Heidi Pitlor ist Autorin der Romane Drei Tage im Sommer, The Daylight Marriage und Die Heldin der Geschichte. Seit 2007 fungiert sie als Herausgeberin der Reihe The Best American Short Stories und ist Programmleiterin bei Plympton. Ihre Texte sind u.a. in der New York Times, dem Boston Globe, Lit Hub, Ploughshares und der Huffington Post erschienen. Sie lebt in der Nähe von Boston.
Ein brillanter Roman über Idealismus und Privilegien, über Mutterschaft und Autonomie
"Ein Buch, das die Synapsen in Fahrt bringt. Scharfsinnig und warmherzig zugleich" New York Review of Books
"Schafft das Kunststück, ein Pageturner für Literatur-Fans zu sein" Rebecca Makkai
Autorentext
Heidi Pitlor ist Autorin der Romane Drei Tage im Sommer, The Daylight Marriage und Die Heldin der Geschichte. Seit 2007 fungiert sie als Herausgeberin der Reihe The Best American Short Stories und ist Programmleiterin bei Plympton. Ihre Texte sind u.a. in der New York Times, dem Boston Globe, Lit Hub, Ploughshares und der Huffington Post erschienen. Sie lebt in der Nähe von Boston.
Leseprobe
Kapitel 1
In einer Bibliothek habe ich mal gesehen, wie eine Frau die Biografie von Mutter Teresa in die Hand nahm und sie Sekunden später ins Regal zurückstellte. Als Nächstes griff sie zu den Memoiren von Peter Kennedy, JFKs Neffen. The House That Uncle Jack Built, stand in pseudokrakeliger Schrift auf dem Cover, darunter prangte der Autorenname in fetter Baskerville, doppelt so groß wie der Titel. Das Buch hätte genauso gut Warum ich Hosen mag heißen können, ausschlaggebend für die Verkaufszahlen war nicht, wie das Buch hieß, sondern wer es geschrieben hatte. Die Frau überflog den Klappentext auf der Rückseite, strich sich elegant eine Strähne hinters Ohr und blätterte schließlich darin herum.
Ich schätzte sie auf Anfang vierzig, ungefähr in meinem Alter also. Sie trug Jogginghose, Fendi-T-Shirt und rosa Sneakers, machte also vermutlich in den Berkshires Sommerurlaub. Ich blieb ein paar Meter vor ihr stehen, denn ich wollte ihre Reaktion sehen, wenn sie las, wie der kleine Peter Kennedy »die Hand an die Ewige Flamme hielt« und sich dabei drei Finger verbrannte. »Der Friedhofsverwalter kam angelaufen, nannte mich einen ungezogenen Rotzlöffel und verwies unsere kleine Gruppe des Ortes. Offensichtlich hatte er keine Ahnung, dass ich mit dem Verstorbenen verwandt war.«
Welche feinstofflichen Eigenschaften muss ein Text haben, um seine Leserschaft nach nur einem oder zwei Sätzen zu fesseln? Als ich mir diese Frage stellte, las ich selbst gerade einen dieser Ratgeber, wie man Babys zum Schlafen brachte. Meine Erwartung daran war klar: Mein Sohn und ich sollten nachts mehr als drei Stunden Nachtruhe bekommen, und das am Stück. Parallel dazu hatte ich mich schon zur Hälfte durch ein Buch für Alleinerziehende durchgeackert.
Wie es der Teufel wollte, spuckte mein Sohn just in diesem Moment seinen Schnuller aus und begann zu zetern, ein rhythmischer Klagelaut, der mich stark an das Meckern einer Ziege erinnerte. Die Frau blickte von ihrem Buch auf und musterte mich, eine kompakte Person mit schulterlangem, wirrem, bräunlich-grauem Haar, die einen jammernden, nur mit Red-Sox-T-Shirt und Windel bekleideten Säugling auf dem Arm hielt. Mein linkes Hosenbein war nass, weil Cass mir kurz zuvor auf die Jeans gespuckt und ich auf der Toilette versucht hatte, den Fleck zu entfernen. Die Frau starrte uns an, während ich krampfhaft versuchte, Cass zu beruhigen, ihn wiegte, ihm ins Ohr pustete, alles vergeblich.
Um sie nicht weiter zu belästigen, hastete ich ins Foyer, wo ich glücklicherweise den Schnuller im Ausschnitt meines Kapuzenpullis wiederfand und ihn meinem Sohn erleichtert in den Mund stopfte. Als Cass sich wieder beruhigt hatte, sah ich, wie die Bibliothekarin an der Ausleihe der Frau die Kennedy-Memoiren zurückgab. Das erfüllte mich mit großem Stolz, ein kleiner Triumph. Auf dem Weg zum Ausgang wich sie einem Mann aus und stieß dabei gegen mich.
»Verzeihung«, sagte ich, als wäre es meine Schuld gewesen. »Ich hoffe, das Buch gefällt Ihnen. Es soll gut sein, habe ich gehört.«
»Ich habe kein Geld dabei«, erwiderte sie, den Blick fest auf meine ausgelatschten Flipflops gerichtet.
»Was?«
»Ich kann Ihnen nichts geben.«
»Was? Nein!« Ich lachte kurz auf, was Besseres fiel mir in diesem Moment nicht ein.
Die Frau zog ihr Handy aus der Tasche und verschwand durch die Tür.
Ich sah ihr verdattert hinterher, Cass auf dem Arm.
Hätte ich keine Geheimhaltungsvereinbarung unterschrieben, wäre ich der Frau vielleicht anders begegnet, hätte sie womöglich gebeten, ihre Vorurteile zu überdenken, vor allem, was meine vermeintliche Zugehörigkeit zu einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht betraf. Keine Ahnung, was genau ich ihr gesagt hätte, aber zumindest hätte ich sie darauf hingewiesen, dass ich die Autorin des Buches war, das sie da gerade in Händen hielt.
Allerdings hätte s