Der Gasthof Zum Ochsen war bis 1938 kultureller Mittelpunkt im süddeutschen Städtchen Laupheim. Carl Laemmle, der erfolgreiche Gründer der Universal Studios, war in den 1920er Jahren ein willkommener Gast im Ochsen. Die Autorin lernte Sophie Nördlinger, die ehemalige Ochsenwir- tin, in New York 1989 persönlich kennen. Die Zeitzeugin wusste viel von damals zu erzählen auch von ihrer bittersten Erfahrung von den Ereignissen in der Reichspo- gromnacht am 9. November 1938. Ihren Lebensmut in der Emigration zum Aufbau einer neu- en Existenz verdankte Sophie N. dem Hollywood-Pionier Carl Laemmle.
Autorentext
Die Autorin hatte Kontakte mit Zeitzeugen in den USA seit den 1980 er Jahren, besonders zu Zeitzeugen von Carl Laemmle. Die Begegnung mit Sophie N. führte zu intensiven Recherchen über Carl Laemmle. Sie ist mit Nachfahren der Laemmle Familie heute noch in freundschaftlichem Kontakt.
Leseprobe
Meine Begegnung mit Sophie Nördlinger G. Bayer Die persönliche Begegnung mit der letzten jüdischen Ochsen-Wirtin, ophie Nördlinger, in New York 1989 möchte ich hier aus meiner Erfahrung und Sichtweise weitergeben. Sophie Nördlinger kannte Carl Laemmle noch persönlich aus Laupheim und weckte unser Interesse für unsere Laemmle-Recherchen. Sophie Nördlinger, geb. Sänger, wurde am 3.4.1898 in Laup- heim als einziges Kind von Albert Sänger (bis 1929) und Klara Sänger (geb. Einstein, 18651942) geboren. Sophie Nördlingers Großvater Benjamin Sänger kaufte den Ochsen, heute bekannt als Zum Rothen Ochsen, im Jahre 1860. Erbaut wurde das Gebäude um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts. Bis in die 1930er Jahre, in einer Zeit ohne Fernsehen, Radio und Internet, war für das Städtchen Laupheim der jüdische Gast- hof Ochsen der Dreh-und Angelpunkt des kulturellen und gesel- ligen Lebens. Es war ein Haus ersten Ranges, wie in einer spaß- haften Anzeige des Gesangsvereins Frohsinn von 1914 zu lesen war. Das beliebte Wirtshaus hatte mehr als nur Gastronomie mit der Spezialität Saure Kutteln zu bieten. Für Hochzeitsfeiern und Purim-Feste zog man jedoch den größeren jüdischen Gast- hof Zum Kronprinzen vor. Der Leser, der das heutige Gasthaus Zum Rothen Ochsen kennt, ist amüsiert über die Aufzählung der vielen Räumlichkeiten, wollten doch die Verfasser des Arti- kels die vielfältigen Geselligkeiten im Gasthaus Ochsen etwas ironisch hervorheben. Das leidvolle Schicksal der Emigranten Zwischen 1987 und 2003 hatte ich zusammen mit meinem in 2015 verstorbenen Mann, Udo Bayer, in den USA sowie auch hier in Laupheim eine ganze Reihe von Begegnungen mit jüdischen deutschstämmigen Amerikanern, die alle ein Schicksal miteinan- der teilten: Sie mussten sich wegen des grausamen Naziterrors in der Hitler-Zeit eine neue Heimat suchen. Das Leben eines Juden war in der Hitlerzeit nicht viel wert. Deshalb sahen die Emigran- ten die Rettung ihres Lebens als Geschenk an, das sie Zufällen zu verdanken hatten. Doch bei unseren Begegnungen spürten wir, wie das Geschehene sie in ihrem Inneren noch wie ein Stachel schmerzte. Viele hatten ihre leidvollen Erfahrungen lange verdrängt. Für einige war es das erste Mal, dass sie sich gegenüber Deutschen der heutigen Gene- ration öffneten. Stockend berichteten sie über ihre Erlebnisse und Der Ochsen in den 1920er Jahren in Laupheim 6 7 ihre Flucht in dieser schrecklichen Zeit. Für unser Zuhören waren sie sehr dankbar. Die starken emotionalen Ereignisse waren den Geretteten ebenso in ihr Gedächtnis eingebrannt wie ihre glück- lichen Kindheitserlebnisse in ihrer Geburtsstadt. Tief betroffen erkannten wir, dass jeder der Emigrierten auch von nahen Ver- wandten berichten konnte, die es nicht mehr geschafft hatten, den Fängen der Nazi-Schergen zu entkommen. In den persönli- chen Gesprächen mit den 70- bis 80-jährigen Zeitzeugen fühlten wir uns teilweise beklommen sprachlos, als sie von ihren einsti- gen Qualen in Deutschland sprachen. Jede einzelne dieser persön- lichen Geschichten, die allesamt von unfassbarem Leid erzählten, hat uns aufgewühlt und sowohl bei mir als auch meinem Mann tiefe Eindrücke hinterlassen. Wir empfanden damals große Scham, Deutsche zu sein. Wie konnte es sein, dass so viele Deutsche so wenig Mitgefühl aufgebracht haben? Wo war die Menschlichkeit nur geblieben? Als Nachkriegskind hätte ich einige persönliche Fragen an meine eigenen Eltern gestellt, die jedoch bereits nicht mehr lebten.
Inhalt
Meine Begegnung mit Sophie Nördlinger -Das leidvolle Schicksal der Emigranten -Wohin flohen die Nördlingers? -Woran erinnerte sich Sophie Nördlinger? -Sophie Nördlinger erzählte von ihrem herzensguten Ehemann Benno -Die Synagoge brannte am 9. November 1938 in Laupheim
Autorentext
Die Autorin hatte Kontakte mit Zeitzeugen in den USA seit den 1980 er Jahren, besonders zu Zeitzeugen von Carl Laemmle. Die Begegnung mit Sophie N. führte zu intensiven Recherchen über Carl Laemmle. Sie ist mit Nachfahren der Laemmle Familie heute noch in freundschaftlichem Kontakt.
Leseprobe
Meine Begegnung mit Sophie Nördlinger G. Bayer Die persönliche Begegnung mit der letzten jüdischen Ochsen-Wirtin, ophie Nördlinger, in New York 1989 möchte ich hier aus meiner Erfahrung und Sichtweise weitergeben. Sophie Nördlinger kannte Carl Laemmle noch persönlich aus Laupheim und weckte unser Interesse für unsere Laemmle-Recherchen. Sophie Nördlinger, geb. Sänger, wurde am 3.4.1898 in Laup- heim als einziges Kind von Albert Sänger (bis 1929) und Klara Sänger (geb. Einstein, 18651942) geboren. Sophie Nördlingers Großvater Benjamin Sänger kaufte den Ochsen, heute bekannt als Zum Rothen Ochsen, im Jahre 1860. Erbaut wurde das Gebäude um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts. Bis in die 1930er Jahre, in einer Zeit ohne Fernsehen, Radio und Internet, war für das Städtchen Laupheim der jüdische Gast- hof Ochsen der Dreh-und Angelpunkt des kulturellen und gesel- ligen Lebens. Es war ein Haus ersten Ranges, wie in einer spaß- haften Anzeige des Gesangsvereins Frohsinn von 1914 zu lesen war. Das beliebte Wirtshaus hatte mehr als nur Gastronomie mit der Spezialität Saure Kutteln zu bieten. Für Hochzeitsfeiern und Purim-Feste zog man jedoch den größeren jüdischen Gast- hof Zum Kronprinzen vor. Der Leser, der das heutige Gasthaus Zum Rothen Ochsen kennt, ist amüsiert über die Aufzählung der vielen Räumlichkeiten, wollten doch die Verfasser des Arti- kels die vielfältigen Geselligkeiten im Gasthaus Ochsen etwas ironisch hervorheben. Das leidvolle Schicksal der Emigranten Zwischen 1987 und 2003 hatte ich zusammen mit meinem in 2015 verstorbenen Mann, Udo Bayer, in den USA sowie auch hier in Laupheim eine ganze Reihe von Begegnungen mit jüdischen deutschstämmigen Amerikanern, die alle ein Schicksal miteinan- der teilten: Sie mussten sich wegen des grausamen Naziterrors in der Hitler-Zeit eine neue Heimat suchen. Das Leben eines Juden war in der Hitlerzeit nicht viel wert. Deshalb sahen die Emigran- ten die Rettung ihres Lebens als Geschenk an, das sie Zufällen zu verdanken hatten. Doch bei unseren Begegnungen spürten wir, wie das Geschehene sie in ihrem Inneren noch wie ein Stachel schmerzte. Viele hatten ihre leidvollen Erfahrungen lange verdrängt. Für einige war es das erste Mal, dass sie sich gegenüber Deutschen der heutigen Gene- ration öffneten. Stockend berichteten sie über ihre Erlebnisse und Der Ochsen in den 1920er Jahren in Laupheim 6 7 ihre Flucht in dieser schrecklichen Zeit. Für unser Zuhören waren sie sehr dankbar. Die starken emotionalen Ereignisse waren den Geretteten ebenso in ihr Gedächtnis eingebrannt wie ihre glück- lichen Kindheitserlebnisse in ihrer Geburtsstadt. Tief betroffen erkannten wir, dass jeder der Emigrierten auch von nahen Ver- wandten berichten konnte, die es nicht mehr geschafft hatten, den Fängen der Nazi-Schergen zu entkommen. In den persönli- chen Gesprächen mit den 70- bis 80-jährigen Zeitzeugen fühlten wir uns teilweise beklommen sprachlos, als sie von ihren einsti- gen Qualen in Deutschland sprachen. Jede einzelne dieser persön- lichen Geschichten, die allesamt von unfassbarem Leid erzählten, hat uns aufgewühlt und sowohl bei mir als auch meinem Mann tiefe Eindrücke hinterlassen. Wir empfanden damals große Scham, Deutsche zu sein. Wie konnte es sein, dass so viele Deutsche so wenig Mitgefühl aufgebracht haben? Wo war die Menschlichkeit nur geblieben? Als Nachkriegskind hätte ich einige persönliche Fragen an meine eigenen Eltern gestellt, die jedoch bereits nicht mehr lebten.
Inhalt
Meine Begegnung mit Sophie Nördlinger -Das leidvolle Schicksal der Emigranten -Wohin flohen die Nördlingers? -Woran erinnerte sich Sophie Nördlinger? -Sophie Nördlinger erzählte von ihrem herzensguten Ehemann Benno -Die Synagoge brannte am 9. November 1938 in Laupheim
Titel
Carl Laemmle und Sophie N.
Untertitel
Emigration und Reichspogromnacht - Begegnung mit einer Zeitzeugin-
Autor
EAN
9783981844467
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Genre
Veröffentlichung
06.09.2018
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
6.15 MB
Anzahl Seiten
25
Auflage
Erfahrungen im Nationalsozialismus von einer Zeitz
Lesemotiv
Unerwartete Verzögerung
Ups, ein Fehler ist aufgetreten. Bitte versuchen Sie es später noch einmal.