Kerstin Preiwuß, geboren 1980 in Lübz (Mecklenburg), lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in Leipzig. 2006 debütierte sie mit dem Gedichtband 'Nachricht von neuen Sternen'. 2008 erhielt sie das Hermann-Lenz-Stipendium. 2012 erschien ihr zweiter Gedichtband 'Rede', der von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in die Liste der Lyrikempfehlungen des Jahres aufgenommen wurde. Zuletzt erhielt sie den Mondseer Lyrikpreis und im September 2018 den Eichendorff-Literaturpreis. Im Berlin Verlag erschienen ihr vielbeachtetes Romandebüt 'Restwärme' (2014), der Lyrikband 'Gespür für Licht' (2016) sowie ihren zweiter Roman 'Nach Onkalo' (2017), der für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Kerstin Preiwuß ist Mitglied des P.E.N..
Vorwort
Eine Provinzgeschichte über die großen Fragen des Lebens
Autorentext
Kerstin Preiwuß, geboren 1980 in Lübz (Mecklenburg), lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in Leipzig. 2006 debütierte sie mit dem Gedichtband "Nachricht von neuen Sternen". 2008 erhielt sie das Hermann-Lenz-Stipendium. 2012 erschien ihr zweiter Gedichtband "Rede", der von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in die Liste der Lyrikempfehlungen des Jahres aufgenommen wurde. Zuletzt erhielt sie den Mondseer Lyrikpreis und im September 2018 den Eichendorff-Literaturpreis. Im Berlin Verlag erschienen ihr vielbeachtetes Romandebüt "Restwärme" (2014), der Lyrikband "Gespür für Licht" (2016) sowie ihren zweiter Roman "Nach Onkalo" (2017), der für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Kerstin Preiwuß ist Mitglied des P.E.N..
Leseprobe
1
Mutter ist weg. Stimmt nicht, sie liegt noch im Bett, aber Matuschek kann nichts anderes mehr denken. Er rennt durch das Haus, als gäbe es kein Morgen, eher ein Tier als ein Mensch so früh um sechs. Eine halbe Stunde zu spät ist er schon, weil sie ihn nicht geweckt hat. Der Tisch ist nicht gedeckt und der Ofen kalt. Matuschek fasst an die Heizung, aber auch die ist aus. Bevor er losfährt, muss er aufs Klo. Eine Dreiviertelstunde dauert es bis zum Flughafen, und wenn dann noch was in ihm steckt, wird es eng. Man hat so seine Zeiten, und bei ihm kommt es immer morgens. Essen ist nicht das Problem, dafür hat er Brote und eine Thermoskanne Tee, nur keinen schwarzen, sonst muss er zu oft pinkeln. Hagebutte mit Hibiskus macht sie ihm oft, manchmal auch Pfefferminze. Das hat sich eingespielt, so wohnen sie seit Jahren zusammen, sie unten, er oben. Morgens macht sie ihm Frühstück, und wenn er von der Spätschicht kommt, steht der Teller in der Mikrowelle, da muss er nur den Knopf drücken. Auch seine Wäsche wäscht sie. Du weißt doch gar nicht, wie das geht, schimpft sie dann immer. Wenn du mal keine Frau findest.
Aber das fehlt heute wie überhaupt alles. Matuschek redet vor sich hin. Da ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung und er muss gleich los. Schon fangen seine Hände an zu zittern. Die Stille drückt und lässt ihn schwer atmen. Sonst klopft sie immer mit dem Besenstiel von unten an die Decke. Seine Stimme überschlägt sich. Auch dass er sich atmen hört, ist nicht gut.
Er stellt das Radio an und ist gleich beim Wetter. Eine Luftmassengrenze über dem Norden und Osten trennt sehr warme und labil geschichtete Luft von deutlich kühlerer in den übrigen Landesteilen und bewegt sich kaum von der Stelle. Er will nicht, aber er geht nochmal alles ab, es sind ihre Wege, vom Bad in die Küche ins Wohnzimmer und zurück, und vielleicht lässt sich ja dadurch etwas wiederherstellen von der gewohnten Ordnung. Aber in der Küche ist sie nicht, im Wohnzimmer ist sie nicht, im hinteren Zimmer auch nicht, und die Haustür ist abgeschlossen. Bleibt nur das Schlafzimmer und da liegt sie dann, hat die Augen offen, macht aber immer noch keine Anstalten aufzustehen oder irgendwas zu tun.
Seitdem läuft er durchs Haus und spricht mit ihr. Er muss zur Arbeit und nichts ist gepackt. Scheiße, Mutter, brüllt es auf einmal aus ihm heraus, und er haut mit der Hand gegen die Tür. Aber die gibt nach, und er stolpert und fällt fast hin.
Über sich hört er es scharren, die Tauben, wer soll die füttern, das macht sonst sie, und fliegen müssen die auch. Geht heute nicht, geht alles gar nicht. Matuschek lässt sich auf den Stuhl sinken, der sein Frühstücksplatz ist. Was soll er jetzt machen, was macht man denn überhaupt ?
Draußen geht Licht an, das ist vom Russen, ist der schon auf ? Mutter mag ihn nicht, kaum sind wir sie los, kommen die wieder an, hat sie immer geschimpft, seit der Russe mit seiner Frau neben ihnen wohnt. Jetzt aber, denkt Matuschek, wenn man das noch Denken nennen kann, eher ist es ein Impuls, dem er folgt, als er ohne Jacke in die Kälte tritt. Es ist noch dunkel draußen.
Nicht der Russe öffnet, sondern seine Frau. Als sie Matuschek sieht, weicht sie zurück und macht gleich wieder zu. Er hört sie etwas nach hinten rufen und dann steht plötzlich der Russe da. Matuschek bringt bloß ein Wort raus und deutet mit der Hand auf sein Haus.
Was ist mit Mutter, fragt der Russe.
Mutter, sagt Matuschek wieder, entlang seiner Hand.
Also gut, sagt der Russe, ruft was ins Haus, zieht eine Jacke über und geht mit.
Das Schlafzimmer riecht nach ihr und etwas anderem. Matuschek macht erstmal Licht. Mutter liegt da und starrt an die Decke. Der Russe tut erstmal gar nichts, presst bloß die Hände zusammen und murmelt irgendwas. Dann geht er zum Fenster und öffnet es.
Bessere Luft, sagt er, auch für sie.
Er geht zum Bett und fährt ihr mit der Hand über die Augen. Die sind j