Sollten die Zusammenhänge dieser Welt einmal aufgelöst sein, man wäre froh, das Buch 'Aus der Zuckerfabrik' von Dorothee Elmiger zu finden, um zu verstehen, was in der Vergangenheit vor sich ging.
'My skills never end' steht auf dem T-Shirt eines Arbeiters, der gerade seinen Lohn ausbezahlt bekommt. Am Strand einer karibischen Insel steht der erste Lottomillionär der Schweiz und blickt aufs Meer hinaus. Nachts drängen sich Ziegen am Bett der Autorin. Dorothee Elmiger folgt den Spuren des Geldes und des Verlangens durch die Jahrhunderte und die Weltgegenden. Sie entwirft Biographien von Mystikerinnen, Unersättlichen, Spielern, Orgiastinnen und Kolonialisten, protokolliert Träume und Fälle von Ekstase und Wahnsinn. Aus der Zuckerfabrik ist die Geschichte einer Recherche, ein Journal voller Beobachtungen, Befragungen und Ermittlungen. Ein Text, der den Blick öffnet für die Komplexität dieser Welt.
Dorothee Elmiger, geboren 1985, lebt und arbeitet in Zürich. 2010 erschien ihr Debütroman "Einladung an die Waghalsigen", 2014 folgte der Roman "Schlafgänger" (beide DuMont Buchverlag). Ihre Texte wurden in verschiedene Sprachen übersetzt und für die Bühne adaptiert. Dorothee Elmiger wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt, dem Rauriser Literaturpreis, einem Werkjahr der Stadt Zürich, dem Erich Fried-Preis und einem Schweizer Literaturpreis.
Autorentext
Dorothee Elmiger, geboren 1985 in der Schweiz, lebt als freie Autorin und Übersetzerin in New York. Ihre Bücher »Einladung an die Waghalsigen« (2010), »Schlafgänger« (2014) und »Aus der Zuckerfabrik« (2020) wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, für die Bühne adaptiert und vielfach ausgezeichnet.
Leseprobe
Plaisir
Immer scheint jetzt schon die Sonne, wenn ich aufwache.
Im Fernsehen ein Dokumentarfilm über eine Ananasfarm in der Nähe von Santo Domingo. Weiter, weiß bewölkter Himmel. In den Feldern werfen sich die haitianischen Arbeiter die reifen Früchte zu.
Dann tritt der Ananaskönig ins Bild, er steht auf dem Acker und redet in die Kamera. Bevor er die 180 Hektar in den Achtzigerjahren kaufte, war er Gemüsebauer im Zürcher Unterland.
Die Sembradores setzen die Setzlinge im Akkord in die Erde.
Der Ananaskönig misst für das Fernsehen den Zuckergehalt seiner Früchte.
Später zahlt er die Löhne aus.
Auf dem T-Shirt eines Arbeiters: MY SKILLS NEVER END
Ein zweiter Film: Der Schnapsbrenner Karl Feierabend aus Rotkreuz, der in die Tropen auswanderte, um Großbauer zu werden, treibt auf seinem Pferd vier Gänse vor sich her durch die grüne Landschaft. Gräser, Wiesen, Palmgewächse. Der Himmel ganz farblos.
Nachricht aus Frankreich: Ich soll im Winter an einer Schule in einem Pariser Vorort über meine Arbeit sprechen. Die Schulleiterin, teilt man mir mit, wolle mich mit dem Auto im Quartier Latin abholen und nach Plaisir fahren, wo sich das Collège Guillaume Apollinaire befindet, und anschließend auch wieder zum Hotel zurückbringen.
Die behelfsmäßigen Erklärungen, wenn jemand fragt, woran ich arbeite.
Der philadelphische Parkplatz ( NEW WORLD PLAZA )
Das Begehren
Zucker, LOTTO , Übersee
Annette beim Abendessen: Sie habe vor zwei Jahren den Roman eines australischen Schriftstellers gelesen, in dem eine lange Reihe von plötzlich aufscheinenden Bildern beschrieben werde, Bilder, die sich gegenseitig hervorriefen, also in einer zumindest losen Verbindung stünden und so eine Art Pfad bildeten, einen leuchtenden Pfad, der durch die Dinge hindurchführe.
Wenn ich meine Hefte und Kopien durchblättere, die Abbildungen, Schemata und Fotografien, wenn ich die im Verlauf der vergangenen Monate erstellten Dateien öffne, sehe ich keinen Pfad, keine sich an den Rändern überlagernden, aufeinander hinweisenden Bilder, Illuminationen, sondern einen Platz, einen Punkt, von dem ich vor vier oder fünf Jahren ausgegangen bin; seither habe ich alles, was mir in die Hände fiel, alles, was ich so sah, das in einem Zusammenhang mit diesem ersten Ort zu stehen schien, dorthin zurückgetragen und vorläufig abgestellt auf diesem weitläufigen Platz.
So auch die Eiben aus dem Schlosspark von Plaisir, die wie Zuckerstöcke geschnitten sind. Das Einkaufszentrum im Norden der Stadt ( GRAND PLAISIR ), la mosquée de Plaisir.
Es gibt an diesem Ort keine feststehende Ordnung: Mit jedem Gang durch das Chaos, über die Ananasfelder von Monte Plata, durch die Pariser Vorstädte oder den längst verlassenen Garten eines Sanatoriums, über die sizilianischen Berge, vorbei an den Russischen Bädern von Philadelphia zu den Ufern des Swan River in Australien, scheinen die Dinge in neue Verhältnisse zueinander zu treten.
Durch die Landschaften, diese versuchsweise Anordnung der Dinge, diesen essai hindurch kehre ich immer wieder zurück zu jener einen Szene, in der sich mir damals, als ich sie zum ersten Mal sah, etwas zu zeigen schien, das ich nicht formulieren, sondern höchstens wiederfinden konnte in Verhältnissen von ähnlicher, von analoger Struktur, als Verwandtschaften, Wiederholungen, Parallelen.
1986: Die Männer, die dicht gedrängt im niedrigen Saal eines Gasthauses in Spiez, am südlichen Ufer des Thunersees, stehen, zwischen ihnen die Söhne, Jungen von zwölf, dreizehn Jahren vielleicht, und einige Frauen, Ehefrauen, Mütter. Das warme Licht, das die versammelte Bevölkerung des Ortes, die sich bis in den Flur hinaus drängt, beleuchtet. Jener schließlich, dem sich alle zuwenden in diesem A
'My skills never end' steht auf dem T-Shirt eines Arbeiters, der gerade seinen Lohn ausbezahlt bekommt. Am Strand einer karibischen Insel steht der erste Lottomillionär der Schweiz und blickt aufs Meer hinaus. Nachts drängen sich Ziegen am Bett der Autorin. Dorothee Elmiger folgt den Spuren des Geldes und des Verlangens durch die Jahrhunderte und die Weltgegenden. Sie entwirft Biographien von Mystikerinnen, Unersättlichen, Spielern, Orgiastinnen und Kolonialisten, protokolliert Träume und Fälle von Ekstase und Wahnsinn. Aus der Zuckerfabrik ist die Geschichte einer Recherche, ein Journal voller Beobachtungen, Befragungen und Ermittlungen. Ein Text, der den Blick öffnet für die Komplexität dieser Welt.
Dorothee Elmiger, geboren 1985, lebt und arbeitet in Zürich. 2010 erschien ihr Debütroman "Einladung an die Waghalsigen", 2014 folgte der Roman "Schlafgänger" (beide DuMont Buchverlag). Ihre Texte wurden in verschiedene Sprachen übersetzt und für die Bühne adaptiert. Dorothee Elmiger wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Aspekte-Literaturpreis für das beste deutschsprachige Prosadebüt, dem Rauriser Literaturpreis, einem Werkjahr der Stadt Zürich, dem Erich Fried-Preis und einem Schweizer Literaturpreis.
Autorentext
Dorothee Elmiger, geboren 1985 in der Schweiz, lebt als freie Autorin und Übersetzerin in New York. Ihre Bücher »Einladung an die Waghalsigen« (2010), »Schlafgänger« (2014) und »Aus der Zuckerfabrik« (2020) wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt, für die Bühne adaptiert und vielfach ausgezeichnet.
Leseprobe
Plaisir
Immer scheint jetzt schon die Sonne, wenn ich aufwache.
Im Fernsehen ein Dokumentarfilm über eine Ananasfarm in der Nähe von Santo Domingo. Weiter, weiß bewölkter Himmel. In den Feldern werfen sich die haitianischen Arbeiter die reifen Früchte zu.
Dann tritt der Ananaskönig ins Bild, er steht auf dem Acker und redet in die Kamera. Bevor er die 180 Hektar in den Achtzigerjahren kaufte, war er Gemüsebauer im Zürcher Unterland.
Die Sembradores setzen die Setzlinge im Akkord in die Erde.
Der Ananaskönig misst für das Fernsehen den Zuckergehalt seiner Früchte.
Später zahlt er die Löhne aus.
Auf dem T-Shirt eines Arbeiters: MY SKILLS NEVER END
Ein zweiter Film: Der Schnapsbrenner Karl Feierabend aus Rotkreuz, der in die Tropen auswanderte, um Großbauer zu werden, treibt auf seinem Pferd vier Gänse vor sich her durch die grüne Landschaft. Gräser, Wiesen, Palmgewächse. Der Himmel ganz farblos.
Nachricht aus Frankreich: Ich soll im Winter an einer Schule in einem Pariser Vorort über meine Arbeit sprechen. Die Schulleiterin, teilt man mir mit, wolle mich mit dem Auto im Quartier Latin abholen und nach Plaisir fahren, wo sich das Collège Guillaume Apollinaire befindet, und anschließend auch wieder zum Hotel zurückbringen.
Die behelfsmäßigen Erklärungen, wenn jemand fragt, woran ich arbeite.
Der philadelphische Parkplatz ( NEW WORLD PLAZA )
Das Begehren
Zucker, LOTTO , Übersee
Annette beim Abendessen: Sie habe vor zwei Jahren den Roman eines australischen Schriftstellers gelesen, in dem eine lange Reihe von plötzlich aufscheinenden Bildern beschrieben werde, Bilder, die sich gegenseitig hervorriefen, also in einer zumindest losen Verbindung stünden und so eine Art Pfad bildeten, einen leuchtenden Pfad, der durch die Dinge hindurchführe.
Wenn ich meine Hefte und Kopien durchblättere, die Abbildungen, Schemata und Fotografien, wenn ich die im Verlauf der vergangenen Monate erstellten Dateien öffne, sehe ich keinen Pfad, keine sich an den Rändern überlagernden, aufeinander hinweisenden Bilder, Illuminationen, sondern einen Platz, einen Punkt, von dem ich vor vier oder fünf Jahren ausgegangen bin; seither habe ich alles, was mir in die Hände fiel, alles, was ich so sah, das in einem Zusammenhang mit diesem ersten Ort zu stehen schien, dorthin zurückgetragen und vorläufig abgestellt auf diesem weitläufigen Platz.
So auch die Eiben aus dem Schlosspark von Plaisir, die wie Zuckerstöcke geschnitten sind. Das Einkaufszentrum im Norden der Stadt ( GRAND PLAISIR ), la mosquée de Plaisir.
Es gibt an diesem Ort keine feststehende Ordnung: Mit jedem Gang durch das Chaos, über die Ananasfelder von Monte Plata, durch die Pariser Vorstädte oder den längst verlassenen Garten eines Sanatoriums, über die sizilianischen Berge, vorbei an den Russischen Bädern von Philadelphia zu den Ufern des Swan River in Australien, scheinen die Dinge in neue Verhältnisse zueinander zu treten.
Durch die Landschaften, diese versuchsweise Anordnung der Dinge, diesen essai hindurch kehre ich immer wieder zurück zu jener einen Szene, in der sich mir damals, als ich sie zum ersten Mal sah, etwas zu zeigen schien, das ich nicht formulieren, sondern höchstens wiederfinden konnte in Verhältnissen von ähnlicher, von analoger Struktur, als Verwandtschaften, Wiederholungen, Parallelen.
1986: Die Männer, die dicht gedrängt im niedrigen Saal eines Gasthauses in Spiez, am südlichen Ufer des Thunersees, stehen, zwischen ihnen die Söhne, Jungen von zwölf, dreizehn Jahren vielleicht, und einige Frauen, Ehefrauen, Mütter. Das warme Licht, das die versammelte Bevölkerung des Ortes, die sich bis in den Flur hinaus drängt, beleuchtet. Jener schließlich, dem sich alle zuwenden in diesem A
Titel
Aus der Zuckerfabrik
Autor
EAN
9783446268487
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Genre
Veröffentlichung
17.08.2020
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
3.3 MB
Anzahl Seiten
272
Features
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet
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