Die Religionslehrerin, Islamwissenschaftlerin und Autorin Lamya Kaddor wurde 1978 als Tochter syrischer Einwanderer in Ahlen/NRW geboren. Sie gründete 2010 den Liberal-Islamischen Bund e.V., der sich für ein progressives Islamverständnis einsetzt, und wurde zu einer der zehn einflussreichsten muslimischen Frauen Europas gewählt. Kaddor unterrichtete 13 Jahre selbst auch Islamischen Religionsunterricht in Dinslaken, bis sie sich im September 2016 wegen Morddrohungen nach dem Erscheinen ihres Buchs 'Die Zerreißprobe' vom Schuldienst beurlauben ließ. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt 'Islamfeindlichkeit im Jugendalter' an der Universität Duisburg-Essen. Zudem ist sie Kolumnistin u.a. bei t-online.de, dem Kölner Stadtanzeiger und dem Norddeutschen Rundfunk. Für ihre Arbeiten wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt in Duisburg.
Autorentext
Die Religionslehrerin, Islamwissenschaftlerin und Autorin Lamya Kaddor wurde 1978 als Tochter syrischer Einwanderer in Ahlen/NRW geboren. Sie gründete 2010 den Liberal-Islamischen Bund e.V., der sich für ein progressives Islamverständnis einsetzt, und wurde zu einer der zehn einflussreichsten muslimischen Frauen Europas gewählt. Kaddor unterrichtete 13 Jahre selbst auch Islamischen Religionsunterricht in Dinslaken, bis sie sich im September 2016 wegen Morddrohungen nach dem Erscheinen ihres Buchs "Die Zerreißprobe" vom Schuldienst beurlauben ließ. Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt "Islamfeindlichkeit im Jugendalter" an der Universität Duisburg-Essen. Zudem ist sie Kolumnistin u.a. bei t-online.de, dem Kölner Stadtanzeiger und dem Norddeutschen Rundfunk. Für ihre Arbeiten wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Sie lebt in Duisburg.
Leseprobe
2GRÜNDE UND ABGRÜNDE DER MIGRATION
Religion oder Tradition?
Was wissen muslimische Jugendliche in Deutschland über den Islam - und was glauben sie zu wissen? Da sich viele von ihnen nicht in erster Linie als Deutsche, Türken oder Araber verstehen, sondern als Muslime, könnte man annehmen, dass sie ein bestimmtes Verständnis vom Islam haben. In meiner zehnten Klasse der Glückauf-Hauptschule in Dinslaken habe ich im Islamkunde-Unterricht die fünfzehn- bis siebzehnjährigen Schüler einmal aufschreiben lassen, was den Islam für sie ausmacht.
Mustafa ist ein mittelmäßiger Schüler. Er spielt regelmäßig Fußball, kleidet sich sehr modern, ist extrem selbstbewusst und bezeichnet sich selbst als gläubig. Nach eigenen Angaben ordnet er sich der DITIB-Moscheegemeinde zu. Seine Antwort: «Man darf kein Schweinefleisch essen.»
Dennis, ebenfalls ein mittelmäßiger Schüler, verfolgt besonders aufmerksam den Islamkunde-Unterricht. Er ist ein sehr schüchterner junger Mann, der mit sechzehn Jahren zum Islam konvertierte. Er ist davon überzeugt, dass der Islam die richtige Religion für ihn ist. Nach eigenen Angaben besucht er regelmäßig die einzige arabische Moschee im Stadtteil. Er schreibt: «Das Wichtigste am Islam ist, dass man an die fünf Säulen glaubt und nur an einen Gott, nämlich Allah! Und der Koran ist wichtig.»
Melek bringt bei Klassenarbeiten meistens eine drei oder vier nach Hause. Am Unterricht allgemein zeigt sie nur geringes Interesse, was man jedoch im Hinblick auf den Islam nicht sagen kann. Sie bezeichnet sich als sehr gläubig, und das möchte sie mit ihrem Kopftuch auch zum Ausdruck bringen. In ihrem Auftreten ist sie zurückhaltend und beinahe krankhaft schüchtern. Nach eigenen Angaben ordnet sie sich der Süleymanci-Moscheegemeinde zu, die vom Dachverband Islamischer Kulturzentren organisiert wird. Sie antwortet: «Dass man an den Koran, an Gott und an die Propheten glaubt. Die letzte Religion ist der Islam.»
Belin ist eine sehr gute Schülerin, aber ebenfalls ein wenig schüchtern. Sie spielt in ihrer Freizeit Keyboard, trägt schicke, moderne Klamotten und bezeichnet sich als gläubig. Sie besucht keine Moscheegemeinde. Ihre Antwort: «Die Freiheit, die uns unser Glauben schenkt. Die Gleichheit zwischen Mann und Frau. Die Reinheit der Seele. Zu wissen, dass jeder gleich ist und das gleiche Recht hat. Die Geschichte zu kennen, die den Islam begleitet, um ihn besser zu verstehen und um zu wissen, was unser Glaube erlaubt und verbietet.»
Taylan ist extrem selbstbewusst. Er spielt Fußball im Verein, und auch in der Schule hält er gut mit. Bei ihm bilden Glaube und Modernität ebenfalls eine Einheit. Er ordnet sich einer alevitischen Gemeinde in Duisburg zu. Er schreibt: «Der Koran ist wichtig, weil darin alles steht, was man darf und was man nicht darf. Der Islam ist eine Chance, ins Paradies zu kommen.»
Kemal ist ein ruhiger, mittelmäßiger bis schlechter Schüler. Er bezeichnet sich als gläubig und ordnet sich der DITIB-Moscheegemeinde zu. Seine Antwort: «Das Wichtigste ist, dass wenn man Muslim ist und die Regeln im Koran beachtet, kommt man ins Paradies. Deswegen ist der Islam die Chance, ins Paradies zu kommen.»
Esma ist eine sehr gute Schülerin. Sie interessiert sich für Mode und gilt als sehr hilfsbereit und aufgeschlossen. Auch sie beschreibt sich als gläubig. Nach eigenen Angaben gehört sie zur DITIB-Moscheegemeinde, betont aber, dass sie nicht regelmäßig hingeht. Sie schreibt: «Für mich ist das Wichtigste am Islam der Koran. Weil, wenn der Koran nicht wäre, dann würden wir über den Islam bzw. über Muhammad (Prophet) nichts erfahren.»
Die Antworten der anderen Schülerinnen und Schüler sind ähnlich. Überrascht war ich über die Antworten nicht, denn ich hatte damit gerechnet, dass viele junge M