Günter Ruch (1956-2010), wurde in Sinzig am Rhein geboren, studierte in Bonn mittelalterliche Geschichte und arbeitete später als Journalist, Grafiker, Fotograf und Autor. Bei dotbooks erschienen Günter Ruchs hervorragend recherchierten und mitreißend erzählten historischen Romane »Das Geheimnis des Wundarztes«, »Gottes Fälscher« und »Genovefa - Das Herz einer Gräfin«.
Autorentext
Günter Ruch (1956-2010), wurde in Sinzig am Rhein geboren, studierte in Bonn mittelalterliche Geschichte und arbeitete später als Journalist, Grafiker, Fotograf und Autor. Bei dotbooks erschienen Günter Ruchs hervorragend recherchierten und mitreißend erzählten historischen Romane »Das Geheimnis des Wundarztes«, »Gottes Fälscher« und »Genovefa - Das Herz einer Gräfin«.
Leseprobe
I
Schwer und plump wirkte der Kastenwagen, mit dem Graf Sygifrid seine Braut in ihrer brabantischen Heimat abgeholt hatte. Das Gefährt rumpelte über die alte Römerstraße, holperte durch ein tiefes Schlagloch. Bertrada krachte mit dem Kopf gegen die niedrige Decke des Wagens. Sie schrie laut auf vor Schmerz.
»Verflucht sei diese Reise!«, schimpfte die Amme Genovefas. »Man kann die verdammte alte Straße kaum noch erkennen! Und in was für einem erbärmlichen Zustand sie ist!«
Genovefa, die Brabanterin, lachte. Sie war fest entschlossen, sich die gute Laune durch nichts verderben zu lassen. Sie glitt noch immer dahin auf dieser Woge des Glücks, und dazu passte der strahlende Sonnenschein, der das Tal von Kesseling übergoss - so und nicht anders sollte es sein, denn genauso hatte sie es sich vorgestellt.
»Ist schon gut«, lenkte Bertrada ein. »Es ist das Land deines Grafen, und alles ist herrlich und wunderbar.« Sie grinste ironisch. »Ich weiß doch, wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, dann wird schwarz zu weiß und krumm zu gerade. So bist du immer gewesen, schon als kleines Kind.«
»Freu' dich einfach mit mir!«, schlang Genovefa ihre Arme um Bertradas Hals. »Du weißt doch, wie ich bin. Entweder ganz, oder gar nicht. Wenn ich mich einmal für eine Sache entschieden habe, dann bin ich mit Haut und Haaren dabei.«
Bertrada machte ein strenges Gesicht. »Erinnerst du dich an Arko? Du wolltest ihn unbedingt haben. Feuer und Flamme warst du, und für dich wäre die Welt untergegangen, wenn du dieses Pferd nicht bekommen hättest. Selbst dein Vater hat ja schließlich zugestimmt, und das will etwas heißen. Aber dann war es wie mit allen deinen Spielzeugen: Was du besitzt, an dem verlierst du schnell das Interesse.«
Genovefa machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist tausend Jahre her!«, rief sie fröhlich. »Ich bin jetzt kein Kind mehr. Glaubst du denn nicht, dass man sich ändert, wenn man erwachsen wird?«
Bertrada zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich werde ich dich immer wie ein Kind ansehen. Vielleicht werde ich niemals begreifen, dass du erwachsen bist, eine Frau ... und eine Braut.«
»Ja!«, lachte Genovefa. »Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich wirklich eine verheiratete Frau bin, und dass draußen vor dem Wagen mein Gemahl reitet ...«
Genovefa schloss die Augen und gab sich ganz ihren Gefühlen hin. So ist es also, wenn alle Wünsche in Erfüllung gehen, dachte sie euphorisch. Sie kannte sich selbst gut genug, einem solchen Überschwang der Gefühle zu misstrauen; schnell konnte das ins Gegenteil umschlagen, und am Ende blieb nur gelangweilte Gleichgültigkeit - aber bei Sygifrid war das alles anders.
Als sie noch sehr jung war, hatte sie von den Helden geträumt, wie sie die Geschichten bevölkerten, mit denen man sich an den Kaminfeuern in den langen Wintermonaten unterhielt. In ihren Träumen war sie die umworbene Prinzessin, die von ihrem Zukünftigen in ein lichtstrahlendes Leben ohne Sorgen und im Überfluss geführt wurde.
Als einziges Kind des brabantischen Kleingrafen Ugobert fehlte es ihr zwar an nichts, aber die Strenge und die Kälte des Vaters hatten Genovefa den Abschied leicht gemacht.
Plötzlich schlich sich Nachdenklichkeit in das Gesicht der jungen Gräfin, so als habe sie für einen kurzen Augenblick hinter die Kulissen ihrer Euphorie, und hinter die Kulissen ihres Lebens geschaut. Aber das verging schnell wieder.
»Ich weiß ja, dass es für dich viel schwerer als für mich war, dich von unserer Heimat zu trennen«, legte Genovefa nach kurzem Schweigen beschwichtigend die Hand auf Bertradas Arm. »Aber glaube mir, dir wird es in Magus sicherlich genauso gut ergehen wie zu Hause.«
Bertrada wirkte nicht sehr überzeugt. Aber sie wusste, dass es sinnlos war, gegen Genovefas Meinung und gegen ihre Laune zu opponieren. Wenn sich Ugoberts Tochter etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann war sie nicht davon abzubri