Ich bitte um Verständnis. Dies ist ein Rechenschaftsbericht. Ein höchst persönliches Dokument. Dem Leser steht es frei, darin auch ein Stück Literatur in der Fortentwicklung der Konfessionen des Kollegen Jean-Jacques Rousseau zu sehen." Greisengemurmel nennt Gregor von Rezzori seine Erinnerung aus fast acht Jahrzehnten: die Kindheit in ...

Autorentext
Gregor von Rezzori, 1914 in Czernowitz in der Bukowina geboren, wuchs in Rumänien und Österreich auf und lebte bis zu seinem Tod 1998 in der Toskana. Seine Maghrebinischen Geschichten oder die Denkwürdigkeiten eines Antisemiten gehören zu den bedeutenden Werken der europäischen Literatur. (Foto (C) by GettyImages)

Leseprobe
Und als er näher herankam, fand er einen Palast, gebaut aus schwarzen Steinen und belegt mit Eisenplatten, und einer der Flügel des Tores stand weit offen, während der andere geschlossen war.

AUS DER DRITTEN DER TAUSENDUNDEINEN NÄCHTE

Der fragwürdige Frühling vor meinen Fenstern ist ein Geschenk des März. (Ein Lied aus Kindertagen, das mein Vater trällerte: "Die Pappeln dort auf der Chaussee wiegt schon der Märzenwind; mein Wintertraum zerfließt wie Schnee, der von den Dächern rinnt ...") In der Tat ist noch kein Monat vergangen seit das Wetter entschieden winterlich war. Entsprechend dem was hier Winter heißt: Eisregen im Nebel; manchmal zaust böser Wind die Oliven. Es hat mich nicht angefochten; ich hab' den Fuß nicht vor die Tür gesetzt. Ich klebe am Fernsehschirm. Ich klebe daran seit dem Januar 1991. Was sich damals darauf abgespielt hat (als spielte sich's hier tatsächlich vor meinen Augen ab und nicht einige Tausend Meilen ostwärts im Fabelland Arabien) war der Golfkrieg. Ein Wintertraum der Medien der nicht mit dem Schnee zerflossen ist sondern im Nebelgrau des Flimmerschirms. Die Faszination des vorgezauberten Geschehens war betäubend. Ich sagte mir: Das ist nun endlich wirkliche Wirklichkeit. (Wenngleich nicht meine hier.) Ich stürzte mich hinein. Meine Bücher ließ ich liegen. Das Reich der sieben Säulen der Weisheit war in mein Zimmer gekommen. Lawrence of Arabia's Abenteuer fanden ihre konsequente Fortsetzung vor meinen Augen. Was ich sah war welthistorisches Geschehen: Der irakische Diktator Saddam Hussein hatte Kuwait besetzt und ist (wie inzwischen jedermann sattsam weiß) nach ausgiebigem Bombardement durch Mr. Bushs "Wüstenschild" und Fünf-Sterne-General Schwarzkopfs "Wüstensturm" wieder hinausgefegt worden. Fürs Fernsehen und meine drei Tageszeitungen vier Wochenblätter und sechs Monatszeitschriften beispielhaft das was im journalistischen Fachjargon (der unsereSprache immer üppiger durchdringt) ein scoop heißt. Doch welch jämmerlich falsch gefurzter! Ich schaute mich von einer Enttäuschung in die andere. Die Bilder waren lebensmuterstickend nichtssagend. Die Kommentatoren bemühten sich den Sensationswert aufzuheizen. Geschwätz ist die gewohnte Geräuschkulisse zum bewegten Bild. Und das hätte sich verstecken müssen. Anfangs stundenlang nichts anderes als aufsteigende und landende Flugzeuge. Wie im Kino wenn man glauben soll Held oder Heldin hätten sich an einen anderen Ort begeben. Aber wenn sie dort gelandet sind geschieht gewöhnlich irgendwas. Hier nicht. Es waren Bomber, wo hatten sie ihre Bomben abgeladen? Dank CNN sah man's dann endlich: Bagdad (die Stadt des Kalifen Harun ar-Raschid) bei Nacht. Kohlpechrabenschwarze Finsternis fern gesäumt von Elmsfeuern. Na schön: das hatte unsereiner von 1940 bis 1945 an Ort und Stelle (wenn auch einige Tausend Meilen westwärts: in Berlin) unvergleichlich viel dramatischer und geräuschvoller erlebt. Wirkliche Wirklichkeit. Hier war's abstrahiert. Gelegentlich sah ich was von oben: infrarot aufgenommen ein schemenhaftes Bombenziel im Fadenkreuz der (offenbar unbehelligten) Angreifer. Mehlig grauschwarz wie auf einem unterbelichteten Negativ. Ein unbestimmtes Etwas plötzlich ausgelöscht von einem draufgepatzten Schneeball. Das – sagte mir der Kommentator – war der Bombeneinschlag. (Und was da unten lebendig gewesen war hatte a snowball's chance in hell: Ebenso wie ich um 1943 in Berlin.) Jetzt und hier blieb's ein schattenhafter Vorgang. Eine Art Graupause des Entsetzlichen. (In meinem Turmzimmer war's gemütlich: ein flottes Feuerchen brannte im Kamin und ich hielt das Glas mit meinem Abendwhisky in der Hand.) Nur
Titel
Greisengemurmel
Untertitel
Ein Rechenschaftsbericht
EAN
9783942822251
ISBN
978-3-942822-25-1
Format
E-Book (epub)
Herausgeber
Veröffentlichung
03.04.2013
Digitaler Kopierschutz
frei
Anzahl Seiten
287
Jahr
2013
Untertitel
Deutsch