Mariannes Vater ist gestorben. Aus ihrer eigenen, erwachsenen Existenz kehrt die junge Geologin dahin zurück, wo Mutter und Vater noch leben, in ein altes Haus am See, tief in der mecklenburgischen Provinz. Nur ein paar Tage will sie bleiben, bis nach der Beerdigung. Doch was sie glaubte, lange hinter sich gelassen zu haben, holt sie wieder ein. Eine Familiengeschichte voller stummer Tragödien. Ihr Vater war ein gebrochener Tyrann, ihre Mutter duldete und schwieg. Schicht um Schicht trägt Marianne ab. Zum Vorschein kommt, wie Verletzungen durch Krieg und Unfreiheit persönliche Schicksale prägen. Kerstin Preiwuß lässt dabei nicht der Bitterkeit das letzte Wort. Mit großem Verständnis für das menschliche Drama erzählt sie von Verletzungen, die Generationen überdauern. Ein Debüt wie lange nicht - sprachmächtig, klug und mit nachhallenden Bildern.

Kerstin Preiwuß, geboren 1980 in Lübz (Mecklenburg), lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in Leipzig. 2006 debütierte sie mit dem Gedichtband 'Nachricht von neuen Sternen'. 2008 erhielt sie das Hermann-Lenz-Stipendium. 2012 erschien ihr zweiter Gedichtband 'Rede', der von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in die Liste der Lyrikempfehlungen des Jahres aufgenommen wurde. Zuletzt erhielt sie den Mondseer Lyrikpreis und im September 2018 den Eichendorff-Literaturpreis. Im Berlin Verlag erschienen ihr vielbeachtetes Romandebüt 'Restwärme' (2014), der Lyrikband 'Gespür für Licht' (2016) sowie ihren zweiter Roman 'Nach Onkalo' (2017), der für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Kerstin Preiwuß ist Mitglied des P.E.N..

Vorwort
Ein Romandebüt, beeindruckend wie lange nicht

Autorentext

Kerstin Preiwuß, geboren 1980 in Lübz (Mecklenburg), lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in Leipzig. 2006 debütierte sie mit dem Gedichtband "Nachricht von neuen Sternen". 2008 erhielt sie das Hermann-Lenz-Stipendium. 2012 erschien ihr zweiter Gedichtband "Rede", der von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in die Liste der Lyrikempfehlungen des Jahres aufgenommen wurde. Zuletzt erhielt sie den Mondseer Lyrikpreis und im September 2018 den Eichendorff-Literaturpreis. Im Berlin Verlag erschienen ihr vielbeachtetes Romandebüt "Restwärme" (2014), der Lyrikband "Gespür für Licht" (2016) sowie ihren zweiter Roman "Nach Onkalo" (2017), der für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Kerstin Preiwuß ist Mitglied des P.E.N..



Leseprobe

Der Flug war ohne Zwischenfälle verlaufen. Sie hatte Lufthansa gebucht, obwohl die teurer waren, weil noch nie eine Maschine der Lufthansa abgestürzt war. Neben ihr saß ein Elternpaar mit Baby, und kein Flugzeug, in dem ein Baby mitflog, würde abstürzen, so etwas passierte einfach nicht. Das Kleine wurde abwechselnd von Vater und Mutter auf den Arm genommen, je nachdem, zu wem es sich drehte. Dabei brabbelte es vor sich hin. Es hatte die ganze Startphase über geschrien, bis seine wenigen Haare nass am Kopf klebten, sich durchgebogen und immer wieder zurückgeworfen, sodass seine Eltern es kaum halten konnten. Die Ohren, sagte seine Mutter entschuldigend zu ihr, es tut ihm in den Ohren weh.

Sie konnte das Baby verstehen, denn obwohl es während des Flugs keine Turbulenzen gegeben hatte, war sie nassgeschwitzt. Der Schweiß war ihr ausgebrochen, nachdem die Flugbegleiterin zwei junge Männer in der Reihe hinter ihr gebeten hatte, sich leiser zu unterhalten, sie würden die anderen Passagiere stören. Die beiden warteten, bis die Frau weitergegangen war, dann fuhren sie lautstark mit ihrer Unterhaltung über Filme fort, in denen Flugzeuge abstürzten. Sie drehte sich um und starrte die Männer an, aber es änderte nichts, die beiden animierten sich gegenseitig mit Begeisterungslauten zu immer neuen Details. Lautlos wünschte sie ihnen Impotenz wegen zu hoher Strahlenbelastung und drehte sich wieder zurück. Mit der Wut kam der Schweiß, er nässte bereits unter ihren Achseln, es juckte, als würden kleine Nadeln von innen durch die Haut stoßen. Um sich vom Kratzen abzuhalten, presste sie die Hände gegen die Oberschenkel. Es kam vor, dass sie allergisch auf ihren eigenen Schweiß reagierte, selten zwar, aber es war schon passiert, in jedem Fall machte es ihr das Leben nicht einfacher, bei Vorstellungsgesprächen etwa oder bei Verabredungen. Sie hatte darum alle erdenklichen Entspannungsübungen gelernt und war mit Bachblüten, Yoga und autogenem Training vertraut. Die Kombination von Bachblütentropfen und autogenem Training half normalerweise gut, nur beim Fliegen versagte jedes Mittel.

Sie befahl sich, an etwas anderes zu denken. Mutter hatte sie noch am späten Abend angerufen. In ihrer Stimme hatte ein Unterton gelegen, der sie, obwohl sie schon im Bett lag, schlagartig munter machte. Mutter rief sonst nie an. Sie hatte die Bettdecke beiseitegeschoben, war mit dem Telefon ins Bad gegangen und hatte sich auf die Toilette gesetzt. Dort war es am kühlsten. Das Gespräch war kurz. Sie sagte, sie werde kommen, und legte auf, ohne die Antwort abzuwarten. Danach blieb sie sitzen, das Telefon in der Hand. Obwohl sie kaum etwas gesagt hatte, war sie erschöpft. Der Schweiß sammelte sich zwischen ihren Brüsten, aber das konnte auch an der hohen Luftfeuchtigkeit liegen, selbst in den Nächten kühlte die Luft hier nicht ab. Ihre Knappheit am Telefon war eine Flucht nach vorn gewesen, in ihrer Vorstellung behielt auch Mutter den Hörer in der Hand.

Die beiden Männer gingen noch bis kurz vor dem Landeanflug sämtliche ihnen bekannten Katastrophenfilme durch, erst dann wurden sie ruhiger. Sofort nachdem das Flugzeug still stand, brach in der Kabine eine geschäftige Hast aus, alle griffen nach ihren Taschen und drängten aus der Maschine. Sie stand auf, um die Familie mit dem Baby durchzulassen. Die Hose klebte ihr an den Beinen, und dort, wo sie gesessen hatte, glänzte das Leder. Unauffällig löste sie den Stoff von der Haut, nahm ihre Reisetasche und ging zum Ausstieg.

Die Wohnung machte einen vernünftigen Eindruck. Ein paar Teller mit angetrockneten Resten standen in der Küche neben benutzten Gläsern und einer halben Pizza, die eingesunken in ihrem Pappkarton lag, aber das war in O

Titel
Restwärme
Untertitel
Roman
EAN
9783827077509
ISBN
978-3-8270-7750-9
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
14.07.2014
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
1.28 MB
Anzahl Seiten
240
Jahr
2014
Untertitel
Deutsch
Features
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet