Carlo Goldoni, geboren in Venedig 1707, gilt als der größte Komödiendichter der italienischen Literatur. Er schrieb rund 140 Komödien, darunter 'Der Diener zweier Herren', aber auch Tragikomödien und 55 Libretti für Singspiele. In seinen Stücken knüpfte er an die großartige Tradition der Commedia dell'Arte an und verlieh den schillernden Figuren Truffaldino/Arlecchino, Pantalone, Brighella neuen Glanz.In seiner Biografie und Werkbeschreibung 'Goldoni' erzählt Heinz Riedt, der vielfach ausgezeichnete Übersetzer italienischer Literatur (Goldoni, Manzoni, Pirandello, Calvino, Levi), von Goldonis Wirken in Venedig, berichtet von seinem beruflichen Werdegang und schließlich auch von Goldonis Zeit in Paris, wo der Dichter verarmt starb. Zudem beleuchtet er Goldonis Verhältnis zum zeitgenössischen Theater, besonders zur Commedia dell'Arte. Detailliert analysiert er die bekanntesten Komödien: Figuren, Handlungen und soziologische Aspekte finden sich ebenso wie Rezeption und Inszenierungen.Für Romanisten ist Heinz Riedts 1973 bei dtv in der Reihe Dramatiker des Welttheaters' erschienenes und heute in gedruckter Form vergriffenes Werk 'Goldoni' ein Muss, für Theaterfans spannende Begleitlektüre.
Autorentext
Heinz Riedt, der Publizist und Experte für italienische Literatur, übersetzte zahlreiche Stücke von Carlo Goldoni ins Deutsche, aber auch Werke u. a. von Italo Calvino, Alessandro Manzoni und Luigi Pirandello. Er übersetzte auch die Abenteuer des hölzernen Knaben Pinocchio mit der langen Nase, den der italienische Schriftsteller Carlo Collodi einst erfunden hatte. Als ausgezeichneter Kenner Goldonis verfasste Heinz Riedt die vorliegende Biographie und Werkbeschreibung: 'Goldoni'.
Leseprobe
Hinweis: Die Textdarstellung in dieser Datenbank entspricht nicht dem professionellen Satzbild des E-Books. Zeit und Werk 'Drei Städten gebührt der Ruhm, die Komödie geschaffen zu haben: Athen, Paris und Venedig' (Tommaseo). Goldoni, dem die Königin der Adria, die Serenissima, diesen Ruhm zu verdanken hat, sagt, dass die beiden Bücher, über die er am meisten nachgedacht und die benutzt zu haben er nie bereuen werde, die Welt und das Theater gewesen seien. Die Welt, seine Welt ist grundsätzlich und vordergründig Venedig, das (obwohl machtpolitisch schon in voller Dekadenz befindlich und nicht mehr Mittlerin zwischen Orient und Okzident, denn Frankreich, England, Holland sind die neuen Handelsmächte) auch in diesem letzten Jahrhundert seiner tausendjährigen Freiheit gastlich, geistig aufgeschlossen und zweifellos noch Weltstadt ist. Einhundertundsechzig Druckereien gibt es in diesem Jahrhundert in Venedig. Es ist die Zeit der großen venezianischen Musiker Antonio Lotti, Benedetto Marcello, Baldassare Galuppi (genannt Buranello), Giuseppe Tartini, Antonio Vivaldi und der Maler Piazzetta und Tiepolo, Rosalba Carriera und Alessandro Longhi, Canaletto, Francesco Guardi und, in seiner Poesie Goldoni am nächsten stehend, Pietro Longhi. Aber ebenso ist es die Zeit des sich vorbereitenden sozialen Strukturwandels. Noch sichert der Hochadel dem venezianischen Stadtstaat mit der bestehenden Oligarchie ein bemerkenswertes Gleichgewicht. Das Menetekel, Fundgrube der romantischen Venedig-Legende, nämlich ausgelassene Feste und Sittenverfall, wird erst später in Erscheinung treten. Doch käuflich ist jetzt schon der Adelsbrief, und der Stadtteil San Barnaba muss zulasten des Staates und der Kirche eine Menge abgewirtschafteter Adeliger aufnehmen, die außer ihrem Titel nichts mehr besitzen: die Barnaboti, Schnorrer und Ohrenbläser, Parasiten der Gesellschaft. Das Volk und mit ihm Goldoni belächeln sie. 'Volk' heißen Gondolieri und Fischer, Kaffeewirte und Krämerinnen, Kaufleute und Spitzenklöpplerinnen, Ärzte, Advokaten. Kaufleute und aufgeschlossene Intellektuelle (wie wir heute sagen würden) sind die Komponenten des sich immer bewusster formierenden Bürgertums. Nicht etwa prärevolutionär wie in Frankreich, doch fleißig und mit einem unerschütterlichen Vertrauen in die eigene Zukunft, lauter Merkmale einer werdenden, aufsteigenden Klasse. Haben Malerei und Musik Beachtliches vorzuweisen und schöpfen sie aus Atmosphäre und Realität der Zeit, so stagniert doch jene Kunstform, die als 'Massenmedium' gerade dem unmittelbaren Dialog besonders verschworen sein müsste: das Schauspiel. Es hinkt der Zeit nicht hinterher, es ist vor Zeiten stehengeblieben, auf längst verlassenem Weg, ohne Orientierung; mag ihm auch Freundes- oder Verwandtenpietät hie und da ein neues Toupet über die erstarrten Züge setzen, den Anschluss an die Epoche erreicht es nicht mehr. Das ist die Situation in ganz Italien, nicht nur in Venedig mit seinen vielen Theatern. Das Theater nimmt hier im Bewusstsein des Publikums noch den Platz ein, den später der Roman erhalten wird. Das Bedürfnis nach schauspielerischer Kommunikation ist ungebrochen. Mittlerweile war Molière, war das französische Theater nach Italien gekommen. Als Reaktion auf das französische Theater hatte man 1690 in Rom die Arcadia ins Leben gerufen, eine Akademie, die, eklektisch und klassizistisch, den Geschmack auf die Vorbilder Petrarca und Anakreon festzulegen strebte. Von ihr ging das teatro erudito aus, das Gebildeten-Theater, das seine Stoffe nicht aus dem Leben der Zeit nahm, sondern, literarisch rückwärts gewandt, einen Abklatsch der Antike hervorbrachte. Es war das Unternehmen einer geschlossenen Gesellschaftsschicht, des Adels nämlich. Reformtendenzen der Zeit mündeten in diesem Theater in Stilvorschriften ein und wurden dadurch ihrer Substanz beraubt. Dabei hatte es vor zwei Jahrhunderten bereits eine realistische venezianische Theatertradition gegeben, vertreten durch Calmo und vor allem durch Angelo Beolco, genannt Ruzante. Unverblümt kam darin das niedrige Volk mit seinen Nöten und seinen Finten zu Wort. Vieles mutet uns heute etwa bei Ruzante modern an: die Entmythologisierung der Macht, die pazifistische Gesinnung und Verdammung des Krieges, aber auch die illusions- und affektzerstörende (heute sagen wir epische) Darstellung der Themen. Dieses proletarische Theater avant la lettre fiel politischen Umwälzungen, dem Radikalismus der Gegenrevolution zum Opfer. Erst heute entdecken und schätzen wir es von neuem. Zu Goldonis Zeit war es wirkungslos.Gewiss, noch gibt es in goldonianischer Zeit die Commedia dell'Arte oder Commedia a braccia 'Kunstfertigkeitsspiel' oder 'Handwerkskomödie' wäre die adäquatere Übersetzung dieses 'bizarre Gebilde, skurrile Kreuzung von abstraktester Geometrie und animalischster Ausgelassenheit' (R. Alewyn), das, einst aus einheimischem Volkstum erwachsene, italienische Spiel, das dem kommenden Neuen manche wichtige formale Erbschaft hinterlassen wird.Die Commedia dell'ArteZur Klärung der so oft gänzlich falsch verstandenen Beziehungen und Nichtbeziehungen zwischen Goldoni und diesem Spiel-Genre ist es hier angebracht, einiges über dessen Entstehung und Wesensmerkmale zu sagen. Bänkelsänger und Seiltänzer machten den Anfang. Sie griffen die Cavajolen auf Dummspöttereien über die Bewohner des Städtchens Cava, von der lieben italienischen Mitwelt ebenso aufs Narrenschild gehoben wie unsere Schildbürger und amalgamierten vieles Gleichartige aus dem Süden und Norden Italiens, wobei selbst Plautus und Terenz zu einem altvordern Patendienst herangeholt wurden. Das alles ist im Grunde eine weltlich-histrionische Reaktion auf die mittelalterlichen Mysterienspiele. Dergestalt war die Commedia dell'Arte von Anbeginn durch ihren bizarren Doppelcharakter gekennzeichnet, dieses Gemisch aus kunstvoller Seiltänzerei und Jahrmarktsklamauk, aus Artistik und 'Volks'-Posse. Das Ergebnis: eine Körperbeherrschung von maximaler Präzision, eine unbändige Primitivität und Vitalität. Eine Mischung, die es in sich hatte.Gegen Ende des 16. Jahrhunderts formte sie sich zur unverkennbaren Gestalt, dann kam ihre Blütezeit. Feste Typen hatten sich herauskristallisiert, die Maskenfiguren; davon seien hier nur die…
Autorentext
Heinz Riedt, der Publizist und Experte für italienische Literatur, übersetzte zahlreiche Stücke von Carlo Goldoni ins Deutsche, aber auch Werke u. a. von Italo Calvino, Alessandro Manzoni und Luigi Pirandello. Er übersetzte auch die Abenteuer des hölzernen Knaben Pinocchio mit der langen Nase, den der italienische Schriftsteller Carlo Collodi einst erfunden hatte. Als ausgezeichneter Kenner Goldonis verfasste Heinz Riedt die vorliegende Biographie und Werkbeschreibung: 'Goldoni'.
Leseprobe
Hinweis: Die Textdarstellung in dieser Datenbank entspricht nicht dem professionellen Satzbild des E-Books. Zeit und Werk 'Drei Städten gebührt der Ruhm, die Komödie geschaffen zu haben: Athen, Paris und Venedig' (Tommaseo). Goldoni, dem die Königin der Adria, die Serenissima, diesen Ruhm zu verdanken hat, sagt, dass die beiden Bücher, über die er am meisten nachgedacht und die benutzt zu haben er nie bereuen werde, die Welt und das Theater gewesen seien. Die Welt, seine Welt ist grundsätzlich und vordergründig Venedig, das (obwohl machtpolitisch schon in voller Dekadenz befindlich und nicht mehr Mittlerin zwischen Orient und Okzident, denn Frankreich, England, Holland sind die neuen Handelsmächte) auch in diesem letzten Jahrhundert seiner tausendjährigen Freiheit gastlich, geistig aufgeschlossen und zweifellos noch Weltstadt ist. Einhundertundsechzig Druckereien gibt es in diesem Jahrhundert in Venedig. Es ist die Zeit der großen venezianischen Musiker Antonio Lotti, Benedetto Marcello, Baldassare Galuppi (genannt Buranello), Giuseppe Tartini, Antonio Vivaldi und der Maler Piazzetta und Tiepolo, Rosalba Carriera und Alessandro Longhi, Canaletto, Francesco Guardi und, in seiner Poesie Goldoni am nächsten stehend, Pietro Longhi. Aber ebenso ist es die Zeit des sich vorbereitenden sozialen Strukturwandels. Noch sichert der Hochadel dem venezianischen Stadtstaat mit der bestehenden Oligarchie ein bemerkenswertes Gleichgewicht. Das Menetekel, Fundgrube der romantischen Venedig-Legende, nämlich ausgelassene Feste und Sittenverfall, wird erst später in Erscheinung treten. Doch käuflich ist jetzt schon der Adelsbrief, und der Stadtteil San Barnaba muss zulasten des Staates und der Kirche eine Menge abgewirtschafteter Adeliger aufnehmen, die außer ihrem Titel nichts mehr besitzen: die Barnaboti, Schnorrer und Ohrenbläser, Parasiten der Gesellschaft. Das Volk und mit ihm Goldoni belächeln sie. 'Volk' heißen Gondolieri und Fischer, Kaffeewirte und Krämerinnen, Kaufleute und Spitzenklöpplerinnen, Ärzte, Advokaten. Kaufleute und aufgeschlossene Intellektuelle (wie wir heute sagen würden) sind die Komponenten des sich immer bewusster formierenden Bürgertums. Nicht etwa prärevolutionär wie in Frankreich, doch fleißig und mit einem unerschütterlichen Vertrauen in die eigene Zukunft, lauter Merkmale einer werdenden, aufsteigenden Klasse. Haben Malerei und Musik Beachtliches vorzuweisen und schöpfen sie aus Atmosphäre und Realität der Zeit, so stagniert doch jene Kunstform, die als 'Massenmedium' gerade dem unmittelbaren Dialog besonders verschworen sein müsste: das Schauspiel. Es hinkt der Zeit nicht hinterher, es ist vor Zeiten stehengeblieben, auf längst verlassenem Weg, ohne Orientierung; mag ihm auch Freundes- oder Verwandtenpietät hie und da ein neues Toupet über die erstarrten Züge setzen, den Anschluss an die Epoche erreicht es nicht mehr. Das ist die Situation in ganz Italien, nicht nur in Venedig mit seinen vielen Theatern. Das Theater nimmt hier im Bewusstsein des Publikums noch den Platz ein, den später der Roman erhalten wird. Das Bedürfnis nach schauspielerischer Kommunikation ist ungebrochen. Mittlerweile war Molière, war das französische Theater nach Italien gekommen. Als Reaktion auf das französische Theater hatte man 1690 in Rom die Arcadia ins Leben gerufen, eine Akademie, die, eklektisch und klassizistisch, den Geschmack auf die Vorbilder Petrarca und Anakreon festzulegen strebte. Von ihr ging das teatro erudito aus, das Gebildeten-Theater, das seine Stoffe nicht aus dem Leben der Zeit nahm, sondern, literarisch rückwärts gewandt, einen Abklatsch der Antike hervorbrachte. Es war das Unternehmen einer geschlossenen Gesellschaftsschicht, des Adels nämlich. Reformtendenzen der Zeit mündeten in diesem Theater in Stilvorschriften ein und wurden dadurch ihrer Substanz beraubt. Dabei hatte es vor zwei Jahrhunderten bereits eine realistische venezianische Theatertradition gegeben, vertreten durch Calmo und vor allem durch Angelo Beolco, genannt Ruzante. Unverblümt kam darin das niedrige Volk mit seinen Nöten und seinen Finten zu Wort. Vieles mutet uns heute etwa bei Ruzante modern an: die Entmythologisierung der Macht, die pazifistische Gesinnung und Verdammung des Krieges, aber auch die illusions- und affektzerstörende (heute sagen wir epische) Darstellung der Themen. Dieses proletarische Theater avant la lettre fiel politischen Umwälzungen, dem Radikalismus der Gegenrevolution zum Opfer. Erst heute entdecken und schätzen wir es von neuem. Zu Goldonis Zeit war es wirkungslos.Gewiss, noch gibt es in goldonianischer Zeit die Commedia dell'Arte oder Commedia a braccia 'Kunstfertigkeitsspiel' oder 'Handwerkskomödie' wäre die adäquatere Übersetzung dieses 'bizarre Gebilde, skurrile Kreuzung von abstraktester Geometrie und animalischster Ausgelassenheit' (R. Alewyn), das, einst aus einheimischem Volkstum erwachsene, italienische Spiel, das dem kommenden Neuen manche wichtige formale Erbschaft hinterlassen wird.Die Commedia dell'ArteZur Klärung der so oft gänzlich falsch verstandenen Beziehungen und Nichtbeziehungen zwischen Goldoni und diesem Spiel-Genre ist es hier angebracht, einiges über dessen Entstehung und Wesensmerkmale zu sagen. Bänkelsänger und Seiltänzer machten den Anfang. Sie griffen die Cavajolen auf Dummspöttereien über die Bewohner des Städtchens Cava, von der lieben italienischen Mitwelt ebenso aufs Narrenschild gehoben wie unsere Schildbürger und amalgamierten vieles Gleichartige aus dem Süden und Norden Italiens, wobei selbst Plautus und Terenz zu einem altvordern Patendienst herangeholt wurden. Das alles ist im Grunde eine weltlich-histrionische Reaktion auf die mittelalterlichen Mysterienspiele. Dergestalt war die Commedia dell'Arte von Anbeginn durch ihren bizarren Doppelcharakter gekennzeichnet, dieses Gemisch aus kunstvoller Seiltänzerei und Jahrmarktsklamauk, aus Artistik und 'Volks'-Posse. Das Ergebnis: eine Körperbeherrschung von maximaler Präzision, eine unbändige Primitivität und Vitalität. Eine Mischung, die es in sich hatte.Gegen Ende des 16. Jahrhunderts formte sie sich zur unverkennbaren Gestalt, dann kam ihre Blütezeit. Feste Typen hatten sich herauskristallisiert, die Maskenfiguren; davon seien hier nur die…
Titel
Goldoni
Autor
EAN
9783944561240
ISBN
978-3-944561-24-0
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Genre
Veröffentlichung
10.05.2014
Digitaler Kopierschutz
Adobe-DRM
Anzahl Seiten
120
Jahr
2014
Untertitel
Deutsch
Lesemotiv
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