'Immer alles und am besten sofort' lautet das Credo unserer Zeit. Wie sind wir in den Strudel der Zeitverdichtung geraten? Wie sind fru here Generationen mit dem Tempo der Welt umgegangen? Welche Wege fu hren aus der Dringlichkeitsfalle? Karlheinz A. Geißler liefert Antworten auf diese und weitere Fragen unseres Umgangs mit Zeit. Ein Buch zum Schmo kern und Innehalten, prall gefu llt mit wertvollen Denkansto ßen fu r ein Leben jenseits von Alltagshektik und Beschleunigung.

Karlheinz A. Geißler ist einer der bekanntesten Zeitforscher der Gegenwart. Er studierte Philosophie, Ökonomie und Pädagogik und war von 1975 bis 2006 Professor für Wirtschafts- und Sozialpädagogik an der Universität der Bundeswehr in München. Er hat zahlreiche Bücher zum Thema Zeit publiziert und ist ein gefragter Interviewpartner.

Autorentext
Karlheinz A. Geißler war einer der bekanntesten Zeitforscher der letzten Jahrzehnte. Er studierte Philosophie, Ökonomie und Pädagogik und war von 1975 bis 2006 Professor für Wirtschafts- und Sozialpädagogik an der Universität der Bundeswehr in München. Er hat zahlreiche Bücher zum Thema Zeit publiziert, zuletzt gemeinsam mit Harald Lesch und Jonas Geißler »Alles eine Frage der Zeit«. Er verstarb am 9. November 2022.

Leseprobe
Zeit der Natur - Natur der Zeit

Im Frühtau zu Berge ...

Sie existierte einmal, die Zeit, als die Zeit noch Zeit hatte. Es war die Zeit, als die Menschen ohne Uhr lebten und die Zeit noch keine Mangelware war. Zeitdruck war annähernd unbekannt, Klagen über Zeitkonflikte und Zeitnöte ebenso, und keinem Menschen kam es in den Sinn, einen Gesprächspartner mir nichts, dir nichts auf der Straße mit der Ausrede stehen zu lassen: "Tut mir leid, keine Zeit!" Das Leben zu dieser Zeit hat wenig mit der Welt- und der Zeitanschauung und genauso wenig mit der Art des Umgangs mit Zeit zu tun, wie wir sie heute für selbstverständlich halten. Auch gibt es aus damaliger Zeit keine Berichte über ähnliche Sehnsüchte wie sie heute kultiviert werden, um sich der Hast des Alltags für einige Zeit zu entziehen. Dieser Zeit vor dem Zeitdruck und vor der Erfindung und der Verbreitung des Zeitmanagements geben wir den Namen "Vormoderne". Das war zugleich jene Epoche, in der man sich die Erde als Scheibe und als Mittelpunkt des Universums vorstellte. Zu dieser Zeit starben die weitaus meisten Menschen an dem Ort, an dem sie auch geboren waren. Es war die Zeit, als man beim ersten Sonnenstrahl das Bett verließ und sich mit dem letzten wieder in die Federn kuschelte. Die Menschen waren sesshaft, blieben am Ort und machten ihr Testament, wenn sie sich, was nur sehr selten vorkam, auf Reisen begaben. Selbst Goethe, ein Bewohner der zu seiner Zeit längst modern gewordenen Welt, setzte sich vor seiner als Reise getarnten Flucht nach Italien noch hin und regelte seinen letzten Willen. "Die Welt", so eine lange Zeit gebräuchliche Redensart aus der heute längst nicht mehr randständigen Oberpfalz, "ist groß, und hinter Straubing soll's noch weitergehen." Heute weiß man, dass diese vormoderne Vermutung nicht ganz unberechtigt war. Das Risiko, sich zu weit von zu Hause zu entfernen, um - unversehens am Ende der Welt angekommen - in die Tiefe zu stürzen, wollte man auch aus Gründen der Gottesfürchtigkeit nicht austesten. Darauf zielt auch der Hinweis Dantes in seiner Göttlichen Komödie , dass die Säulen des Herakles die Meerenge von Gibraltar in erster Linie deshalb bewachen, "damit nicht weiter sich der Mensch begebe". Kennzeichen der hier "Vormoderne" genannten Epoche ist die enge Verbindung des gesamten Lebens - insbesondere auch der Arbeit - mit den periodischen Abläufen des Kosmos und der Natur. Man war in der Vormoderne in der Zeit zu Hause. Was wir heute "Zeitbewusstsein" nennen, folgte den zyklischen Wiederholungen der Natur, speziell der Jahreszeiten, und den Erscheinungen und regelmäßigen Abläufen am Himmelszelt. Das galt in erster Linie für die bäuerliche Arbeit, von der die überragende Mehrheit der Bevölkerung damals lebte. Zeit und Raum wurden stets qualitativ und nur ganz selten quantitativ betrachtet. Das Werden und Vergehen offenbarte sich als Rhythmus, in dem jede Phase ihren eigenen handlungsorientierenden Bedeutungscharakter hatte - einer Note in einer Melodie vergleichbar. Zuvörderst waren es die Rhythmen der Natur und die in Traditionen und Bräuchen verankerten sozialen Ereignisse, Feste und Feiern, an denen die vormodernen Menschen und die sozialen Gemeinschaften ihr Tun und Lassen ausrichteten und die ihnen als Maß für die Festlegung von Zeiträumen und Perioden dienten. In ihnen sehen Zeitforscher heute die einflussreichsten "Zeitgeber" des vormodernen Lebens. Das Zeitbewusstsein stand dabei in engem Zusammenhang mit sicht- und ablesbaren Himmelserscheinungen, in südlichen Ländern mit dem Wechsel von Regen- und Trockenzeite
Titel
Alles hat seine Zeit, nur ich hab keine
Untertitel
Wege in eine neue Zeitkultur
EAN
9783865816184
ISBN
978-3-86581-618-4
Format
E-Book (pdf)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
24.02.2014
Digitaler Kopierschutz
frei
Anzahl Seiten
272
Jahr
2014
Untertitel
Deutsch
Lesemotiv