Elizabeth Subercaseaux, 1945 in Chile geboren, ist die Ururenkelin von Robert Schumann. Als Journalistin arbeitete sie in Chile 17 Jahre im Untergrund, heute ist sie dort eine gefeierte Bestsellerautorin. Mit ihren von der Presse hochgelobten Romanen 'Eine Woche im Oktober' und 'Eine fast perfekte Affäre' begeisterte sie auch die deutschsprachigen Leser.
Autorentext
Elizabeth Subercaseaux, 1945 in Chile geboren, ist die Ururenkelin von Robert Schumann. Als Journalistin arbeitete sie in Chile 17 Jahre im Untergrund, heute ist sie dort eine gefeierte Bestsellerautorin. Mit ihren von der Presse hochgelobten Romanen "Eine Woche im Oktober" und "Eine fast perfekte Affäre" begeisterte sie auch die deutschsprachigen Leser.
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DIE ANKÜNDIGUNG
Die Stille des kleinen Zimmers, in dem wir uns befanden, fiel mir erst auf, als ich das Geflatter einer zwischen Lampenschirm und Glühbirne gefangenen Fliege wahrnahm. Nicht der kleinste Laut drang von der Straße herauf. So als wäre die Außenwelt verschwunden. Leonel lag ausgestreckt auf dem Bett und blickte zur Decke, vollkommen gelöst und entspannt, so still und stumm, als wäre er gar nicht da. Er hatte die Zigarette ausgedrückt, und der weiße Rauch strich noch durch die Luft des Raumes. Ich saß mit angezogenen Beinen neben ihm, das Kinn auf die Knie gestützt.
»Seltsam, wie sich die Dinge manchmal ergeben«, sagte ich.
Leonel antwortete nicht.
»Findest du das alles nicht sehr sonderbar? Manchmal frage ich mich, ob nicht alles seit jeher festgelegt ist. Was meinst du? Vielleicht wurden wir beide mit der Bestimmung geboren, uns genau in diesen Stunden zu lieben. Wenn ich darüber nachdenke, läuft es mir kalt über den Rücken. Das hieße, alles ist im Voraus beschlossen und das Leben lässt einem keine Wahl. Mir ist die Vorstellung lieber, dass uns innerhalb gewisser Grenzen Entscheidungsfreiheit gegeben ist und wir unser Schicksal teilweise in der Hand haben. Was meinst du?«
Wieder erhielt ich keine Antwort.
Da schaute ich ihn erneut an. Vollkommen reglos lag er neben mir, die Augen auf die weiße Decke gerichtet. Sie waren offen, unbewegt, starr und, oh Gott, blicklos, stumpf, erloschen. Er hatte nicht den leisesten Seufzer von sich gegeben, und auf seinem Gesicht lag der Friede einer Marmorstatue.
So ging sein Leben zu Ende. Ohne einen Laut, ohne ein Zeichen, ohne den kleinsten Wink. Wie wenn ein Vogel leise davonfliegt.
Ich dachte anfangs, ich wäre es gewesen, die ihn mit meinem Unglück angesteckt hatte, ich wäre es gewesen, die zu einer Art verkehrtem König Midas geworden war, und alles, was ich berührte, verwandle sich in Tod. Ich fühlte mich für seinen Tod verantwortlich, so wie bisweilen für meinen eigenen näher rückenden Tod. Aber jetzt wird mir klar, dass ich, mag auch diese unheilvolle Krankheit das Vorzeichen meines eigenen Endes sein, nichts mit dem Sterben meines Geliebten zu tun hatte. Leonels Tod hatte seine eigene Geschichte, und die hatte eine Woche zuvor begonnen, an jenem Samstag in meinem Obstgarten, als ich die sonderbare alte Frau neben den Pflaumenbaum pinkeln sah.
An jenem Morgen, Samstag, dem 9. Oktober, jätete ich Unkraut in dem Stück Erde, in das ich die Tomaten pflanzen wollte, als mich plötzlich ein sehr sonderbares Gefühl beschlich, ähnlich dem, das mich als Kind erfasst hatte, als wir meine Großmutter auf dem Friedhof von Molco beerdigten. Etwas war mit dem Wesen der Dinge geschehen, so als wären die Pflaumenbäume, die Clemente gepflanzt hatte, die Farne, die Erde, die ich eben noch so behutsam umgegraben hatte, und sogar ich selbst von einer neuen Gegenwart erfüllt. Ich blickte zum Himmel auf und sah, dass er sich zu verdunkeln begann, eine Decke aus dichten, schwarzen Wolken schloss sich über meinem Kopf, und eine Minute später war die Welt in tiefe Stille gehüllt. Das kann nicht sein, es ist elf Uhr morgens, es muss etwas mit dem Wetter zu tun haben, sagte ich mir, bemüht, meiner wachsenden Unruhe Herr zu werden. Da merkte ich, wie die Natur den Atem anhielt. Ein Gewitter oder etwas Ähnliches zog herauf. Die Luft war dichter geworden, wie an einem dieser Tage, die wie Suppe sind, mitten im Sommer. Ich steckte in einem heißen, reglosen Traum, fühlte mich gefangen in der erdrückenden Stille dieser gleichsam sinnlosen Dunkelheit.
Plötzlich war ich mir ganz sicher, dass noch jemand im Obstgarten war. Ich drehte den Kopf und sah eine große, knochige, in schwarze Lumpen gehüllte alte Frau. Sie war aus dem Nichts aufgetaucht und hockte nur wenige Meter von mir entfernt neben dem Stamm eines Pflaumenbaumes und pinkelte. Die Alte sah mich nicht einmal an. Sie pinkelte weiter, als wäre ich gar nicht da.