Giorgio Todde, geboren 1951, lebt und arbeitet als Augenarzt in Cagliari, Sardinien. In seinen Kriminalromanen um die historisch wahre Figur des Arztes und Einbalsamierers Efisio Marini läßt er das Sardinien des neunzehnten Jahrhunderts Jahrhunderts mit beeindruckender Lebendigkeit neu erstehen. In Italien wurde Giorgio Todde mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. Nach 'Der Tod der Donna Milena' und 'Das Geheimnis der Nonna Michela' erschien zuletzt von ihm auf deutsch 'Die toten Fischer von Cagliari'.
Autorentext
Giorgio Todde, geboren 1951, lebt und arbeitet als Augenarzt in Cagliari, Sardinien. In seinen Kriminalromanen um die historisch wahre Figur des Arztes und Einbalsamierers Efisio Marini läßt er das Sardinien des neunzehnten Jahrhunderts Jahrhunderts mit beeindruckender Lebendigkeit neu erstehen. In Italien wurde Giorgio Todde mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet. Nach "Der Tod der Donna Milena" und "Das Geheimnis der Nonna Michela" erschien zuletzt von ihm auf deutsch "Die toten Fischer von Cagliari".
Leseprobe
2
Es ist zu warm in diesem Mai, viel zu warm.
Efisio Marini, achtzehn Jahre alt, leichter Knochenbau, mit einer Haartolle störrisch wie Draht, die ihm ständig in die Stirne fällt, springt über die weißen Kiesel des felsigen Kaps, das die blaue Bucht in zwei gleich große Hälften teilt. Ein junger Mensch weiß nicht, daß er jung ist, sagt sein Erzieher immer.
»So viel Licht!«
Heute wirft die Sonne keine Schatten. Efisio hat sein Boot festgemacht und klettert zu dem weißen Turm hoch oben über der Küste hinauf. Er spürt den lang ersehnten Wind, der den Geist dieses Ortes ausmacht. Die riesigen Agavenpflanzen bilden einen finsteren Wald auf dem Berggipfel.
Noch hält er die Welten, in denen er sich wiederfindet, für einzigartig, und er erzählt seinem Piaristen davon. Doch die Phantasie spielt ihm hier einen Streich. Der Mönch erklärt ihm immer wieder, daß nicht jeder Ort eine eigene Seele habe, doch für Efisio ist das so und nicht anders.
Er sieht den langen Streifen Strand. Jedesmal, wenn er ihn von so weit oben betrachtet, denkt Efisio ans Fliegen. Dünen wie in der Wüste und immergrüner Schilf trennen das Meer von dem tropischen Salzsee, wo die Vögel leben und die Verdammten aus den Salinen.
Die Zwangsarbeiter leiten das Meerwasser um, schwitzend stehen sie an dem Rad, wo das Salz gewonnen wird. Von weitem sieht man es aufgehäuft zu Gletschern, deren strahlendes Weiß in den Augen blendet.
»So viel Licht!« Er schließt die Lider.
Efisio hat begriffen, daß an dieser heiligen Stätte die Natur alles von alleine macht; sie bestimmt die Form der Steine, die Farben, ja sogar die Form der Bäume, denen der Wind allen die gleiche Gestalt verliehen hat, ob Pinien oder Eukalyptus. Es ist ein in sich geschlossener Ort, und doch spürt und erkennt er hier eine immerwährende Veränderung.
So viel Licht! In der Nacht sorgt der Mond dafür.
Schade, daß Carmina nicht da ist! Seine Carmina ist ein Mädchen aus dem Kolleg. Sie kann nicht da sein, es ist nicht erlaubt. Er trifft sie heimlich, an den alten Mauern, bei Sonnenuntergang ... Jedesmal ein Wagnis, ein Risiko ... Was soll er nur im Oktober machen? Der Vater will ihn nach Pisa schicken, zum Medizinstudium. Er sagt, Cagliari ist arm und vertrocknet, eine Festung über den Sümpfen, ein Ort, an dem Ratten und Mücken das Sagen haben, weggehen muß man von hier, wir haben das Jahr 1854, doch hier ist nicht dasselbe Jahr wie anderswo, denn hier, so sagt er, ist immer das Jahr von vor langer, langer Zeit.
Im Schatten des weißen Turmes nimmt Efisio einen Schluck aus seiner Trinkflasche und beginnt die Fossilien zu sortieren, die er gefunden hat; dann verstaut er sie in einzelnen Säckchen. Er notiert sich alles in einem kleinen Heft, denn er möchte einen Katalog anlegen. Zu heiß, zu heiß ... Er gähnt, reibt sich die Augen und macht sich bereit für ein Nickerchen, wie hypnotisiert von einem unbeweglich in der Luft stehenden Falken, der am Himmel festgenagelt scheint.
Während er sich nach einem weichen Eckchen zum Schlafen umschaut, sieht er tief unten zwischen den Klippen plötzlich einen formlosen Gegenstand im Wasser treiben; behutsam drängen die Wellen ihn immer wieder gegen die Steine.
Erst glaubt er, es wäre ein riesiger Fisch, dann ein ertrunkenes Schwein, doch da schießt ihm ein Gedanke durch den Kopf - gewaltig und massiv wie ein Felsbrocken - und beginnt ihn zu beunruhigen.
Er klettert den Hang hinunter, schürft sich Hände und Knie auf, löst das Boot aus seiner Vertäuung und rudert zu der im Meer trudelnden Masse. Als er auf zehn Meter herangekommen ist, fühlt er, wie ihm das Herz durch den offenen Mund entschwindet, wie es brennt und sticht.
Es ist ein Mensch, diese schlaffe Masse ist ein Mensch. Ein nackter Mann, mit dem Gesicht nach unten, weiß und grau, über und über bedeckt mit Flohkrebsen und umschwärmt von zufriedenen Fischen.
Es ist der erste Tote, den er s