Hauke Friederichs, geboren 1980 in Hamburg, hat in Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Hamburg promoviert und arbeitet als Journalist und Autor. Er schreibt u. a. für die ZEIT und SPIEGEL Geschichte. Zuletzt erschien von ihm »Die Totengräber: Der letzte Winter der Weimarer Republik«.
Autorentext
Hauke Friederichs, geboren 1980 in Hamburg, hat in Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Hamburg promoviert und arbeitet als Journalist und Autor. Er schreibt u. a. für die ZEIT und SPIEGEL Geschichte. Von ihm erschienen zuletzt "Die Totengräber: Der letzte Winter der Weimarer Republik" sowie bei Aufbau der SPIEGEL-Bestseller "Funkenflug. August 1939: Der Sommer, bevor der Krieg begann" (2019).
Leseprobe
1. August 1939, Dienstag
Es ist ein großes Marschieren in diesen Tagen in Deutschland. Dieses Land übt wieder für einen neuen Krieg.
Der Aufbau, Exilzeitung aus New York
1. August 1914 - 1. August 1939
Die Welt spricht wieder vom Krieg - Gibt es Krieg?
Der Angriff, Zeitung der Deutschen Arbeitsfront, Berlin
Überall in Europa freuen sich die Menschen in diesen Tagen über einen prächtigen Sommer - die niederländische Küstenstadt Noordwijk ist leider eine Ausnahme. Katia und Thomas Mann können sich hier für ihr Urlaubswetter nicht begeistern. Der Wind pustet oft so stark, dass geplante Spaziergänge am Strand ausfallen müssen. Seit dem 16. Juni sind beide in dem bekannten Seebad zu Gast. Katia Mann hat hier am 24. Juli ihren 56. Geburtstag gefeiert. Auch an diesem Tag, vor einer Woche, war es dunkel, kalt und regnerisch.
Ihr Mann fühlt sich in den Niederlanden nicht wohl. Die Tage sind kühl und verregnet - und die Nächte erst! Eiskalt. Mit drei Wolldecken hüllt der Literat sich ein. Noordwijk ist für sein Reizklima bekannt. Und Thomas Mann leidet schon unter dem politischen Reizklima dieser Tage: Er schläft schlecht, ist von chronischer Müdigkeit geplagt. Und dann sind da auch noch die laute Musik und die lärmenden Gäste, die seinen Mittagsschlaf auf der Terrasse stören. Was für eine Tristesse.
Endlich aber hat sich der Südweststurm etwas abgeschwächt. Die Sonne lässt sich blicken. Katia und ihr Mann, der weltberühmte Schriftsteller, können wieder einmal am Ufer flanieren. Kein Regen, kein Sturm halten sie auf. Der Anblick des rollenden Meeres beeindruckt beide nachhaltig.
Thomas Mann arbeitet viel in diesen Tagen, er bringt seinen Roman »Lotte in Weimar« voran, liest, diktiert. Katia Mann schreibt Briefe, korrespondiert mit ihren sechs Kindern, die über die halbe Welt verteilt sind. Mit ihren drei Söhnen und drei Töchtern kommuniziert sie in einer Sprache, die für Außenstehende kaum zu verstehen ist. Sie denken sich Kosenamen füreinander und die restlichen Familienmitglieder aus. Ironie, Spott und liebevolle Ermahnungen wechseln sich ab. Ihren Mann nennt Katia Mann manchmal ein »rehartiges Gebilde von großer Sänfte«.
Thomas Mann mag der intellektuelle Kopf der Familie sein, der entrückte Zauberer, aber Katia Mann hält alles zusammen. Sie hat für ihre Familie ihr Studium der Mathematik und Physik aufgeben, ordnet sich der Karriere des Ehemannes immer wieder unter, unterstützt ihn, so gut sie kann, sorgt dafür, dass er sich wohlfühlt und schreiben kann. Nun plant sie die Abreise. Bevor sie wieder zurück in die Vereinigten Staaten fahren, wohin sie vor den Nationalsozialisten geflohen sind, wollen sie noch die Schweiz und Schweden besuchen. Vor Sonnabend, so erfährt Katia Mann, sind aber keine Schlafwagenplätze mehr frei. Die Manns bleiben also noch ein paar Tage in Noordwijk und hoffen auf milde, sonnige Stunden.
Nachmittags trinken sie Tee im Café Seinpost und spazieren am Strand zurück zu ihrem Hotel. Ihre Gedanken kreisen immer wieder um Deutschland, die alte Heimat, die sie ausbürgerte, wo sie als Staatsfeinde gelten. Ihren gesamten Besitz haben die Behörden konfisziert, die Villa in München, zwei Automobile und Bankkonten. Zum Glück hatte Thomas Mann die Hälfte des Nobelpreisgeldes in der Schweiz deponiert. Und Sohn Golo konnte noch 60 000 Mark in Deutschland vor der Beschlagnahmung retten, ein Drittel dessen, was die Eltern in der Schweiz besaßen. Als kritischer Konservativer, der die Nationalsozialisten nicht mochte, war Thomas Mann zum Regimegegner worden. Katia Mann aber gilt laut NS-Rassenideologie als »Halbjüdin«. Die Ereignisse in Deutschland verursachen ihr schieren Ekel. Ihre jüdischen Eltern leben n