Laurent Binet wurde 1972 in Paris geboren und hat in Prag Geschichte studiert. Jetzt lebt er in Paris. Sein erster Roman «HHhH» gewann den Prix Goncourt du Premier Roman und wurde von der New York Times zu den 100 besten Büchern des Jahres 2012 gewählt. 'Die siebte Sprachfunktion' wurde mit dem Prix Interallié und dem Prix du Roman Fnac ausgezeichnet. Für 'Die Eroberung' erhielt Binet den Grand Prix de l'Académie française, der Roman war in Frankreich ein großer Bestseller und wird als Serie verfilmt. Kristian Wachinger, geboren 1956 in München, gelernter Verlagsbuchhändler, studierte Germanistik und Romanistik in München, Hamburg und in Frankreich. Er lebt und arbeitet als Lektor und Übersetzer in München.
Autorentext
Laurent Binet wurde 1972 in Paris geboren und hat in Prag Geschichte studiert. Jetzt lebt er in Paris. Sein erster Roman «HHhH» gewann den Prix Goncourt du Premier Roman und wurde von der New York Times zu den 100 besten Büchern des Jahres 2012 gewählt. "Die siebte Sprachfunktion" wurde mit dem Prix Interallié und dem Prix du Roman Fnac ausgezeichnet. Für "Die Eroberung" erhielt Binet den Grand Prix de l'Académie française, der Roman war in Frankreich ein großer Bestseller und wird als Serie verfilmt.Kristian Wachinger, geboren 1956 in München, gelernter Verlagsbuchhändler, studierte Germanistik und Romanistik in München, Hamburg und in Frankreich. Er lebt und arbeitet als Lektor und Übersetzer in München.
Leseprobe
6. Chichén Itzá (Mexiko)
Von Freydis ist zu berichten, dass sie sich nach Westen aufmachte und, zusammen mit ihrer Tochter Gudrid sowie ihrem Gemahl Thorvard und ihren Gefährten, an der Küste entlangfuhr. Sie fanden heraus, dass das Land, das sie hinter sich ließen, tatsächlich eine Insel war. Und dann wollte Freydis wieder einmal Kurs nach Süden nehmen. Doch ihre Gefährten weigerten sich, auch nur einen einzigen Tag länger zu segeln, solange sie nicht wussten, wohin die Reise ging. Da schlug ihnen Freydis vor, die Balken des Thor-Tempels ins Meer zu werfen, damit sie ihnen den Weg wiesen. Sie erklärte, man würde dort an Land gehen, wo Thor die Balken ans Ufer trieb. Kaum waren sie über Bord, wurden die Balken gegen das am weitesten westlich gelegene Land getrieben, und den Männern vom Schiff schien es, dass sie sich schneller als erwartet entfernten. Dann kam eine Brise auf; vor dem Kap einer Insel, die sie Fraueninsel nannten, setzten sie Segel gen Westen. Sie sichteten ein großes Land, das sie für das Festland hielten, und fuhren in einen Fjord. Sie sahen, dass er riesig war, breit und tief, und rundherum von hohen Bergen gesäumt. Freydis benannte diesen Fjord nach ihrer Tochter. Danach kundschafteten sie die Umgebung aus und entdeckten, dass Thor mit den Balken einen Felsvorsprung am nördlichen Ende einer Bucht getroffen hatte.
Es gab einen Fluss voller Untiefen, in den die Knorr aber wegen ihres geringen Tiefgangs einfahren konnte. Sie fuhren flussaufwärts und gelangten zu einem Dorf. Es war schon spät, die Sonne war kurz vor dem Untergehen, und so führte Freydis ihre Leute zu Sandbänken am gegenüberliegenden Ufer. Am nächsten Tag kamen mehrere Skrälinger mit Booten; sie brachten ihnen Hühner mit roten Köpfen und etwas Mais, kaum ausreichend, um ein paar Mann satt zu machen. Sie erklärten ihnen, sie sollten die Lebensmittel nehmen und verschwinden. Nun wollten die Grönländer aber gerne bleiben, schließlich hatte Thor ihnen diesen Ort gewiesen. So kamen die Skrälinger wieder, diesmal im Kriegsgewand, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, mit Lanzen und Schilden. Den Grönländern, die zu erschöpft waren, um zu fliehen, blieb nur die Wahl, zu kämpfen. Doch bald wurden sie von der Überzahl der Skrälinger überwältigt, die zehn von ihnen verletzten und sie alle gefangen nahmen.
Sie hätten sie wohl auf der Stelle dahingemetzelt, hätte sich nicht vor ihren Augen ein unerwartetes Schauspiel zugetragen. Einer der Grönländer, der beritten kämpfte, fiel vom Pferd, und das erschreckte die Skrälinger zutiefst, sie stießen wilde Schreie aus. Sie hatten tatsächlich gedacht, Ross und Reiter seien eins. Sie hielten Rat, und dann stellten sie die Grönländer in einer Reihe auf, fesselten sie aneinander und führten sie ab. Auch ihre Tiere und Waffen nahmen sie mit.
In drückender Hitze durchquerten sie Wälder und Sumpflandschaften. Die Luft war so feucht, dass sich die Nordmänner fühlten wie Schnee, der im Feuer schmilzt. Schließlich kamen sie in eine Stadt, wie sie noch keine zuvor gesehen hatten. Aus Stein gebaute Tempel gab es da und mehrgeschossige Pyramiden und Kriegerstandbilder, in einem Säulengang aufgereiht, sowie beeindruckende Skulpturen von Schlangenköpfen, die an den Bug von Knorren und Langschiffen erinnerten, außer, dass diese Schlangen gefiedert waren.
Sie wurden in eine H-förmige Arena geführt, wo gerade ein Ballspiel stattfand. Zwei Mannschaften standen einander gegenüber, jede auf ihrer Hälfte des Feldes, und spielten sich eine dicke Kugel zu, die aus einem eigenartigen Stoff bestand, zugleich weich und hart, und beim Abprallen sehr hoch sprang. Ziel des Spiels, soweit sie verstanden, war, diese Kugel ins gegnerische Gelände zu bugsieren und in der Luft zu halten, ohne dazu Hände oder Füße zu benutzen, sondern nur Hüften, Ellbogen, Knie, Gesäß und Unterarm. Wo die beiden Hälften des Feldes aneinanderstießen, schlossen sich zwei Steinring