Kasper Behm, geboren 1983, lebt und arbeitet abwechselnd in Mannheim und Zadar, Kroatien. Er studierte Jazzgesang in Tel Aviv, komponiert und textet für nationale und internationale Künstler. 'Wo die Henne Wasser trinkt' ist sein Romandebüt.
"Wo die Henne Wasser" trinkt ist die Geschichte von fünf Männern. Zwei Großvätern in zwei Kriegen. Einem Vater mit Kind und einem Vater ohne Kind. Das Bindeglied ist Bim Bam, dessen Mutter beschlossen hat, dass er der Sohn von Herbert ist, wobei auch vieles für den Gastarbeiter Hrvoje spricht. Doch der ist als Vater unerwünscht. Und so vergeht ein halbes Leben, bis er erfährt, dass er einen Sohn hat. Mal melancholisch, mal skurril erzählt Kasper Behm von einem Gefangenenlager in Utah, der Sturmflut in Bremerhaven, von einem Hundefriseur in Jugoslawien, Marienerscheinungen und dem Massaker in Bleiburg. Aus dieser Collage schält sich heraus, dass die Frage "Woher kommst du?" nach neuen Antworten verlangt.
Autorentext
Kasper Behm, geboren 1983, lebt und arbeitet abwechselnd in Mannheim und Zadar, Kroatien. Er studierte Jazzgesang in Tel Aviv, komponiert und textet für nationale und internationale Künstler. "Wo die Henne Wasser trinkt" ist sein Romandebüt.
Leseprobe
Gorica, Jugoslawien 1962
Marica und Hrvoj verließen das Haus um fünf Uhr in der Früh mit der Absicht, nie wieder zurückzukehren, und ließen die Tür, die aus dem kleinen einstöckigen Steinhaus auf den Hof führte, offen. Sie hatte beim Öffnen gequietscht und hätte es beim Schließen erneut getan.
"Schlafende Hunde soll man nicht wecken", sagte Marica, als sie die befestigte Straße erreichten, und Hrvoj verstand nicht, was das bedeutete. Sie hatten keine Hunde und Onkel Petar von nebenan hatte seinen im Frühjahr erschlagen, weil er zu oft grundlos gebellt hatte.
Sie folgten der Straße nach links und erreichten noch vor Sonnenaufgang das Ende des Dorfes. Bis Biograd am Meer waren es etwa zehn Kilometer in südwestlicher Richtung. Sie schlenderten und hatten es nicht eilig. Marica sang für Hrvoj, was er liebte. Er summte oder sang mit, wo er die Worte wusste. Wenn sie zu hoch sang, blieb er mit der Stimmlage unter der ihren und erzeugte eine Harmonie, die so willkürlich und roh klang, wie er es von den Abenden kannte, an denen das halbe Dorf bei ihnen vor dem Haus sang. Immer wenn jemand gestorben war oder geboren wurde, wenn jemand heiratete oder Geburtstag feierte, sang man, je nach Anlass in überschwänglicher Freude oder in ebenso überschwänglicher Trauer. Hrvoj hatte oft unter dem Tisch gesessen und zugehört, sich nicht selten vor Schmerzen krümmend, wenn der Vater oder die Mutter ihn geschlagen hatte, weil er vielleicht eines der Schweine von Onkel Petar geärgert oder heimlich Wein getrunken hatte. Wenn der Vater selbst betrunken und ohne Geld aus der Stadt zurückgekommen war, hatten Hrvoj und seiner Schwester kein Verstecken und schon zweimal kein Flehen genützt. Hrvoj wusste nichts von den alten Geistern, die der Vater zu ersäufen versuchte, und hätte man ihm von ihnen erzählt, er hätte dennoch nicht verstanden, wieso der Vater die Tage des Krieges, oder die vielen Kriege der Tage danach, nun zu denen seines Sohnes machte. Die Schläge und das Grunzen des Vaters waren für Hrvoj ein erprobter Teil seines Daseins und er konnte eine gewisse Vorfreude nicht leugnen, die er während der unkontrollierten Hiebe auf Hintern und Rücken verspürte, waren sie doch in allem Schmerz auch die Vorboten dafür, dass seine Schwester später, wenn sie in einer Ecke des großen Wohnraums eng aneinandergekauert liegen würden, wieder für ihn singen würde. Ihre Stimme war für Hrvoj das tröstende Zeichen der Entwarnung. Ein kleines Ende des Krieges, jedes Mal aufs Neue.
Als sie am Mittag in Biograd ankamen, kauften sie am Busbahnhof zwei Fahrkarten nach Zadar. Marica schlief die ganze Fahrt über, während Hrvoj auf das Meer schaute. Er wäre am liebsten auf eines der Boote gestiegen, von denen er dort mehr erblickte, als er zählen konnte. Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr wurden es. Sie waren zumeist klein und kamen vom Fischen oder fuhren gerade hinaus, das konnte Hrvoj nicht auseinanderhalten. Einige waren größer und grau angestrichen und streckten Kanonenrohre in den Himmel. Ein Schiff für das Essen und ein Schiff für den Krieg, zählte Hrvoj, eins fürs Essen, eins für den Krieg. Dann entdeckte er ein Containerschiff von gigantischem Ausmaß im Hafen des Industriegebiets von Zadar. Ein bunter Koloss, beladen mit unzählbaren Dingen, die in die ganze Welt geschickt wurden. Ein blauer Klotz für China, ein gelber für Amerika, mehr Länder fielen ihm nicht ein. Ein großer, sich über ihm auftürmender Zauber ging von diesem Ozeanriesen aus und es war in diesem Moment, dass Hrvoj beschloss, Matrose zu werden. Zum etwa gleichen Zeitpunkt, knapp tausendfünfhundert Kilometer weiter nordwestlich, stand Herbert am Morgen nach der Sturmflut mit seinem Vater auf dem Deich vor den Trümmern des Bremerhavener Zoos, heulte wie wahnsinnig um die Tiere und beschloss endgültig, kein Matrose zu werden.
Das Verschwinden der Kinder bemerkten Hrvojs und Maricas Eltern erst zwei Tage später und selbst dann