In seinem autobiographischen Bericht beschreibt Dschabra Ibrahim Dschabra, einer der grossen Dichter und Romanciers der zeitgenössischen arabischen Literatur, seine Kindheit im Bethlehem der zwanziger Jahre. In diesem Schmelzpunkt dreier Weltreligionen, aber auch Ort des immerwährenden Konflikts zwischen Orient und Okzident, wuchs der Autor als Sohn armer arabischer, der christlichen Tradition stark verbundener Eltern auf. Eindrücklich und farbig schildert er seinen ersten Lebensabschnitt, der für ihn 'eine magische Anziehungskraft besitzt, die ewig rätselhaft bleiben wird'.

Geboren 1920 in Bethlehem. Studium der Anglistik in Cambridge. Dozent für englische Literatur an der Universität in Jerusalem. Nach der Vertreibung aus Palästina 1948 ging er ins Exil in den Irak, wo er bis zu seinem Tod Ende 1994 lebte. Sein literarisches Werk umfasst sechs Romane, eine Erzählungssammlung und drei Gedichtbände; ausserdem war er als Übersetzer englischsprachiger Literatur ins Arabische und als Literaturkritiker tätig.

Autorentext

Geboren 1920 in Bethlehem. Studium der Anglistik in Cambridge. Dozent für englische Literatur an der Universität in Jerusalem. Nach der Vertreibung aus Palästina 1948 ging er ins Exil in den Irak, wo er bis zu seinem Tod Ende 1994 lebte. Sein literarisches Werk umfasst sechs Romane, eine Erzählungssammlung und drei Gedichtbände; ausserdem war er als Übersetzer englischsprachiger Literatur ins Arabische und als Literaturkritiker tätig.



Leseprobe
Zum Geleit

Eigentlich wollte ich eine vollständige Autobiographie schreiben. Immerhin habe ich selber die Schriftsteller meiner Generation dauernd dazu aufgefordert, ihre Lebenserinnerungen zu Papier zu bringen. Sie sollten den Wandel, die Entwicklung, den Kampf festhalten, die Dinge, die ihr Leben, das Leben jedes einzelnen von uns, ja unser ganzes Zeitalter geprägt haben. Doch ich musste feststellen, dass ich dazu nicht in der Lage war, ohne auf eine ungeheure Menge Aufzeichnungen aus all den Jahren, vor allem Briefe, zurückzugreifen. Und das sind Tausende, auf arabisch und englisch, aus aller Herren Länder. Unmöglich, sie alle durchzusehen! Ausserdem habe ich nur einen Teil aufgehoben. Ich musste einsehen, dass ich ohne all diese Briefe auf nichts weiter als auf meine lückenhaften Erinnerungen, auf ungeordnete Bruchstücke angewiesen wäre.

Also beschloss ich, lediglich die ersten Jahre meines Lebens aufzuschreiben, beginnend mit den ersten Kindheitserinnerungen bis hin zum Studium in England. Als ich anschliessend nach Jerusalem zurückkehrte, den Hitzkopf voller widersprüchlicher Ideen, war ich gerade vierundzwanzig Jahre alt. Doch dann hatte ich das Gefühl, dass allein meine Studienjahre in Exeter, Cambridge und kurzzeitig auch in Oxford einen ganzen Band füllen würden, wenn ich ehrlich und genau sein wollte. Deshalb sagte ich mir: Ich schreibe lieber erst einmal alles bis zu meinem neunzehnten Lebensjahr auf. Das ist das Alter - auf zwei Wochen genau -, in dem ich Jerusalem verliess, um in England zu studieren. Das Ende eines Lebensabschnitts und der Beginn eines neuen.

Wie dem auch sei, jene ersten Jahre meines Lebens waren so reich an Erlebnissen und persönlichen Erfahrungen, dass sie durchaus eine zusammenhängende Darstellung verdienen. Darüber zu schreiben könnte spannend werden, aber auch schwierig, und vielleicht würde ja die Schilderung der Kindheit den Einstieg in den folgenden Lebensabschnitt erleichtern. Als ich jedoch die allerersten Eindrücke meiner Kindheit aufschrieb, fand ich, dass ich mich sehr beschränken und vieles weglassen müsste, um zu einem Ende zu kommen. Noch einmal musste ich feststellen, dass die Etappe, die ich mir zu schildern vorgenommen hatte, viel zu lang war. Die Kindheit ist eine Sache, das Erwachsenwerden eine andere. Obwohl das eine im Grunde nur die Fortsetzung des anderen darstellt - unter einem weiteren Blickwinkel eben -, ist es doch selbst so reich und vielfältig mit seinen Wonnen und Schmerzen, Liebesgeschichten und Freundschaften, dass dem nur mit einem zweiten Buch Genüge getan werden kann. Daher habe ich mich entschlossen, es bei den ersten zwölf Jahren meines Lebens bewenden zu lassen, genauer gesagt bei sieben oder acht davon, bis zum Jahre 1932, als ich mit meinen Eltern von Bethlehem nach Jerusalem zog - ein Ereignis, das für alles Weitere entscheidend war.

Als ich mich mit den Ereignissen meiner Kindheit zu beschäftigen begann, merkte ich, dass ich nach mehr als vierzig Jahren Schriftstellerei eine Menge davon bereits in Artikeln, Kurzgeschichten und besonders in meinen Romanen verarbeitet hatte. Sollte ich einiges davon als erläuternde oder erzählende Passagen im neuen Rahmen einer Autobiographie verwenden? Nein, das würde ich nicht tun. Das, was ich über meine Kindheit in Erzählungen und Romanen geschrieben hatte, sollte so bleiben, wie es war. Die Leser mochten es interpretieren, wie es ihnen gefiel. Ich musste nehmen, was ich noch nirgendwo festgehalten hatte. Und das war nicht wenig.

Ich erinnere mich an einen Tag im Jahre 1945, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In einem Café in Jerusalem lernte ich eine charmante, intelligente Frau kennen. Heidi Lloyd hiess sie. Sie erzählte mir, dass sie Bildhauerin sei und in Bagdad studiere. Ihr Mann sei ein bekannter Archäologe. Zu jener Zeit war ich gerade Präsident des Künstlerclubs und Dozent für englische Literatur an der Raschîd-Sc
Titel
Der erste Brunnen
Untertitel
Eine Kindheit in Palästina
Übersetzer
EAN
9783857879418
ISBN
978-3-85787-941-8
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
10.12.2015
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
2.93 MB
Anzahl Seiten
260
Jahr
2015
Untertitel
Deutsch