Roth erläutert die Planungen, die die beiden wichtigsten westdeutschen Institutionen, die mit der Vorbereitung der Wiedervereinigung befasst waren und die direkt den jeweiligen Bundesregierungen zuarbeiteten - der "Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung Deutschlands" und die "Forschungsstelle für gesamtdeutsche wirtschaftliche und soziale Fragen" - von 1952 bis 1990 entwickelt haben. Anhand des verfügbaren Aktenbestandes dieser Einrichtungen zeigt der Autor, dass die Vereinigung 1990 nach Vorgaben vollzogen ist, die bereits in den 1950er Jahren vor allem von Wissenschaftlern ausgearbeitet worden waren, die zuvor ihre planerischen Fähigkeiten in den Dienst des Nationalsozialismus gestellt hatten. Hochspannend und absolut empfehlenswert - uns ist kein vergleichbares Buch bekannt!

Karl Heinz Roth, geb. 1942, Arzt und Historiker. Mitbegründer der Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts und Redaktionsmitglied der Zeitschrift 1999. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Weltwirtschaftskrise nach 1929, der NS-Diktatur und des Kalten Krieges.

Autorentext

Karl Heinz Roth, geb. 1942, Arzt und Historiker. Mitbegründer der Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts und Redaktionsmitglied der Zeitschrift 1999. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Weltwirtschaftskrise nach 1929, der NS-Diktatur und des Kalten Krieges.



Leseprobe

Einleitung

Der Anschluss der Deutschen Demokratischen Republik an das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland liegt nun fast zehn Jahre zurück. Aber dieses Ereignis ist noch keineswegs Geschichte geworden, sondern mehr denn je Objekt eines erbittert geführten Meinungskampfs über seine Vorbedingungen, Legitimationsgrundlagen, Abläufe und Auswirkungen. Dabei verfügen die bundesdeutschen Akteure und Vollstrecker des Geschehens zusammen mit ihren damals innerhalb weniger Monate rekrutierten ostdeutschen Koalitionspartnern auch heute noch über eine fast uneingeschränkte Führerschaft in Medien, Politik und Wissenschaft. Sie nutzen sie zu immer neu ansetzenden Delegitimationskampagnen gegen die abgewickelten Führungsschichten, Hoheitsträger und Anhänger des unter bundesdeutsche Herrschaft gebrachten realsozialistischen Nachbarlands. Längst ist auf die juristische Abrechnung eine Denunziationsphase gefolgt, die nicht mehr wie in vergangenen Zeiten behördliche Aktenschränke mit anonymen Schreiben füllt, sondern öffentlich-medial zelebriert wird. Die Stimmen der Besiegten sind inzwischen fast vollkommen verstummt.

Derartige Konstellationen sind ungünstig für den Historiker. Wo soll er seinen Standpunkt beziehen? Sicherlich nicht bei den Siegern: Ihre Verdikte verdecken nicht nur die eigenen Fehlhandlungen mitsamt ihren katastrophalen Auswirkungen, sondern sind auch der Geschichtsforschung, die nur zu verstehen und zu erklären hat, grundsätzlich fremd. Aber auch zum Anwalt der Unterworfenen vermag sie sich nicht aufzuschwingen, so naheliegend dies angesichts der ihnen zugefügten Demütigungen auch sein mag. Die Historiographie hat generell keine Solidaritätsadressen zu produzieren, sondern die Problemfelder des Vergangenen kritisch zu bearbeiten, um zu einem besseren Verständnis der Gegenwart beizutragen. Im vorliegenden Fall geht es um eine nüchterne Analyse jener Voraussetzungen und Entwicklungstendenzen, die vom politischen Machtzentrum der BRD 1989/90 genutzt werden konnten, um sich die DDR nach jahrzehntelangem Vorplanen und Warten auf ein günstiges "strategisches Fenster" einzuverleiben.

Aus diesen Prämissen erschließen sich die Rahmenbedingungen der folgenden Untersuchung. Der vernichterische Selbstlauf der Nazi-Diktatur war 1945 durch die militärischen Anstrengungen der vier alliierten Mächte beendet worden und hatte zur Okkupation des Reichs und seiner Hauptstadt, aufgeteilt in vier Besatzungszonen beziehungsweise Sektoren, geführt. Das in jeder Hinsicht ungleiche Viermächtebündnis hatte nicht lange Bestand gehabt und sich eineinhalb Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation seines Hauptgegners aufzulösen begonnen. Knapp drei Jahre später waren die Relikte des "Deutschen Reichs" unter aktiver Beteiligung ihrer territorial getrennt agierenden Resteliten - aus der Arbeiterbewegung im Osten, dem Bürgertum im Westen - in zwei Staaten gespalten, die sich strukturell und gesellschaftlich - nicht aber mental - an die Normensysteme der jeweiligen Hauptprotagonisten des Kalten Kriegs anpassten. Die deutsch-deutsche Grenze verlor die letzten Austauschfunktionen und Kommunikationsbrücken, wie sie einer Demarkationslinie zwischen benachbarten Okkupationsmächten durchaus noch zu eigen sind, und wurde zur Frontlinie. Es begann eine vierzigjährige separate Entwicklung, die unterschiedliche Gesellschaftsformen und Lebensweisen hervorbrachte und die Gegensätze zwischen den beiden deutschen Staaten vertiefte. Dabei avancierten die BRD, die DDR und das gespaltene Berlin zunehmend zu Musterknaben des jeweiligen Bündnissystems. Vor allem im Gefolge der mehrfach an den Rand eines Dritten Weltkriegs geratenen Konfrontationen zwischen den beiden Supermächten erlangten sie eine herausragende strategisch-politische Bedeutung.

Hinsichtlich ihrer Stellung innerhalb der feindlichen Machtblöcke entwickelten sich die beiden deutschen Staaten jedoch extrem ungleich. Die Bundesrepublik avancie
Titel
Anschließen, angleichen, abwickeln
Untertitel
Die westdeutschen Planungen zur Übernahme der DDR 1952-1990
EAN
9783958415157
ISBN
978-3-95841-515-7
Format
E-Book (epub)
Herausgeber
Genre
Veröffentlichung
25.11.2015
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
0.82 MB
Anzahl Seiten
256
Jahr
2016
Untertitel
Deutsch
Lesemotiv