Nur für wenige Wochen erlebt der kleine, kaum sechsjährige Gavino 1944 im sardischen Bergdorf Siligo das Privileg der Schulbildung dann wird er von seinem Vater gewaltsam aus der Zivilisation herausgerissen und in die Einsamkeit der rauen, archaischen Bergwelt Sardiniens fortgeholt. Mit strenger Hand weist der Patriarch seinen erstgeborenen Sohn in das harte, von Verzicht geprägte Hirtenleben ein, fern von der Mutter und den Geschwistern so will es die Tradition und so erzwingt es der Vater. In Padre Padrone erzählt Gavino Ledda die erschütternde Geschichte seiner von Gewalt, Zwang und einer komplizierten Hassliebe zwischen Vater und Sohn geprägten Kindheit und Jugend.Doch Gavino zerbricht nicht an den psychischen und physischen Schikanen seines despotischen Vaters. Seine Fähigkeit, die ihn umgebende Natur als tröstenden Schutzraum anzunehmen und in innige Zwiesprache mit ihr zu treten, hilft ihm, seinen wachen Verstand zu bewahren. Begierig saugt er alle Geschichten über Sardiniens gerade erst zu Ende gehende archaische Zeit der Hirten und Herren, Banditen und Patriarchen in sich auf, die ihm bei den seltenen Kontakten zur Zivilisation von Verwandten und anderen Hirten erzählt werden. Mit ungeheurem Lebenswillen trotzt er Naturgewalten und Krankheiten und er bewahrt seinen Freiheitsdrang Gavino Leddas mehrfach ausgezeichneter autobiografischer Roman Padre Padrone wurde allein in Italien mehr als 1,5 Millionen Mal verkauft und in 40 Sprachen übersetzt. Die Verfilmung des Buches wurde in 1977 in Cannes mit einer Goldenen Palme geehrt.
Leseprobe
Hinweis: Die Textdarstellung in dieser Datenbank entspricht nicht dem professionellen Satzbild, das das E-Book bietet. Bis dahin hatte mein Vater nie verlangt, dass ich im eigentlichen Sinn produktive Arbeit leistete. Es hatte ihm gereicht, dass ich aufmerksam zusah, wenn er die seine tat. Auch beim Melken war ich immer draußen stehengeblieben und hatte nur darauf gehorcht, wie die Milch in den Eimer zischte. Für gewöhnlich stand ich dann am Zugang zur Einfriedung, damit die Schafe nicht wegliefen. Ich hatte ihm die Schafe in den Pferch getrieben, wie er's mich gelehrt hatte. Oft hatte ich sie auch mit bestimmten Lauten angelockt, die ich gelernt hatte. Und waren sie satt, kamen sie mir auf meine eh, eh! eh, lè, lè! lè, lè! lè lè! dààà! ddddd! eh, eh! eh! beh! lè, lè, lè! bis vor die Füße, als freuten sie sich über diese kunstvoll hervorgebrachten und noch von einem besonderen Pfeifen begleiteten Modulationen, sammelten sich freiwillig. Und zupften die letzten Grashalme und gingen von allein in den Pferch. Vater stellte sich neben den Eingang und machte gewissenhaft die tägliche Zählung. Im Pferch stellten sich die Schafe in der üblichen Weise auf, als hätte jedes seinen gewohnten Platz, parallel nebeneinander: eines neben das andere und zum Heckenzaun gewandt. Das ist die typisch logudoresische Melkaufstellung, ganz anders als die barbaricinische. Das Gehege selbst war wie überall auf der Insel elliptisch, doch durch diese Aufstellungsweise entstand in der Mitte eine freie Fläche, die geometrisch der Form des Geheges entsprach. Diese freie Fläche diente meinem Vater, um ein Schaf nach dem anderen zu melken. Mir hatte es schon immer gefallen, wie die Schafe aufgestellt waren und wie mein Vater seinen Kopf auf den Schafsschwanz gepresst hatte, um ihnen so auf logudoresische Weise den Hintern zuzuhalten. Es war die einzige Möglichkeit, sich nicht in den Eimer scheißen zu lassen.Der Hund lief mehrere Male das Vlies ab, das die Schafe durch ihre Aufreihung am Zaun entlang bildeten, kam dann her, um seine Milchration zu trinken, die ihm als Schäferhund zustand, und bestieg anschließend wieder seinen Thron auf dem wolligen Rücken seiner beiden Lieblingsschafe, wo er sich behaglich ausstreckte. Ich war immer schweigend draußen gestanden und hatte den Pansengeruch der Schafe geatmet und auf das pendelartige Kauen ihrer Kiefer geschaut: das Auf und Ab des Kaubreis durch den Hals. Und hatte das Glücksempfinden ihrer lauten Rülpser miterlebt, das Klatschen ihrer Euter an den Eimer und danach das warme Aufschäumen der Milch. Augenblick für Augenblick hörte ich so, wie hoch die Milch im Eimer schon angestiegen war. Und wusste genau, wann ich die Kanne über die Hecke reichen musste, in die Vater dann die Milch goss.Seit dem Tag meiner grausamen Bestrafung durfte ich nun nicht mehr unbeweglich am Eingang stehen und mit Behagen den Geruch aus den Pansen einatmen. Mein Vater verlangte, dass auch ich meinen Teil zur Arbeit beitrug. Ich sollte mir bewusst sein, dass wir uns nur zu zweit hier im Schafspferch befanden und auch ich jetzt ein richtiger Hirte war. Und um mir jeden Zweifel daran zu nehmen, lehrte er mich das einzig Wichtige, was mir noch zum wahren Hirten fehlte. Er lehrte mich das Melken. Als ich das erste Mal in den Pferch hineinging, drängten sich die Schafe aneinander. Sie erschraken. Als Melker kannten sie mich nicht, und einige sprangen sogar über den Heckenzaun. Die ganze Erfahrung meines Vaters war erforderlich, um die Herde wieder zusammenzubringen und zu beruhigen. Ich war erst acht Jahre alt, aber das logudoresische Melken kann auch von Kindern erlernt werden. Mein Vater hieß mich hinter sa pius ladina, das frommste Schaf der Herde, hocken, das am leichtesten zu melken war. Er hieß mich den Eimer so zwischen die Beine nehmen, dass sich der Boden unter meinem Hintern befand. Und er zeigte mir, wie man das Euter fassen und die Zitze mit den Fingern drücken musste, die man vorher mit Speichel oder mit dem Schaum schon gemolkener Milch befeuchtet hatte. Es war nicht leicht. In den ersten Tagen molk ich schlecht, und das Schaf Mutighedda drängte zurück und stieß mich zu Boden. Und während Vater die ganze Herde molk, brachte ich in der ersten Zeit mit Mühe und Not einen Viertelliter in meinen Eimer, auch weil der Melkstrahl oft nicht in den Eimer traf. Er ging mir vorne auf die Hose (die immer milchbesudelt war) oder auf die Hosenbeine oder auch ganz daneben.Aber nach zwei Wochen konnte ich Mutighedda schon gut melken. Und so vertraute mir mein Vater auch Leperedda an, die so hieß, weil sie ebenso gerade Ohren hatte wie ein Hase. Danach konnte er mir s'aiveghe aza, das dunkelgefärbte Schaf überlassen. Alle waren sie leicht zu melken. Alle waren sie ladinas. Und bald molk ich so viele, wie meine Kräfte es zuließen. In der ersten Zeit wurde ich, der ich weder stark noch schlau war, oft ein Opfer ihrer Grillen und unvorhersehbarer Launen. Wenn ich dann den Eimer fast randvoll gemolken hatte, ganz weiß und hörbar schäumend, und schon drauf und dran war, ihn Vater zu zeigen, schlug das Schaf, das ich gerade molk, hinten aus oder wich zurück. Und obwohl ich mir alle Mühe gab, es am Euter festzuhalten, und versuchte, meinen Kopf gegen seinen Schwanz zu stemmen, trug doch das Schaf oft den Sieg davon. Ich verlor das Gleichgewicht. Es ließ mich hinpurzeln. Auch der Eimer fiel um und die Milch lief mir auf den Hosenboden in sa culatiga de sos cassones. Meine Bewährungsprobe scheiterte am Fußtritt so eines verrückten Schafs. Dann musste ich es oft hinnehmen, dass mir Vater mit dem Handrücken ins Gesicht schlug, und ich konnte mit nassem Hintern weitermelken. Ganz besonders beschämend war es aber, wenn mir das Schaf in den Eimer schiss, ohne dass ich es merkte. Ich molk weiter und merkte es erst am Geruch oder an der grünlichen Farbe der Milch, wenn sich der Kot darin auflöste. Dann musste alles weggeschüttet werden. Ein Eimer Milch war so viel wert wie der Arbeitstag eines tüchtigen Bauern. Mein Vater verzieh mir so etwas nicht. Oft rettete ich mich dadurch, dass ich die Milch heimlich wegschüttete und mich wieder rasch ans Melken machte, um das Verlorene aufzuholen. Aber er merkte es fast immer. 'Was ist heute mit dir? Du hast ja gar nichts gemolken Aber du hast doch so viele Schafe gemolken Ach! reingeschissen haben sie dir, du Scheusal! Hast also deinen Tag weggeschmissen!' Und dann setzte es Ohrfeig…
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Hinweis: Die Textdarstellung in dieser Datenbank entspricht nicht dem professionellen Satzbild, das das E-Book bietet. Bis dahin hatte mein Vater nie verlangt, dass ich im eigentlichen Sinn produktive Arbeit leistete. Es hatte ihm gereicht, dass ich aufmerksam zusah, wenn er die seine tat. Auch beim Melken war ich immer draußen stehengeblieben und hatte nur darauf gehorcht, wie die Milch in den Eimer zischte. Für gewöhnlich stand ich dann am Zugang zur Einfriedung, damit die Schafe nicht wegliefen. Ich hatte ihm die Schafe in den Pferch getrieben, wie er's mich gelehrt hatte. Oft hatte ich sie auch mit bestimmten Lauten angelockt, die ich gelernt hatte. Und waren sie satt, kamen sie mir auf meine eh, eh! eh, lè, lè! lè, lè! lè lè! dààà! ddddd! eh, eh! eh! beh! lè, lè, lè! bis vor die Füße, als freuten sie sich über diese kunstvoll hervorgebrachten und noch von einem besonderen Pfeifen begleiteten Modulationen, sammelten sich freiwillig. Und zupften die letzten Grashalme und gingen von allein in den Pferch. Vater stellte sich neben den Eingang und machte gewissenhaft die tägliche Zählung. Im Pferch stellten sich die Schafe in der üblichen Weise auf, als hätte jedes seinen gewohnten Platz, parallel nebeneinander: eines neben das andere und zum Heckenzaun gewandt. Das ist die typisch logudoresische Melkaufstellung, ganz anders als die barbaricinische. Das Gehege selbst war wie überall auf der Insel elliptisch, doch durch diese Aufstellungsweise entstand in der Mitte eine freie Fläche, die geometrisch der Form des Geheges entsprach. Diese freie Fläche diente meinem Vater, um ein Schaf nach dem anderen zu melken. Mir hatte es schon immer gefallen, wie die Schafe aufgestellt waren und wie mein Vater seinen Kopf auf den Schafsschwanz gepresst hatte, um ihnen so auf logudoresische Weise den Hintern zuzuhalten. Es war die einzige Möglichkeit, sich nicht in den Eimer scheißen zu lassen.Der Hund lief mehrere Male das Vlies ab, das die Schafe durch ihre Aufreihung am Zaun entlang bildeten, kam dann her, um seine Milchration zu trinken, die ihm als Schäferhund zustand, und bestieg anschließend wieder seinen Thron auf dem wolligen Rücken seiner beiden Lieblingsschafe, wo er sich behaglich ausstreckte. Ich war immer schweigend draußen gestanden und hatte den Pansengeruch der Schafe geatmet und auf das pendelartige Kauen ihrer Kiefer geschaut: das Auf und Ab des Kaubreis durch den Hals. Und hatte das Glücksempfinden ihrer lauten Rülpser miterlebt, das Klatschen ihrer Euter an den Eimer und danach das warme Aufschäumen der Milch. Augenblick für Augenblick hörte ich so, wie hoch die Milch im Eimer schon angestiegen war. Und wusste genau, wann ich die Kanne über die Hecke reichen musste, in die Vater dann die Milch goss.Seit dem Tag meiner grausamen Bestrafung durfte ich nun nicht mehr unbeweglich am Eingang stehen und mit Behagen den Geruch aus den Pansen einatmen. Mein Vater verlangte, dass auch ich meinen Teil zur Arbeit beitrug. Ich sollte mir bewusst sein, dass wir uns nur zu zweit hier im Schafspferch befanden und auch ich jetzt ein richtiger Hirte war. Und um mir jeden Zweifel daran zu nehmen, lehrte er mich das einzig Wichtige, was mir noch zum wahren Hirten fehlte. Er lehrte mich das Melken. Als ich das erste Mal in den Pferch hineinging, drängten sich die Schafe aneinander. Sie erschraken. Als Melker kannten sie mich nicht, und einige sprangen sogar über den Heckenzaun. Die ganze Erfahrung meines Vaters war erforderlich, um die Herde wieder zusammenzubringen und zu beruhigen. Ich war erst acht Jahre alt, aber das logudoresische Melken kann auch von Kindern erlernt werden. Mein Vater hieß mich hinter sa pius ladina, das frommste Schaf der Herde, hocken, das am leichtesten zu melken war. Er hieß mich den Eimer so zwischen die Beine nehmen, dass sich der Boden unter meinem Hintern befand. Und er zeigte mir, wie man das Euter fassen und die Zitze mit den Fingern drücken musste, die man vorher mit Speichel oder mit dem Schaum schon gemolkener Milch befeuchtet hatte. Es war nicht leicht. In den ersten Tagen molk ich schlecht, und das Schaf Mutighedda drängte zurück und stieß mich zu Boden. Und während Vater die ganze Herde molk, brachte ich in der ersten Zeit mit Mühe und Not einen Viertelliter in meinen Eimer, auch weil der Melkstrahl oft nicht in den Eimer traf. Er ging mir vorne auf die Hose (die immer milchbesudelt war) oder auf die Hosenbeine oder auch ganz daneben.Aber nach zwei Wochen konnte ich Mutighedda schon gut melken. Und so vertraute mir mein Vater auch Leperedda an, die so hieß, weil sie ebenso gerade Ohren hatte wie ein Hase. Danach konnte er mir s'aiveghe aza, das dunkelgefärbte Schaf überlassen. Alle waren sie leicht zu melken. Alle waren sie ladinas. Und bald molk ich so viele, wie meine Kräfte es zuließen. In der ersten Zeit wurde ich, der ich weder stark noch schlau war, oft ein Opfer ihrer Grillen und unvorhersehbarer Launen. Wenn ich dann den Eimer fast randvoll gemolken hatte, ganz weiß und hörbar schäumend, und schon drauf und dran war, ihn Vater zu zeigen, schlug das Schaf, das ich gerade molk, hinten aus oder wich zurück. Und obwohl ich mir alle Mühe gab, es am Euter festzuhalten, und versuchte, meinen Kopf gegen seinen Schwanz zu stemmen, trug doch das Schaf oft den Sieg davon. Ich verlor das Gleichgewicht. Es ließ mich hinpurzeln. Auch der Eimer fiel um und die Milch lief mir auf den Hosenboden in sa culatiga de sos cassones. Meine Bewährungsprobe scheiterte am Fußtritt so eines verrückten Schafs. Dann musste ich es oft hinnehmen, dass mir Vater mit dem Handrücken ins Gesicht schlug, und ich konnte mit nassem Hintern weitermelken. Ganz besonders beschämend war es aber, wenn mir das Schaf in den Eimer schiss, ohne dass ich es merkte. Ich molk weiter und merkte es erst am Geruch oder an der grünlichen Farbe der Milch, wenn sich der Kot darin auflöste. Dann musste alles weggeschüttet werden. Ein Eimer Milch war so viel wert wie der Arbeitstag eines tüchtigen Bauern. Mein Vater verzieh mir so etwas nicht. Oft rettete ich mich dadurch, dass ich die Milch heimlich wegschüttete und mich wieder rasch ans Melken machte, um das Verlorene aufzuholen. Aber er merkte es fast immer. 'Was ist heute mit dir? Du hast ja gar nichts gemolken Aber du hast doch so viele Schafe gemolken Ach! reingeschissen haben sie dir, du Scheusal! Hast also deinen Tag weggeschmissen!' Und dann setzte es Ohrfeig…
Titel
Padre Padrone
Untertitel
Mein Vater mein Herr
Autor
Übersetzer
EAN
9783944561035
ISBN
978-3-944561-03-5
Format
E-Book (epub)
Altersempfehlung
14 bis 18 Jahre
Hersteller
Herausgeber
Genre
Veröffentlichung
27.05.2013
Digitaler Kopierschutz
Adobe-DRM
Anzahl Seiten
280
Jahr
2013
Untertitel
Deutsch
Lesemotiv
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