlichen Inhalts veröffentlicht, unter anderem Nicolas Baverez (2003) La France qui tombe und Alain Duhamels (2003) Le désarroi français. Die Debatte über eine als ungenügend bewertete wirtschafts- und sozialpolitische - passung an neue Herausforderungen und Probleme wird in beiden Ländern jedoch schon seit längerer Zeit geführt. So kürte die Gesellschaft für deutsche Sprache bereits im Jahr 1997 den Begriff des Reformstaus zum Wort des Jahres, worin sich die in den 1990er Jahren zunehmend verbreitete Auffassung niederschlug, das politische System der Bundesrepublik sei nicht (mehr) in der Lage, problemadäquate politische Reformen hervorzubringen. Auch in Frankreich wird seit gut einem Jahrzehnt über Ausmaß und Ursache einer diagnostizierten wirtschafts- und sozialpolitischen malaise diskutiert (z. B.
Inhalt
Problemkontext und Reformbedarf.- Parteiendifferenz und institutioneller Kontext in Frankreich und Deutschland.- Bürgerliche und sozialdemokratische Reformpolitik in Frankreich.- Bürgerliche und sozialdemokratische Reformpolitik in Deutschland.- Reformfähigkeit, Reformhürden und Handlungsressourcen in vergleichender Analyse.- Resümee und Schlussfolgerungen.