Leila Aboulela, geboren 1964 in Kairo, wuchs als Tochter einer ägyptischen Mutter und eines sudanesischen Vaters in Khartum, Sudan, auf. Sie studierte Ökonomie und Statistik an der dortigen Universität sowie Ökonomie und Politikwissenschaft in London. Ab 1990 Dozentin und wissenschaftliche Assistentin in Aberdeen, Schottland. Nach Jahren in Jakarta, Dubai, Abu Dhabi und Doha lebt sie seit 2012 wieder in Aberdeen. Aboulela veröffentlichte fünf Romane, zwei Erzählungsbände und Hörspiele. Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in rund fünfzehn Sprachen übersetzt. www.leila-aboulela.com.
Autorentext
Leila Aboulela, geboren 1964 in Kairo, wuchs als Tochter einer ägyptischen Mutter und eines sudanesischen Vaters in Khartum, Sudan, auf. Sie studierte Ökonomie und Statistik an der dortigen Universität sowie Ökonomie und Politikwissenschaft in London. Ab 1990 Dozentin und wissenschaftliche Assistentin in Aberdeen, Schottland. Nach Jahren in Jakarta, Dubai, Abu Dhabi und Doha lebt sie seit 2012 wieder in Aberdeen. Aboulela veröffentlichte fünf Romane, zwei Erzählungsbände und Hörspiele. Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet und in rund fünfzehn Sprachen übersetzt. www.leila-aboulela.com.
Leseprobe
Eins
»Omar, bist du wach?« Ich schüttelte den Arm über seinem Gesicht, der seine Augen verdeckte.
»Hmm.«
»Steh auf.« Sein Zimmer war angenehm kühl, weil er die beste Klimaanlage im Haus hatte.
»Ich kann mich nicht rühren.« Er nahm den Arm vom Gesicht und blinzelte mich an. Ich wich mit dem Kopf zurück und rümpfte wegen seines Mundgeruchs die Nase.
»Wenn du nicht aufstehst, nehme ich das Auto.«
»Im Ernst, ich kann nicht ... ich kann mich nicht rühren.«
»Na, dann fahre ich ohne dich.« Ich ging an seinem Schrank und dem Michael-Jackson-Poster vorbei zum anderen Ende des Zimmers. Dort schaltete ich die Klimaanlage aus. Das Gerät verstummte geräuschvoll, und die Hitze lauerte draussen und wartete darauf, sich hereinzustürzen.
»Warum tust du mir das an?«
Ich lachte und sagte munter: »Das wird dich aus den Federn jagen.«
Unten trank ich Tee mit Baba. Er sah immer so gut aus am Morgen, frisch geduscht und nach Rasierwasser duftend.
»Wo ist dein Bruder?«, brummte er.
»Kommt wohl gleich runter«, sagte ich.
»Und wo ist deine Mutter?«
»Es ist Mittwoch, sie geht ins Fitnesstraining.« Es verblüffte mich stets, wie unbeirrbar Baba Mutters Terminkalender vergass und wie seine Augen hinter den Brillengläsern besorgt ins Leere blickten, wenn er von ihr sprach. Er hatte nach oben geheiratet, um voranzukommen. Seine Lebensgeschichte bestand darin, wie er es aus bescheidenen Verhältnissen zum Stabschef des Präsidenten brachte, nachdem er in eine alte, vermögende Familie eingeheiratet hatte. Ich hörte mir die Geschichte ungern an, sie verwirrte mich. Ich glich allzu sehr meiner Mutter.
»Verwöhnt«, murmelte er über seiner Teetasse, »ihr seid alle drei verwöhnt.«
»Ich werde es Mama sagen, dass du so über sie sprichst!«
Er verzog das Gesicht. »Sie ist zu nachsichtig mit deinem Bruder. Das ist nicht gut für ihn. Als ich so alt war wie er, schuftete ich Tag und Nacht; ich wollte es zu etwas bringen ...«
O nein, dachte ich, komm nicht wieder damit.
Man muss es mir angesehen haben, denn er sagte: »Natürlich willst du nicht auf mich hören ...«
»O Baba, tut mir leid.« Ich herzte ihn und küsste ihn auf die Wange. »Wunderbares Parfum.«
»Paco Rabanne.« Er lächelte.
Und ich lachte, denn keinem Vater in meinem Bekanntenkreis lag so viel an seiner Kleidung und an seinem Aussehen wie ihm.
»So, es wird Zeit«, sagte er, und das Ritual seines Abschieds begann. Der Boy erschien aus der Küche und trug seine Aktentasche zum Auto. Mûssa, der Fahrer, sprang aus dem Nichts herbei und öffnete ihm den Schlag.
Ich sah zu, wie sie davonfuhren, und dann stand nur noch der Toyota Corolla in der Auffahrt. Er hatte Mama gehört, aber letzten Monat hatten Omar und ich ihn geschenkt bekommen. Mama besass jetzt ein neues Auto, und Omar benutzte sein Motorrad nicht mehr.
Ich sah in den Garten hinaus und auf die Strasse dahinter. Es waren keine Fahrräder unterwegs. Ich hatte einen Verehrer, der unentwegt an unserem Haus vorbeiradelte. Manchmal kam er drei- oder viermal am Tag. Seine Augen waren hoffnungsfroh, dabei verachtete ich ihn. Aber blieb die Strasse wie jetzt leer, so war ich enttäuscht.
»Omar!«, rief ich von unten. Wir würden zu spät zur Vorlesung kommen. Zu Beginn des Semesters, unseres allerersten an der Universität, waren wir immer sehr rechtzeitig aufgebrochen. Doch sechs Wochen später entdeckten wir, dass es angesagt war, erst in letzter Minute aufzutauchen. Alle Dozenten erschienen zehn Minuten nach der vollen Stunde und kamen in die Säle vo