Was bleibt am Ende des Lebens von der Liebe? Das hat sich die junge Journalistin Gina Bucher gefragt: sie führte zahlreiche Gespräche mit Menschen zwischen 60 und 96 und lässt sie hier ihre Geschichten erzählen. Wie haben sie die Liebe kennengelernt, erlebt, gefunden und verloren? Gibt es die eine große Liebe? Wie sind sie mit Krisen umgegangen, zum Beispiel wenn der Partner fremdgegangen ist? Oder wie haben sie ihr Leben bewältigt, wenn der geliebte Mensch gestorben ist? Die bewegenden Geschichten verdichten sich zu einem Psychogramm der Lebenserfahrung. Sie geben viele kluge Antworten auf die Frage, was eine glückliche Beziehung eigentlich ausmacht, und zeigen, dass man auch mit 80 noch Schmetterlinge im Bauch haben kann! Einzigartige Liebesgeschichten, wie sie nur das Leben schreiben kann.

Gina Bucher studierte Publizistik und arbeitet als Redakteurin und freie Journalistin, unter anderem für die taz. Sie ist Herausgeberin verschiedener Bücher im Kunstbereich. Gina Bucher lebt in Berlin und Zürich.

Autorentext
Gina Bucher studierte Publizistik und arbeitet als Redakteurin und freie Journalistin, unter anderem für die taz. Sie ist Herausgeberin verschiedener Bücher im Kunstbereich. Gina Bucher lebt in Berlin und Zürich.

Leseprobe

Was ist denn eigentlich Liebe?
Cornelia Feller, 82 Jahre

Ich war immer gerne für mich alleine. Erst jetzt mit 82 Jahren vermisse ich jemanden. Ich wünsche mir eine Freundin, noch lieber einen Freund, den ich morgens unkompliziert anrufen könnte, um zu fragen: »Was machst du heute - essen wir zusammen?« Nicht einer, der ständig anrufen oder vor der Türe stehen, sondern jemand, den ich regelmäßig treffen würde. Keine Ahnung, wo man solche Männer trifft. Computer und Internet habe ich nicht, aber so würde ich sowieso niemanden kennenlernen wollen. Eher stelle ich mir vor, dass wir uns zufällig begegnen würden. Wahrscheinlich bin ich eine Romantikerin.

Zweimal war ich verheiratet. Heute frage ich mich, ob ich tatsächlich je geliebt habe. Die, in die ich mich verliebt hatte, wollten mich nicht. Und die, die mich unbedingt haben wollten, in die war ich womöglich gar nicht richtig verliebt. Ich habe mir nie Liebesfilme angesehen, die haben mich gelangweilt. Erst in letzter Zeit habe ich mir ein paar angeschaut, und sie haben mich sehr berührt. Haben mich aber auch traurig und wehmütig gemacht. Selbst wenn es in diesen Filmen oft nur darum geht, wie sich zwei Menschen begegnen. Und selten darum, was danach passiert - wenn zum Beispiel einer der beiden besitzergreifend wird. Seither frage ich mich: Was ist denn eigentlich Liebe?

Meinen ersten Mann habe ich beim Jazz kennengelernt. Ich lebte da schon länger nicht mehr zu Hause, sondern wohnte mit einer Freundin zusammen. Wann immer möglich, gingen wir tanzen. Jeans und Pulli zogen wir erst im Klub an, denn Anfang der Fünfzigerjahre trugen Frauen noch keine Hosen, sondern Rock oder Jupe. Einmal auf einem Jazzball, ich tanzte gerade zu Bebop, kam ein Mann herein. Verkleidet als Neandertaler, ein Fell über die Schultern geworfen, blieb er an der Türe zum Saal stehen und starrte mich einfach an. Ich spürte seine Blicke. Sah ihn aber kaum, weil ich nie gerne meine Brille trug. Noch am selben Abend auf der Tanzfläche sagte er mir, dass er mich liebe. Das war verrückt! Er fragte, ob wir uns wiedersehen könnten. Auf einen festen Freund hatte ich nicht so richtig Lust. Ganz im Gegenteil: Ich habe nie explizit nach einem Mann gesucht. Das Leben, das ich hatte, gefiel mir ganz gut. Ich tanzte mit verschiedenen Männern und wohnte mit einer Freundin zusammen. Gerne wäre ich Schauspielerin geworden und nach Paris gegangen, doch das traute ich mich nicht.

Dass mich einer so sehr wollte, das beeindruckte mich. Ich war gerade erst zwanzig Jahre alt, er fünf Jahre älter - er hatte aber ein Leben hinter sich, das ihn zwanzig Jahre älter machte. Er war unehelich aufgewachsen, in einem kleinen Dorf, war mit 16 Jahren von zu Hause weggegangen, landete schließlich in der Psychiatrie und bekam einen Vormund. Während unserer Ehe wurde er ein angesehener linker Schriftsteller, in meiner Generation ist er sehr bekannt. Als wir zusammenkamen, hatte er kaum Geld, nur wenig Kleider und hauste in einem winzigen Zimmer, in dem es sogar fast ein wenig stank. Er faszinierte mich. Also blieb ich. Am Anfang hatten wir lediglich, was ich verdiente. Er schrieb und begann sofort, mit einflussreichen Leuten Kontakt aufzunehmen. Dass sich unser Leben anders entwickelte, als ich mir das ursprünglich vorstellte, realisierte ich erst nach ein paar Jahren. Ich hatte mir mein Leben mit ihm anders, freiheitlicher vorgestellt: Schreiben kann er überall, also würden wir herumreisen, er würde schreiben und ich in einem Büro arbeiten, wenn wir Geld brauchten. Seine Manuskripte tippte ich ja ohnehin ab. Er aber bestimmte, und ich machte mit. Er wollte möglichst schnell Karriere machen, dafür brauchte er eine Familie. Und er wollte nicht, dass ich Schauspielerin wurde.

Wir heirateten, und bald darauf kam unser Sohn zur Welt. Damals sind Kinder häufig einfach passiert, ich wusste ja nicht einmal richtig, wie man verhütet. Obwohl ich da bereits eine



Inhalt

Liebe ist alles

Die Sehnsucht nach Nähe: suchen, finden, frei bleiben

Was ist denn eigentlich Liebe? - Cornelia Feller, 82 Jahre

Ich möchte sie gern wieder einmal umarmen - Helmut Becher, 68 Jahre

Man will ja doch das Dornröschen sein - Sabine Ledoux, 75 Jahre

Keine Putzfrau will ich, sondern eine Freundin - Herbert Kramer, 77 Jahre

Du bist mir aufgefallen, ich mag solch poppige Leute wie dich - Zora Roth, 71 Jahre

Ich teile eine Frau lieber, als sie für mich alleine zu haben - Manolo Tschann, 71 Jahre

Signore, ich kenne Sie ja gar nicht! - Inge Meissen, 69 Jahre

Wer bin ich eigentlich als Mann? - Johannes Gloggner, 66 Jahre

Die Fragilität des Glücks: verliebt, verlobt, verheiratet

Liebe heißt, berührt zu werden - Gabriela Baumann, 70 Jahre

Ich rieche heute noch die Pilze in jenem Wäldchen! - Vera Printz, 83 Jahre

Wie sich das Happy End anfühlt, habe ich nie hinterfragt - Hedda Brent, 70 Jahre

Die Männer waren nach dem Krieg nicht auf Liebe eingestellt - Erika Bayer, 96 Jahre

Große Liebe klang nach Schicksalsschlag und Ohnmacht - Rita Ramseier-Olsson, 66 Jahre

Es hat Wumm! gemacht - Mats Olsson-Ramseier, 62 Jahre

1968 hat unsere Vorstellung von Liebe radikal verändert - Willemijn de Jong, 66 Jahre

Wenn da jemand ist, der dich liebt, ist auch das Älterwerden nicht so tragisch - Franz Freuler, 70 Jahre

Wir sind in unserem Alter viel freier - Claudius Rechsteiner, 89 Jahre

Finden Sie wirklich, dass er mich anstrahlt? - R. K., 86 Jahre

Ein Ende kommt immer - Elsa Koltes, 82 Jahre

Was nach dem Abschied bleibt: trennen, scheitern, loslassen

Ratzfatz gerieten wir in die klassische Rollenverteilung - Philipp Petzold, 68 Jahre

Mit einem Kind kann man keinen Mann halten - Hildegard Müller, 83 Jahre

Ich bin aus einer Welt in eine komplett andere geraten - Carola Graf, 72 Jahre

Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende - Anna Messner, 65 Jahre

Und doch hat mich jede Trennung weitergebracht - Jochen Keller, 70 Jahre

Das Wunderbare ist: Verlieben kann man sich immer wieder - Gerda Klein, 90 Jahre

Wenn das Leben anklopft, werde ich aufmachen und nachschauen - Christine Loiseau, 67 Jahre

Wie gern ich noch ein wenig neben ihm gelegen hätte! - Miriam Beehler, 95 Jahre

Richtig getrennt voneinander waren wir nie - Maud, 79 Jahre

Die Ärztin schob mir die Medikamente zu, nicht ihm - Nelly Jaeger, 67 Jahre

Wo ist meine Frau hin? - Wolfgang Lampert, 89 Jahre

Danke

Stichworte der Liebe

Titel
Ich trug ein grünes Kleid, der Rest war Schicksal
Untertitel
Geschichten von der Liebe
EAN
9783492972970
ISBN
978-3-492-97297-0
Format
E-Book (epub)
Herausgeber
Veröffentlichung
17.03.2016
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
0.68 MB
Anzahl Seiten
256
Jahr
2016
Untertitel
Deutsch
Features
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet