Während eines Forschungsaufenthalts in Sibirien erfährt der Engländer Murrey Yeovil vom Seesieg der Deutschen und der Besetzung seiner Heimat durch die Truppen des Kaisers. Bei seiner Rückkehr nach London sieht er die zweisprachigen Hinweisschilder und die Institutionen der Besatzer. Er empfindet ihre Präsenz als nationale Schmach. Der englische König residiert in New Delhi. Viele begüterte Familien sind mit ihm ins indische Exil gegangen. Die Zurückgebliebenen haben sich mit dem Fait accompli abgefunden. Für manchen Patrioten die schlimmste Demütigung: Die Engländer werden von der Militärpflicht entbunden. Die Deutschen setzen auf Kollaboration und endgültige Fakten. Aber wird es ihnen gelingen, die Jugend zu gewinnen - und damit die Zukunft? In seinem bereits 1913 geschriebenen und 1914 veröffentlichten Roman When William Came schildert Hector Hugh Munro ein England, das vom deutschen Kaiser Wilhelm II. erobert wurde. Das Buch macht sich einerseits über die Verhaltensweisen der preußischen Besatzer lustig (die das Viktoriadenkmal vor dem Buckingham Palast in "Großmutter-Denkmal" umbenennen), wie auch in scharfer Satire über die "vorherzusehenden" peinlichen Anbiederungsversuche weiter Teile der britischen Oberschicht an die Sieger. Dieser SF-Klassiker liegt hier in der nie veröffentlichen Übersetzung von Dr. Heinrich Schönfeldt aus dem Jahr 1921 unter Bearbeitung von Sarah Schmidt vor.

Leseprobe
Cicely Yeovil saß in einem niedrigen Schaukelstuhl und betrachtete abwechselnd sich selbst im Spiegel und den zweiten Anwesenden im Raum in natura. Beide Anblicke erfüllten sie mit sichtlicher Befriedigung. Ohne eitel zu sein, legte sie Wert auf ein gutes Aussehen, sowohl bei sich selbst als auch bei anderen, und der junge Mann am Klavier, den sie betrachtete, hätte auch bei einer strengeren und kritischeren Musterung günstig abgeschnitten. Wahrscheinlich war sie ausgiebiger und mit größerer Anerkennung in den Anblick des Klavierspielers versunken als in ihr eigenes Spiegelbild; ihr gutes Aussehen war ein ererbter Besitz, der sie mehr oder weniger ihr ganzes Leben lang begleitet hatte, während Ronnie Storre eine verhältnismäßig neue Errungenschaft war, sozusagen durch ihre eigene Initiative entdeckt und erworben, mit ihrem persönlichen guten Geschmack ausgewählt. Das Schicksal hatte sie mit hinreißenden Wimpern und einem edlen Profil ausgestattet. Ronnie war eine Schwäche, die sie sich selbst zugestanden hatte. Cicely hatte sich schon vor langer Zeit eine eigene Lebensphilosophie zurechtgelegt und sich mit Entschiedenheit ans Werk gemacht, um diese Philosophie in die Praxis umzusetzen. Wenn die Liebe vergangen ist, wie wenig versteht dann selbst der Liebende von der Liebe, pflegte sie einen ihrer Lieblingsdichter im Stillen zu zitieren und verwandelte die Aussage in: Solange unser Leben andauert, wie wenig versteht da selbst der Materialist vom Leben. Die meisten Leute, die sie kannte, nahmen endlose Quälereien und vorbeugende Maßnahmen auf sich, um ihr Leben zu erhalten und zu verlängern und sich die Kraft zur Freude ungeschmälert zu bewahren. Wenige, nur sehr wenige, so schien es, unternahmen jedoch einen intelligenten Versuch, zu begreifen, worum es ihnen eigentlich ging, wenn sie von Lebensgenuss sprachen, oder herauszufinden, welches die besten Mittel waren, um derartige Wünsche zu befriedigen. Und noch weniger setzten ihre ganze Kraft zum Erreichen des einzigen, ungeheuer hochgesteckten Ziels ein, nämlich das äußerste Maß dessen zu bekommen, was sie sich wünschten. Ihr Lebenszweck war nicht ausschließlich egoistischer Natur, doch niemand konnte so gut wissen wie sie selbst, was sie wirklich wollte, und deshalb war sie der Ansicht, dass sie die am besten geeignete Person war, um ihre Ziele zu verfolgen und ihren eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden. Wenn man zuließ, dass andere für einen dachten und handelten, bedeutete das nur, dass man ständig für eine Menge gut gemeinter und im Allgemeinen unbefriedigender Dienste dankbar sein musste. Es war wie in dem Fall eines reichen Mannes, welcher der Gemeinde eine Bibliothek stiftete, während die Gemeinde vermutlich nichts anderes begehrte als eine freie Vergabe der Angelgenehmigungen und die Senkung der Straßenbahngebühren. Cicely erforschte ihre eigenen Launen und Wünsche, stellte Versuche an, wie sie ihnen am wirkungsvollsten entsprechen konnte, verglich die gesammelten Ergebnisse ihrer Versuche miteinander und gewann schließlich eine sehr klare Vorstellung davon, was sie im Leben wollte und wie sie es am besten erreichen konnte. Sie war von ihrer Veranlagung her keine egozentrische Seele, deshalb beging sie nicht den Fehler, anzunehmen, dass jemand erfolgreich und anständig in einer dicht bevölkerten Welt leben konnte, ohne angemessene Rücksicht auf die menschlichen Wesen ringsum zu nehmen. Sie war instinktiv ihren Mitmenschen gegenüber entschieden umsichtiger als so manch andere Personen, die wahrhaftig, doch ohne das selbst einzusehen, süchtig nach Selbstlosigkeit waren. Überdies bewahrte sie in ihrem Arsenal noch jene Waffe auf, die so unglaublich wirkungsvoll sein kann, wenn sie von einem durch und durch rechtschaffenen Individuum schonend eingesetzt wird das Wissen darum, wann es gut und angemessen ist, zu lügen. Ehrgeiz bestimmte bis zu einem gewissen Maß ihr Leben und beeinflusste es vielleicht mehr, als sie es selbst ahnte. Sie sehnte sich danach, dem düsteren Dasein als ein Niemand zu entfliehen, doch die Flucht musste auf eine ihr passende Weise und zu der von ihr gewählten Zeit durchgeführt werden; von Ehrgeiz beherrscht zu werden, war höchstens eine oder zwei Nuancen besser, als von der Tradition beherrscht zu werden. Der Salon, in dem sie und Ronnie saßen, hatte solche Ausmaße, dass man nicht so recht wusste, ob er als einer oder mehrere Räume gedachtd war, und er hatte den Vorteil, um zwei Uhr an einem besonders heißen Julinachmittag angenehm kühl zu sein. In der kühlsten seiner vielen Nischen hatten Diener lautlos eine improvisierte Mittagstafel aufgebaut: ein verlockendes Buffet mit Kaviar, Krabben- und Pilzsalaten, kaltem Spargel, schlanken Weißweinflaschen und langstieligen Weinkelchen, die mitten aus einem Gesteck von Charlotte-Klemm-Rosen herauslugten. Cicely stand auf und ging zum Klavier. Komm, sagte sie und berührte den jungen Mann leicht mit einer Fingerspitze auf dem sehr gepflegten, Kupfer getönten Kopf. Wir wollen heute ein kleines Mittagessen, eher ein Picknick, hier oben einnehmen; es ist um einiges kühler als in den Räumen unten, und wir werden nicht vom Personal gestört werden, das ständig herein- und hinaustrampelt. Findest du nicht, dass das eine gute Idee von mir war? Nachdem Ronnie sich durch einen gierigen Blick davon überzeugt hatte, dass das Wort Picknick nicht Sandwiches mit Zunge sowie Kekse bezeichnete, gab er der Idee seinen Segen. Welchen Beruf hat der junge Storre?, hatte einmal jemand in Bezug auf ihn gefragt. Er hat eine Vielzahl von Freunden, die über unabhängiges Einkommen verfügen, hatte die Antwort gelautet. Das Mahl wurde in genüsslichem Schweigen begonnen; ein Picknick, bei dem drei Sorten von Cayennepfeffer für den Kaviar dargeboten waren, verlangte einen gewissen Grad von achtungsvoller Aufmerksamkeit. Mein Herz sollte wie ein Singvogel jubilieren, schätze ich, sagte Cicely schließlich. Weil dein Gemahl heute nach Hause zurückkehrt?, fragte Ronnie. Cicely nickte. Man erwartet ihn irgendwann heute Nachmittag, obwohl ich nur ungenau darüber informiert bin, mit welchem Zug er ankommt. Ein ziemlich stickiger Tag für eine Eisenbahnreise. Und hält sich dein Herz an die Sache mit dem Singvogel?, fragte Ronnie. Das hängt davon ab, sagte Cicely, ob mir die Wahl des Vogels vorbehalten ist. Eine Misteldrossel wäre vielleicht angemessen; sie singt am lautesten vor Unwettern, soweit ich weiß. Ronnie verzehrte erst zwei oder drei Stangen Spargel, bevor er auf diese Bemerkung einging. Wird es denn ein Unwetter geben?, erkundigte er sich. Das h…
Titel
Als Wilhelm kam
EAN
9783961271191
Format
E-Book (pdf)
Altersempfehlung
ab 14 Jahre
Hersteller
Veröffentlichung
05.07.2018
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
1.02 MB
Anzahl Seiten
201
Auflage
1. Auflage
Lesemotiv