Eine der wichtigsten und engagiertesten Stimmen der rumänischen Gegenwartsliteratur Letitia und Sorin arbeiten in einem Kulturinstitut im Rumänien der siebziger Jahre. Sie lieben sich - heimlich. Im Schatten einer Lenin-Statue oder in der schmuddeligen Wohnung eines Freundes. Sorin sucht die wahre Liebe und Letitia eine Flucht aus ihrem traurigen Eheleben. Beide sind sie gefangen in den Strukturen ihrer Familien und den Einschränkungen des kommunistischen Systems, kurz vor der Machtübernahme Ceau?escus. Eine Zwischenzeit, die von Freiheit, Sex, Konsum und Momentglück geprägt ist. Gabriela Adame?teanu gelingt es meisterhaft, die Geschichten mehrerer Generationen zu verweben und diese Zeit des Übergangs lebendig werden zu lassen. Ein Provisorium, das nach Glück und Sehnsucht schmeckt und nach ebenso viel Vergänglichkeit. »Gabriela Adame?teanu ist in die literarische Landschaft Rumäniens eingefallen wie ein Sonnenstrahl.« Lettre International

Gabriela Adame?teanu, geb. 1942, ist als Schriftstellerin und Publizistin neben Norman Manea und Mircea C?rt?rescu eine der wichtigsten Stimmen der rumänischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Sie war Bürgerrechtlerin und Präsidentin des rumänischen P.E.N.



Autorentext

Gabriela Adamesteanu, geb. 1942, ist als Schriftstellerin und Publizistin neben Norman Manea und Mircea Cartarescu eine der wichtigsten Stimmen der rumänischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Sie war Bürgerrechtlerin und Präsidentin des rumänischen P.E.N.



Leseprobe
Kapitel 2
Tanzpartys

»Tanzt du mit mir?«, fragt Sorin jedes Mal, wenn aus dem Magnetophon der Nachbarn Frank Sinatras Stimme schallt, es ist immer dasselbe Band, es fängt an mit All of me, why not take all of me ...

Damals, als sie nur Kollegen gewesen waren, hatte Sorin Letitia bei den Betriebsfeiern immer als Erste aufgefordert. Das letzte Mal hatten sie öffentlich bei Sorins Geburtstag getanzt. Sorin hatte sie damals alle bewirtet wie bei einer Party zu Hause, russischen Stalinskaya-Wodka und Moskovskaya, dazu noch einen polnischen Wodka mit einem Bisonkopf auf dem Etikett und einem aromatisierenden Grashalm, der darin konserviert lag. Dalida, Édith Piaf, The Platters, The Beatles, Charles Aznavour schallten durch die geöffneten Fenster bis hinaus zur Lenin-Statue vor dem Gebäude. Man blätterte durch die Paris Match von vor acht Monaten und sprach über Tarkowskis Rubljow. Alle anspruchsvollen Leute waren verwirrt von der Modernität des Drehbuchs und vom Exotismus dieser bizarren Orthodoxie aus dem Kino gekommen, die eigene Orthodoxie schien dagegen rudimentär, dafür aber entspannt.

Und Sorin tanzte mit großen Schritten, hielt wie immer seinen abgeschotteten, in Kleider und konventionelles Gehabe gehüllten Körper zu dem seiner Partnerin auf Abstand. Aber sie bewegten sich beide wie in einer heißen Kugel und der Blick und die Berührung des anderen brannten. Selbst als sie ihre Tanzpartner gewechselt hatten, spürten sie im Rücken die Bewegungen des anderen, die heiße Kugel isolierte sie im Gelärme, vom Rauch, von der Musik.

Jetzt forderte er sie nicht mehr auf, nur noch in der Wohnung von Freund Florinel. Er hält sie fest, sie ist nackt, er zur Hälfte entkleidet, durch die hängende Baumwolle seiner Einheitsunterhose fühlt sie seine Erektion, your goodbye left me with eyes that cry. Sorin hat nie im Wohnheim gewohnt, seine Eltern hatten ihm ein Souterrain-Zimmer in der Stadt gemietet, also hatte er nicht Tag für Tag die vielfache Nacktheit in der Gemeinschaftsdusche gesehen. Er kann auch seinen Körper nicht sich selbst überlassen, ihn von außen betrachten. Jedes Mal, wenn sie mit Sorin tanzt, ist Letitia wieder verwundert über seinen Körper, der immer heißer wird, sobald man ihn seiner Kleider entledigt, take my lies, I want to lose them, take my arms, I never use them. Er lacht und drückt ihr das lebende, wachsende Knäul gegen den Bauch, tut's weh? Er lacht und drückt noch fester, I know that I can be beggar, I can be king, das Eisengeschlecht wird ihr das Schambein sprengen, um einzudringen, sie stöhnt mit zusammengebissenen Zähnen, er lacht, weißt du denn auch, was Schmerz heißt?

*

Weil Letitia durch ihre Gleichgültigkeit geschützt ist, während der arme Sorin angreifbar und ausgeliefert ist. So beschreibt er das Kräfteverhältnis in ihrer Beziehung während der wenigen Momente der Entspannung. Eine Hand streicht über ihre Brüste, die andere streckt sich nach dem Cinzano-Glas neben dem Bett. »Unsere Beziehung negiert einfach meine komplette Lebensstrategie, der beste Beweis dafür, dass ich abhängig von dir bin«, flüstert er. »Ich bin abhängig von dir«, murmelt sie zärtlich. Sie glaubt, dass sie zärtlich ist, sie glaubt auch, dass sie übertreibt, wenn sie sagt, sie wäre abhängig von ihm. Und während sie ihre Fingerspitzen über seine zarte Haut wandern lässt, aus der ab und zu ein blondes, geringeltes Haar wächst, wundert sie sich nach so vielen Jahren noch immer, dass sie jetzt nicht auf Petrus pelzige Brust trifft. »Du bist abhängig von dir selbst«, antwortet Sorin bescheiden. Es wird die Zeit kommen, in der sie merkt, dass sie nur von ihrer eigenen Vorstellung abhängig ist, so wie es ihr mit Arcan passiert ist, das geht Sorin jedes Mal wieder durch den Kopf.

Er weiß, wenn er in ihre Augen sähe, die in den durchscheinenden Nebel über dem See starren, würde er darin die Angst sehen, dass

Titel
Das Provisorium der Liebe
Untertitel
Roman
Übersetzer
EAN
9783841226518
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
12.04.2021
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
2.39 MB
Anzahl Seiten
480
Features
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet