Der »Danzig-Korridor« teilt nach dem 1. Weltkrieg das Deutschen Reich, gibt Polen einen Hafen. Mit völkischem Effekt. Gelegenheitspoeten im Berlin der wilden 20er Jahre strebten in einem Café nach Ruhm und weiblicher Gunst, ertränken ihre Banalität in Absinth. Damian übersetzt kritische Verse eines polnischen Rebellen. Mit Zuhörerin Franziska kommt es zur Romanze. Parallel gerät ein Mann in den Kreis der Münchener Thule-Bewegung, wird Mitglied. Später schreibt er für ein verschwörerisches Blatt in Berlin und in Erwartung seiner großen Aufgabe. Mordfälle im Umfeld der Dichter deuten auf Gefahr für Damian. Als er in den »Korridor« reist, spürt er die Häscher. Auf einer Beerdigung treffen die Ansichten zu »Blut und Boden« hart aufeinander. Nach und nach entschlüsseln sich die gegensätzlichen Motive der handelnden Personen.

Autorentext
Ekkehart Opitz, geboren 1967 in Hamburg, wuchs auf im kulturellen Umfeld Tübingens, jobbte bereits als Abiturient im Kulturverein »Club Voltaire« und absolvierte kulturelle Studien in Baden-Württemberg und Lüneburg. 1996 kehrte er nach Hamburg zurück und wirkt seither kreativ im Stadtteil St. Pauli. Unterstützt vom Goethe-Institut tourte er in den 90ern mit drei polnischen Musikern und der Performance »KettenSeele« über Polens junge Bühnen. Dabei entstanden viele Freundschaften und die Idee zu diesem Buch.

Leseprobe
Leseprobe »Im Korridor« / Ekkehart Opitz »Der Gang des Lebens, mein Freund. Gehen Sie jetzt langsam vorwärts.« Vorsichtig schob der Mann seinen rechten Fuß voran, dann zog er den linken nach. Nach wenigen kurzen Schritten stieß er an einen Widerstand. Die helfenden Hände umklammerten ihn etwas fester. Mit der Schuhspitze des anderen Fußes ertaste er die Höhe des Hindernisses. Es war in etwa die Höhe einer Stufe. Der Mann atmete tief ein. Eine Treppe also. Die brummenden Stimmen wurden lauter. Mit etwas mehr Zuversicht ertastete er die zweite Stufe, dann langsam auf die dritte. Dankbar spürte er die haltenden Hände der anderen. Als er die vierte Stufe erklommen hatte, neigte sich diese plötzlich nach vorn, er verlor das Gleichgewicht. Sofort verlagerte er sein Gewicht wieder nach hinten. Was war das? Ohne es zu merken, biss er in den Stoff der Kapuze. Schweiß drang ihm aus den Poren und lief über die Augen. Umsichtig schob er nur seinen Oberkörper nach vorn. Erneut begann die Treppe zu schwanken. Ganz langsam setzte er den nächsten Schritt. Je mehr er sich vorwagte, desto mehr begann sich ebenfalls alles nach vorn zu neigen. Die Gesänge waren lauter geworden. Das hintergründige Brummen war in Worte übergegangen, die er nicht verstand. Dann fiel ihm wieder Sebottendorfs Satz ein: »So wie wir hinaufgehen, so gehen wir auch hinunter.« Was hatte er damit gemeint? Dann nahm der Mann allen Mut zusammen, löste die Balance auf und trat mit dem angewinkelten Fuß auf die fünfte Stufe. In diesem Moment kippte die gesamte Treppe nach vorn, er hielt seinen Körper aufrecht, umklammerte die ihm gereichten Hände. Schon fiel die Treppenkonstruktion auf der anderen Seite krachend auf den Boden. Der Schlag hallte als dumpfes Echo durch das Gewölbe. Eine Schaukel. Natürlich. Schnell lief er die restlichen Treppenstufen hinunter. Schließlich stand er wieder auf dem unebenen Höhlenboden. Unmerklich hatten sich seine Hände in die seiner Helfer verklammert. »Sie können loslassen«, hörte er Sebottendorf sagen, während ihm jemand die Kapuze vom Gesicht nahm. Er schaute sich um. Vor ihm standen mit feurig flackernden Fackeln in dem Händen Mitglieder der Thule. Ihr Gesang war verstummt. Es war ein ungewöhnlicher Ort. Die Höhlendecke sah aus wie wellige Insektenhaut. Hinter ihnen ragte im Fackelschein eine neunstufige Treppe wie ein Denkmal empor. Ein Aufgang in den Olymp. »Loslassen«, erinnerte ihn Sebottendorf, dann schlug er zweimal kräftig auf die den Mann noch noch immer festhaltenden Hände, die schnalzend auseinander gingen. In diesem Moment passierte es. Frei! Er war frei. Es fühlte sich unglaublich an. Frei. Tief sog er die muffige Luft der Höhle in seine Lungen. Irgendetwas hatte sich ein für alle Mal von ihm entkoppelt. Der jahrelange Druck in seinem Kopf war fort. Entspannt atmete er aus, sah in die lächelnden Gesichter der Männer, denen er ein Mitstreiter sein wollte. Langsam ging er bewundernd an der steinernen Treppe vorbei, über die er gekommen war. Sie war wie eine Wippe gelagert, sobald der Zenit überschritten war, neigte sie sich in die andere Richtung. »Guido von List hat sie eines Tages bei seinen Streifzügen gefunden. Keiner weiß, wo sie herkommt und was sie bedeutet. Sehen Sie, es gibt Dinge, die weit vor unserer Zeit gebaut wurden, aber deren Bedeutung nur wir wirklich verstehen. Wie fühlen Sie sich?« »Wie neu geboren. So als hätte ich zuvor gar nicht gelebt«, sagte der Mann. Sebottendorf und andere lachten. »Nehmen Sie einen Schluck.« Von der Seite wurde ihm ein Pokal gereicht. Der Mann roch den roten schweren Wein darin, dann nahm er einen tiefen Schluck. Und wieder hörte er das Brummen der Anwesenden nur heiterer gestimmt. Er wusste, was zu tun war, und so trank er den Kelch bis auf den letzten Tropfen leer.
Titel
Im Korridor
Untertitel
Absinth, Verführung und Poeten-Morde. Ein historischer Roman zwischen Berlin und Danzig um 1920
EAN
9783948218683
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Veröffentlichung
18.12.2025
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
3.82 MB
Anzahl Seiten
296
Auflage
Erstauflage
Lesemotiv