Gerhard Spörl, geboren 1950, Studium der Germanistik,Geschichte und Philosophie, Promotion mit einer Arbeit über Georg Lukács, Journalist bei der Zeit (1980 bis 1990) und beim SPIEGEL (1990 bis 2015). Autor von 'Die wiedervereinigten Staaten von Amerika' (1998 mit Marc Hujer) und 'Es muss noch etwas anderes anderes geben als Angst und Sorge und Herrn Hitler' (2016).
Vorwort
Die Geschichte des Ruhrgebiets seit 1945
Autorentext
Gerhard Spörl, geboren 1950, Studium der Germanistik,Geschichte und Philosophie, Promotion mit einer Arbeit über Georg Lukács, Journalist bei der Zeit (1980 bis 1990) und beim SPIEGEL (1990 bis 2015). Autor von "Die wiedervereinigten Staaten von Amerika" (1998 mit Marc Hujer) und "Es muss noch etwas anderes anderes geben als Angst und Sorge und Herrn Hitler" (2016).
Leseprobe
Vorwort
Mein Ruhrgebiet, das ist der wunderbare Landschaftspark Duisburg-Nord, der einmal ein riesiges Stahlwerk war. Ich habe ein Fahrrad geliehen und bin über das Gelände gekurvt, vorbei an den Sinteranlagen und Möllerbunkern, habe von der Brücke auf die Alte Emscher hinuntergeschaut und wollte nicht glauben, dass sie im Gasometer wirklich tauchen üben. Das Windrad war gerade wieder aufgestellt worden, in vierzig Meter Höhe, nach zwei Jahren Reparatur am Getriebekopf; jetzt hat der Park eines seiner Wahrzeichen zurück. Beim Traumzeit-Festival traten Tom Odell, Milky Chance, Alice Merton und viele andere Musiker auf, beim Klavierfest Ruhr spielten sie Strawinsky in der Gebläsehalle. Ziemlich viel los ist hier, fast immer.
Eine Entdeckung ist auch das MuT in Bochum, das Museum unter Tage in einem herrlichen Park, in dem gerade »Artige Kunst« zu Ende gegangen war, womit auf die Kunstpolitik in der NS-Zeit angespielt wurde. Oder das goldene U auf dem monströsen Gebäude gleich neben dem Dortmunder Hauptbahnhof, das einmal eine Brauerei beherbergte. Hoch oben auf dem Turm erzählen umlaufende Videos witzige kleine Geschichten, die sich Adolf Winkelmann ausgedacht hat; er ist nicht nur Regisseur, sondern auch der Chronist des Ruhrgebiets. 1,7 Millionen LEDs ließ er hier installieren, damit es etwas zu lesen und zu schauen gibt; die Computertechnik ist ein kleines Wunderwerk. Manchmal lässt Winkelmann den Turm die Zeitläufte kommentieren. Als einige Neonazis Dortmund unsicher machten, sagte der Turm dazu: »Ich, der Turm, fand Nazis damals schon voll uncool.« Das fanden die Dortmunder cool.
Es gibt viel zu entdecken im Ruhrgebiet. Etliche Hunderttausende Menschen reisen an, bleiben für einen Tag oder auch mehrere Tage. Sie gehen in die Jahrhunderthalle Bochum, eine meisterhafte Konstruktion der Ingenieurskunst aus dem Jahr 1902. Sie besuchen die wunderbare Zeche Zollverein, die vermutlich eindrucksvollste Ikone aus dem Industriezeitalter, die eine besonders prominente Adresse bekommen hat: im Welterbe. Sie genießen das erstaunlich große Angebot aus Kultur und Kunst, das Berlin kaum nachsteht, jedenfalls dann nicht, wenn man das Ruhrgebiet als Ganzes betrachtet, als eine riesige Metropole. Und natürlich können sie auch in eines der Stadien gehen, die bei jedem Heimspiel ausverkauft sind. In der Bundesliga haben sie die Wahl zwischen Schalke und Dortmund, wo das Publikum den Fußball einzigartig zelebriert und orchestriert, inbrünstiger als in München oder Hamburg.
Das Erstaunliche am Ruhrgebiet ist, dass die Wirklichkeit seinen Ruf dementiert. Es ist vielfältig und bunt, es ist grün und mit einem Reichtum an Landschaften gesegnet, den man kaum für möglich hält. Auf den Halden, die der Bergbau hervorbrachte, lässt sich picknicken oder ein Stück im Amphitheater anschauen oder durch den Tetraeder flanieren, einer Stahlkonstruktion in Form einer dreiseitigen Pyramide. Wer es langsam liebt, nimmt sich ein Fahrrad und kurvt entlang der Route der Industriekultur, auf der die wichtigsten Industriedenkmäler aus der Zeit stehen, als das Ruhrgebiet aus einer Arbeitsgesellschaft bestand, die Deutschland mit Kohle und Stahl versorgte. Und wer will, kann sogar in der Ruhr baden, denn das ist jetzt wieder erlaubt, nachdem es 46 Jahre lang verboten war, seit 1971.
Dort, wo es spannend und interessant ist, entsteht das neue Ruhrgebiet im alten. Vor ungefähr dreißig Jahren haben die Städte aufgehört, wie aus Scham darüber, dass sie nicht mehr gebraucht wurden, stillgelegte Zechen abzureißen. Ihre Zeit ging vorbei, selbst wenn sie moderner und erheblich sicherer waren als Bergwerke in China, Südafrika oder der Türkei. Auf dem Weltmarkt konnte die deutsche Kohle nicht mehr konkurrieren. Zum Eliminieren der Schächte wurde endlich eine Alternative entdeckt: das Konservieren. Fortan sanierte das Ruhrgebiet das Alte, machte ein Neubaugebiet oder einen Technologiepark daraus. Oft ließ e