"Er war ein Genie und ein Urtalent. Ich glaube, er war von Anfang an Schauspieler" (Otto Schenk) Er wollte weder Star noch Publikumsliebling genannt sein und war doch beides. Ein Jahrhundertschauspieler. Helmuth Lohner hatte viele Gesichter, nicht nur auf der Bühne. Er war der einzige Schauspieler, dessen außergewöhnliche Spannweite die Titelrolle im "Jedermann" wie auch den komödiantischen Teufel und den furchterregenden Tod umfasste. Zerrissen zwischen Glaube und Zweifel, zwischen Melancholie und Humor verläuft auch die Spur seines Lebens, der Eva Maria Klinger folgt. Die Kulturjournalistin zeichnet, unterstützt durch Gespräche mit Wegbegleitern wie Otto Schenk oder Christiane Hörbiger, das spannende Porträt eines großen Unzufriedenen, der sein Publikum packte und die Frauen bezauberte. Und sie erzählt gleichzeitig ein Stück deutschsprachiger Theatergeschichte der letzten 60 Jahre. Mit zahlreichen Abbildungen
Eva Maria Klinger, geboren am 8. August 1944 in Wien, studierte Theaterwissenschaft und Germanistik und promovierte mit einer Arbeit über Attila Hörbiger. Von 1967 bis 2004 war sie im ORF zunächst als Fernseh- und Radiomoderatorin, ab 1984 als Kulturredakteurin beschäftigt. Die Autorin zahlreicher Theaterkritiken, Künstlerporträts und TV-Dokumentationen ist Jurorin des Nestroy-Theaterpreises und Moderatorin der JosefStadtgespräche. Eva Maria Klinger lebt in Wien.
Autorentext
Leseprobe
Die wichtigsten Fragen beantwortet man immer mit seinem ganzen Leben
Wir begegnen einander zufällig in der Wiener Innenstadt an der Ecke Kärntner Straße/Staatsoper. Es ist ein kühler Nachmittag im März 2010. Helmuth Lohner verlangsamt seinen sportlichen, etwas eckigen Gang, sobald er mich erkennt. Hautenge Hosen kleben an den schlaksigen, leicht nach außen gewölbten Beinen, und die teure, edle Jacke, eigentlich zu dünn für die Witterung, wirkt so unterspielt lässig, dass ich mit fragendem Blick über das feine Tuch streiche.
Er nennt das italienische Label mit lächelndem Understatement. Es ist dieses typische, vertraute, fast verlegene Lohner-Lächeln, das Zurückhaltung, Unsicherheit womöglich, das jedenfalls seine tiefe Überzeugung ausdrückt, der Alltag, die Menschen, die Welt, und eben auch dieser kleine Hang zum Luxus seien nur mit Humor zu ertragen.
Liebenswert ist der Mann, aber niemals liebenswürdig im wienerischen Sinn, wo meistens ein Hauch von Anbiederung oder verlogener Freundlichkeit mitschwingt.
Und dann hat er sofort ein kleines Bonmot parat: "Als hätten wir's uns ausg'macht", sagt er.
Wir haben es uns nämlich tatsächlich ausgemacht, allerdings erst für eine Viertelstunde später und im Kaffeehaus.
Wir passieren die Rückseite der Oper, wo er seit der Silvesterpremiere 1979 in der bis heute unverwüstlichen Fledermaus -Inszenierung von Otto Schenk in den ersten Jahren danach an jedem Silvester den Frosch gespielt hat. Auch in München, Hamburg, Zürich, Bonn, Berlin und Lissabon ist sein betrunkener Dummkopf, der erstaunlich kluge, alljährlich aktualisierte Weltbetrachtungen zum Besten gibt, begehrt. Ich bin nicht sicher, ob das zur puren Unterhaltung wild entschlossene Silvesterpublikum das Bemerkenswerte seiner Rollengestaltung zu würdigen weiß. Dieser in der Operette unverzichtbare 3.-Akt-Komiker liefert in Lohners Darstellung nicht aus Lust am Blödeln komische Spaß-Einlagen ab, sein Gefängniswärter Frosch steht unter dem Schock einer existenziellen Bedrohung. Für ihn werden die sich überstürzenden, durch übermäßigen Schnaps-Konsum umso unverständlicheren Ereignisse zum ausweglosen Desaster, dem er mit Galgenhumor und einem akrobatischen Sprung auf den Kasten entflieht. Zum Verzweifeln komisch!
Staatsoperndirektor Dominique Meyer hat einmal noch vor Amtsantritt seinen 14-jährigen Sohn in eine Fledermaus -Vorstellung mitgenommen und ihm versprochen, dass er, aus Frankreich kommend und noch schlecht deutsch sprechend, während der vielen Dialoge im 3. Akt den Zuschauerraum verlassen darf. Der Bub war jedoch so fasziniert von Lohners Frosch, dass er in allen künftigen Vorstellungen ausschließlich den 3. Akt besucht hat.
Niemals konnte man Helmuth Lohner in den unzähligen komödiantischen Erfolgs-Rollen platt servierter komischer Tricks überführen, obwohl er sie sich zweifellos minutiös zurechtgelegt hat. Es ist eines der Geheimnisse seiner bezwingenden Wirkung, dass seine der Lächerlichkeit preisgegebenen Figuren von einer Notlage in die Enge getrieben werden und gezwungen sind, die merkwürdigsten Maßnahmen zu ergreifen, um der schier unabwendbaren Katastrophe zu entfliehen.
Auch in diesem Jahr, 2010, wird Helmuth Lohner zum Finale der Ära Holender am Silvesterabend noch einmal das Publikum in der Wiener Staatsoper zum Lachen bringen. Er arbeitet sowieso lieber, als an den zwangsveranstalteten Silvester-Partys teilzunehmen. Seine seit 18 Jahren an seiner Seite lebende Gefährtin Elisabeth Gürtler, die höchst erfolgreiche Chefin des Hotels Sacher und langjährige fabelhafte Organisatorin des Wiener Opernballs, der er 2011 das Ja-Wort geben wird, respektiert seine Silvesterverpflichtungen. Hat sie doch selbst an diesem Abend ihren Gästen und ihrem Personal im Hotel zur Verfügung zu stehen.
"Wenn der Helmuth von der Vorstellung kam, hat er eine Kleinigkeit gegessen, und dann sagte er: 'Jetzt müssen wir das neue Jahr einl
Eva Maria Klinger, geboren am 8. August 1944 in Wien, studierte Theaterwissenschaft und Germanistik und promovierte mit einer Arbeit über Attila Hörbiger. Von 1967 bis 2004 war sie im ORF zunächst als Fernseh- und Radiomoderatorin, ab 1984 als Kulturredakteurin beschäftigt. Die Autorin zahlreicher Theaterkritiken, Künstlerporträts und TV-Dokumentationen ist Jurorin des Nestroy-Theaterpreises und Moderatorin der JosefStadtgespräche. Eva Maria Klinger lebt in Wien.
Autorentext
Eva Maria Klinger, geboren am 8. August 1944 in Wien, studierte Theaterwissenschaft und Germanistik und promovierte mit einer Arbeit über Attila Hörbiger. Von 1967 bis 2004 war sie im ORF zunächst als Fernseh- und Radiomoderatorin, ab 1984 als Kulturredakteurin beschäftigt. Die Autorin zahlreicher Theaterkritiken, Künstlerporträts und TV-Dokumentationen ist Jurorin des Nestroy-Theaterpreises und Moderatorin der JosefStadtgespräche. Eva Maria Klinger lebt in Wien.
Leseprobe
Die wichtigsten Fragen beantwortet man immer mit seinem ganzen Leben
Wir begegnen einander zufällig in der Wiener Innenstadt an der Ecke Kärntner Straße/Staatsoper. Es ist ein kühler Nachmittag im März 2010. Helmuth Lohner verlangsamt seinen sportlichen, etwas eckigen Gang, sobald er mich erkennt. Hautenge Hosen kleben an den schlaksigen, leicht nach außen gewölbten Beinen, und die teure, edle Jacke, eigentlich zu dünn für die Witterung, wirkt so unterspielt lässig, dass ich mit fragendem Blick über das feine Tuch streiche.
Er nennt das italienische Label mit lächelndem Understatement. Es ist dieses typische, vertraute, fast verlegene Lohner-Lächeln, das Zurückhaltung, Unsicherheit womöglich, das jedenfalls seine tiefe Überzeugung ausdrückt, der Alltag, die Menschen, die Welt, und eben auch dieser kleine Hang zum Luxus seien nur mit Humor zu ertragen.
Liebenswert ist der Mann, aber niemals liebenswürdig im wienerischen Sinn, wo meistens ein Hauch von Anbiederung oder verlogener Freundlichkeit mitschwingt.
Und dann hat er sofort ein kleines Bonmot parat: "Als hätten wir's uns ausg'macht", sagt er.
Wir haben es uns nämlich tatsächlich ausgemacht, allerdings erst für eine Viertelstunde später und im Kaffeehaus.
Wir passieren die Rückseite der Oper, wo er seit der Silvesterpremiere 1979 in der bis heute unverwüstlichen Fledermaus -Inszenierung von Otto Schenk in den ersten Jahren danach an jedem Silvester den Frosch gespielt hat. Auch in München, Hamburg, Zürich, Bonn, Berlin und Lissabon ist sein betrunkener Dummkopf, der erstaunlich kluge, alljährlich aktualisierte Weltbetrachtungen zum Besten gibt, begehrt. Ich bin nicht sicher, ob das zur puren Unterhaltung wild entschlossene Silvesterpublikum das Bemerkenswerte seiner Rollengestaltung zu würdigen weiß. Dieser in der Operette unverzichtbare 3.-Akt-Komiker liefert in Lohners Darstellung nicht aus Lust am Blödeln komische Spaß-Einlagen ab, sein Gefängniswärter Frosch steht unter dem Schock einer existenziellen Bedrohung. Für ihn werden die sich überstürzenden, durch übermäßigen Schnaps-Konsum umso unverständlicheren Ereignisse zum ausweglosen Desaster, dem er mit Galgenhumor und einem akrobatischen Sprung auf den Kasten entflieht. Zum Verzweifeln komisch!
Staatsoperndirektor Dominique Meyer hat einmal noch vor Amtsantritt seinen 14-jährigen Sohn in eine Fledermaus -Vorstellung mitgenommen und ihm versprochen, dass er, aus Frankreich kommend und noch schlecht deutsch sprechend, während der vielen Dialoge im 3. Akt den Zuschauerraum verlassen darf. Der Bub war jedoch so fasziniert von Lohners Frosch, dass er in allen künftigen Vorstellungen ausschließlich den 3. Akt besucht hat.
Niemals konnte man Helmuth Lohner in den unzähligen komödiantischen Erfolgs-Rollen platt servierter komischer Tricks überführen, obwohl er sie sich zweifellos minutiös zurechtgelegt hat. Es ist eines der Geheimnisse seiner bezwingenden Wirkung, dass seine der Lächerlichkeit preisgegebenen Figuren von einer Notlage in die Enge getrieben werden und gezwungen sind, die merkwürdigsten Maßnahmen zu ergreifen, um der schier unabwendbaren Katastrophe zu entfliehen.
Auch in diesem Jahr, 2010, wird Helmuth Lohner zum Finale der Ära Holender am Silvesterabend noch einmal das Publikum in der Wiener Staatsoper zum Lachen bringen. Er arbeitet sowieso lieber, als an den zwangsveranstalteten Silvester-Partys teilzunehmen. Seine seit 18 Jahren an seiner Seite lebende Gefährtin Elisabeth Gürtler, die höchst erfolgreiche Chefin des Hotels Sacher und langjährige fabelhafte Organisatorin des Wiener Opernballs, der er 2011 das Ja-Wort geben wird, respektiert seine Silvesterverpflichtungen. Hat sie doch selbst an diesem Abend ihren Gästen und ihrem Personal im Hotel zur Verfügung zu stehen.
"Wenn der Helmuth von der Vorstellung kam, hat er eine Kleinigkeit gegessen, und dann sagte er: 'Jetzt müssen wir das neue Jahr einl
Titel
Nie am Ziel. Helmuth Lohner
Untertitel
Die Biografie
Autor
EAN
9783903083097
ISBN
978-3-903083-09-7
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
16.11.2015
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
36.52 MB
Anzahl Seiten
256
Jahr
2015
Untertitel
Deutsch
Lesemotiv
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