Prof. Dr. Hermann Schäfer, geb. 1942, ist Historiker und international renommierter Museumsfachmann, Gründungspräsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das von ihm aufgebaute und zwanzig Jahre geleitete Museum für Zeitgeschichte erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise, es setzte neue Maßstäbe für Themen und in der Gestaltung von Ausstellungen.
Vorwort
Von der Römermaske bis zu Merkels Handy: 2000 Jahre deutsche Geschichte
Autorentext
Prof. Dr. Hermann Schäfer, geb. 1942, ist Historiker und international renommierter Museumsfachmann, Gründungspräsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Das von ihm aufgebaute und zwanzig Jahre geleitete Museum für Zeitgeschichte erhielt zahlreiche Auszeichnungen und Preise, es setzte neue Maßstäbe für Themen und in der Gestaltung von Ausstellungen.
Leseprobe
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Die Jagd mit diesen Waffen verlangte höhere Fähigkeiten und bessere Kommunikation unserer Vorfahren, als bislang bekannt, neue Forschungsfragen stellen sich.
Die Speere von Schöningen
Homo erectus und die »deutsche« Vorgeschichte
Die ältesten auf deutschem Boden gefundenen Überreste unserer Vorfahren gehören - natürlich - zu unserer Geschichte. Und das nicht nur, weil sie überraschend einsatzfähig aussehen: acht Speere, sieben aus Fichten-, einer aus Kiefernholz, 1,80 bis 2,50 Meter lang, drei bis fünf Zentimeter dick, beidseits angespitzt, sorgfältig von Menschenhand gefertigt und bearbeitet. In Bauform und Wurfeigenschaften ähneln sie sogar heutigen Speeren und lassen sich 70 Meter weit werfen. Sensationsfunde aus dem Oktober 1994, die allen wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge die weltweit ältesten bisher gefundenen Jagdwaffen der Menschheit sind und deren Erforschung das Bild der kulturellen Entwicklung des frühen Menschen nachhaltig verändert.
Als 1983 der Abbau im Helmstedter Braunkohlerevier an der innerdeutschen Grenze bei Schöningen begann, ahnte niemand, welche archäologischen Schätze hier Jahrtausende überdauert hatten. Die Entdeckungen sprengten selbst die kühnsten Erwartungen aller Experten. Archäologen begleiteten den Tagebau und fanden anfangs dicht unter der Oberfläche viele Spuren der jüngeren Vergangenheit. Nach neun Jahren kamen schließlich - gut zehn Meter unter der Oberfläche und aufbewahrt in Jahrmillionen alten Torfschichtungen über die Abfolge zweier Eiszeiten hinweg - acht hölzerne Speere aus der Altsteinzeit zum Vorschein. Nach allen bisherigen Erkenntnissen dienten sie den hier lebenden Urmenschen - Homo erectus - zu Jagd- oder auch Verteidigungszwecken und sind unfassbare 300 000 bis 400 000 Jahre alt.
Neben den Wurfspeeren legten die Archäologen in angrenzenden Schichtpaketen weitere Artefakte frei, die dem Urmenschen dieser Region vermutlich als Distanzwaffen dienten. So die als Lanze, als Wurfstock bzw. -holz und als Klemmschäfte interpretierten menschlichen Jagd- und Arbeitsgeräte, etwa 20 bis 30 Steinwerkzeuge (Schaber) sowie einen angekohlten, auf den Gebrauch von Feuer verweisenden Holzstab, möglicherweise in der Funktion eines Bratspießes. Diese menschlichen Hinterlassenschaften wiederum befanden sich inmitten einer Ansammlung von etwa 12 000 Tierknochen, die von mehr als 20 Wildpferden, vereinzelt von Rothirsch, Wisent, Nashörnern und Elefanten stammen. Die Spuren an den Skelettresten der Pferde sowie aufgeschlagene Knochen weisen auf gezielte menschliche Bearbeitung, vermutlich Schlachtung durch Steinwerkzeuge, hin, wie sie der afrikanische Urmensch bereits vor 1,5 Millionen Jahren etwa mit dem Faustkeil praktizierte.
Alles in allem liegt mit dem Fundensemble die beinahe eine halbe Million Jahre alte Momentaufnahme menschlicher Frühgeschichte vor, im luftdichten Boden des Tagebaus konserviert für die Gegenwart. Was sagt sie uns für das Verständnis unserer Vorfahren, über ihre Intelligenz, das Sozialverhalten und die Anpassungsfähigkeit des Homo erectus im Nordwesten des heutigen Deutschland?
Der mittlerweile gut dokumentierte Fund der Schöninger Speere, dem mit dem »Paläon« am Entdeckungsort seit 2013 ein Besucherzentrum und Museum gewidmet ist, schließt eine große Lücke im archäologischen Geschichtsbuch der frühen Menschheitsgeschichte, auch wenn noch viele Mutmaßungen bleiben. Etwa 800 000 Jahre ist es nach bisherigem Erkenntnisstand her, dass die ersten Vertreter der vom Menschenaffen und Frühmenschen unterschiedenen Menschenart Homo erectus von Afrika aus Europa erreichten. Als nomadisierender Jäger
Inhalt
Vorwort Aus Vorgeschichte und Antike 1 Homo erectus und die "deutsche" Vorgeschichte Die Speere von Schöningen 2 Weltsicht in der Bronzezeit Die Himmelsscheibe von Nebra 3 Die Schlacht im Teutoburger Wald: Arminius contra Varus Eine römische Gesichtsmaske 4 Die deutsche Weinkultur Das Neumagener Weinschiff Aus dem Mittelalter 5 Die Wikinger Haithabu 1 6 Glocken im kulturellen Wandel Der Saufang 7 Königsthron - Geschichte und Mythos Der Karlsthron in Aachen 8 Gottes-, Herrschafts- und Wirtschaftszeichen Das Trierer Marktkreuz 9 Gottesgnadentum und Kaiserherrschaft Die Reichskrone 10 Frömmigkeit und Renovatio imperii Christussäule und Bernwardtür 11 Heldenepik und das Ideal der Treue Das Nibelungenlied 12 Der Ritter als Idol Der Bamberger Reiter 13 Gesetzgebung und Rechtsprägung Der Sachsenspiegel Vom Spätmittelalter in die Frühe Neuzeit 14 Armen- und Krankenpflege im Spätmittelalter Kabäuschen im Lübecker Heiligen-Geist-Hospital 15 Klöster als Wirtschaftsunternehmen Das Tennenbacher Güterbuch 16 Mit den Städten blühen die Zünfte auf Die Schmiedefenster im Freiburger Münster 17 Königswahl und Kaisermacher Die Goldene Bulle 18 Die Hanse - eine Wirtschaftsmacht Die Bremer Kogge 19 Ritter - Söldner - Landsknechte - stehende Heere Der Plattenrock 20 Universitäten - Gründung und Wandel Das Große Siegel der Universität Heidelberg 21 Kathedralen und Dombauhütten in der Spätgotik Das Parlerzeichen auf der Parlerin 22 Revolution der Wissenstechnik Gutenbergs bewegliche Lettern 23 Globalisierung im 15./16. Jahrhundert Martin Behaims Erdapfel 24 Körperbilder und Geschlechterrollen in der Renaissance "Das Frauenbad" von Albrecht Dürer 25 Stifter, Kunst und Politik Die "Markgrafentafel" von Hans Baldung Grien 26 Bier - vom Wasserersatz zum Volks- und Kultgetränk Das Reinheitsgebot 27 Handel im Frühkapitalismus In der "Goldenen Schreibstube" 28 Bauernkrieg und frühbürgerliche Revolution Werner Tübkes Panoramabild in Bad Frankenhausen 29 Bibelübersetzung und Reformation Martin Luthers Biblia Deutsch 30 Stadtleben in Spätmittelalter und Früher Neuzeit Die Augsburger Monatsbilder Aus der Frühen Neuzeit 31 Der Dreißigjährige Krieg Die Zapfhähne aus der Schlacht bei Wittstock 32 Jüdisches Leben und Traditionen Ein Chanukka-Leuchter 33 Der Schwarze Tod Die Pestarztmaske 34 Von der Ewigkeit zur Endlichkeit des Lebens Der "Tanzende Tod" 35 Einwanderungsland Preußen Das Edikt von Potsdam 36 Architektur und Baukunst im Barock Balthasar Neumanns Instrumentum Architecturae 37 Das "Mirakel…