geb. 1985,ist selbstständiger Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Zur Europawahl 2014 arbeitete er als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei. Zuvor war er im Kommunikationsbereich der UN in New York und in der heute.de-Redaktion des ZDF tätig. Hillje ist Policy Fellow beim Progressiven Zentrum in Berlin. Bisher erschienen: Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Politik machen.
Autorentext
geb. 1985,ist selbstständiger Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Zur Europawahl 2014 arbeitete er als Wahlkampfmanager der Europäischen Grünen Partei. Zuvor war er im Kommunikationsbereich der UN in New York und in der heute.de-Redaktion des ZDF tätig. Hillje ist Policy Fellow beim Progressiven Zentrum in Berlin. Bisher erschienen: Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten Politik machen.
Leseprobe
_KAPITEL 1
DAS PROBLEM: EUROPA IM TEUFELSKREIS DER KRISENDISKURSE
DIE NEUEN PROEUROPÄER
Der Wandel, der sich in den letzten Jahren im öffentlichen Diskurs über die europäische Integration vollzogen hat, lässt sich in einem Mann personifizieren: Sebastian Kurz. Er trat drei Tage nach seinem Wahlsieg bei den Nationalratswahlen in Österreich 2017 vor die Mikrofone, um genau eine Botschaft zu platzieren: »Ich bin Proeuropäer.« Die Medien gestanden ihm dieses Label fortan unkritisch ein, auch politische Konkurrenten erhoben keinen Widerspruch. Gerade weil diese Bezeichnung im Widerspruch zu vielen Aussagen in seinem Wahlkampf steht, war es ein erster, sehr wichtiger »Spin«, den Kurz noch vor seiner offiziellen Vereidigung zum Bundeskanzler Österreichs setzte. Denn im ersten Jahr seiner Kanzlerschaft wurde Wien zu einem politischen Machtzentrum Europas: Im Juli 2018 übernahm die Regierung Kurz den rotierenden Vorsitz des Rates der EU. Das vorsitzende Land hat für ein halbes Jahr die Hoheit über die Tagungsordnung des mächtigsten EU-Entscheidungsorgans, das sich aus den Chefs oder Ministern der nationalen Regierungen zusammensetzt. Den Österreichern fiel diese Rolle in dem Moment zu, als die neue Regierung ein neues Kapitel in der Europapolitik des Landes aufschlug. Österreich galt lange Zeit in der Europäischen Union als östlichstes der westlichen Mitgliedstaaten. Seit dem Amtsantritt der konservativ-rechtspopulistischen Regierung ist es politisch eher das westlichste der östlichen Länder. Zu beobachten war dieser Wandel in der Vorbereitung und Ausführung des EU-Ratsvorsitzes.
Es hat Tradition, dass die Regierungen ihren Ratsvorsitz unter ein Motto stellen. Bevor Österreich am Zuge war, führte die bulgarische Regierung die Union unter dem Slogan: »Zusammen sind wir stark«. Österreich wählte den Leitspruch »Ein Europa, das schützt«. Dieses Motto hatte die österreichische Regierung wenig originell formuliert, war es doch wortwörtlich aus Emmanuel Macrons Wahlprogramm kopiert. Mit »Une Europe qui protège« hatte er das Europakapitel seines Programmes zur Präsidentschaftswahl 2016 überschrieben.4 Der Slogan hatte im französischen Wahlkampf gut funktioniert, weil er sich an die multiplen Ängste einer breiten Mittelschicht des Landes richtete. Macron versprach Schutz vor den sozialen Bedrohungen der Globalisierung, vor der ruinösen Steuervermeidung multinationaler Unternehmen, vor den Folgen des Klimawandels, vor der Gefahr durch den Terrorismus. Nun sind Slogans aber nur Hülsen und können folglich ganz unterschiedliche Inhalte umschließen. So nutze die Regierung Kurz zwar denselben erfolgsgeprüften Wortlaut, stellte aber ein Thema an die oberste Stelle ihrer Agenda, das für Macron keiner Schutzpolitik bedurfte: »Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration«. Nach der Kurz'schen Interpretation dieses Mottos sollte Europa seine Bürgerinnen und Bürger in erster Linie vor Menschen beschützen, die ihrerseits auf der Suche nach Schutz sind und ja erst in Ermangelung legaler Fluchtwege nach Europa zu »illegalen Migranten« werden. Hinter dem Versprechen vom Schutz vor Schutzsuchenden steckt das Verständnis von Flüchtlingen als physischer Gefahr: Drei Tage vor Übernahme des EU-Ratsvorsitzes führte die österreichische Regierung mit der Polizei- und Militärübung »Pro Borders« öffentlichkeitswirksam vor, wie sie mit Radpanzern und »Black Hawk«-Kampfhubschraubern das eigene Volk vor dieser »Bedrohung« im »Ernstfall« schützen würde. Das Empfinden von einer akuten Gefahr von außen ist die Voraussetzung für ein Schutzverlangen im Inneren. Aus dieser Angst akquiriert sich die Unterstützung für das Projekt »Festung Europa«. Gewiss: Österreich übernahm den Ratsvorsitz der EU in einer politisch festgefahrenen und emotional polarisierten Lage, insbesondere in der Flüchtlingspolitik. Sebastian Kurz betonte unermüdlich sein