Nach dem Tod ihres Vaters verlässt die junge Alima ihr Heimatdorf, um mit einem Schiff auf die nächste größere Insel überzusetzen, wo ihre Tante, die sie noch nie zuvor gesehen hat, im Binnenland einen Bauernhof führt. Sie ist traurig, denn seit ihrer frühesten Kinfheit zieht sie das Meer magisch an. Doch da ihre Mutter vor einigen Jahren spurlos verschwand, bleibt ihr keine andere Möglichkeit. Doch bevor sie ihr Ziel erreicht, wird ihr Schiff von Nereids überfallen, einem geheimnisvollen Seevolk, das vor langer Zeit Krieg gegen die Menschen führte. Die Nereids verlangen von Alima mit ihnen zu kommen. Die Nereids bringen sie zu einer alten Frau auf einer einsamen Insel. Diese gibt ihr die Möglichkeit, in der Wasserwelt zu bestehen, sowie in einem Orakelspruch auch einen Hinweis, warum ihre Mutter vor all den Jahren verschwand. Alima soll nach der verlorenen Stadt unter den Wellen suchen. Anscheinend sind sowohl das Mädchen als auch seine Mutter tiefer mit dem Meer verbunden als sie bisher wusste. Fortan wird sie von schrecklichen Träumen geplagt, in denen sie einen mysteriösen Tempel unter den Wellen besucht, wo eine geheimnisvolle Macht auf sie zu warten scheint. Und am Ziel der Reise erfährt Alima, was vor all den Jahren wirklich passiert ist - und was ihre Mutter damit zu tun hatte. Ihr wird klar, was das Ziel ihres weiteren Lebens ist.
Leseprobe
Prolog Es war nicht immer dieselbe Erinnerung, die sie heimsuchte, doch alle hatten eins gemeinsam. Im Hintergrund war stets das Geräusch der Wellen zu hören, die sich an den Klippen brachen, ganz gleich, ob das Meer zu sehen war oder nicht. Manchmal konnte sie sogar das Meersalz auf ihrer Zunge schmecken, wie es ihren Rachen hinab lief, nur um sich dann, wenn sie aufwachte, mit den Tränen auf ihrer Wange zu vermischen, bis sie fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen. Diesmal sah sie jedoch nicht die kleine Fischerhütte, in der sie ihre Kindheit verbracht hatte. Keine löcherigen Netze hingen von der Decke und der Geruch von frisch gefangenem Fisch lag nicht dick und schwer in der Luft. Das waren Gedanken an eine glückliche Zeit, an die sie sich gerne erinnerte. Stattdessen fand sie sich an einem weißen Sandstrand wieder, den es so bezaubernd nur in ihrem Kopf gab. Mit Erinnerungen war das so eine Sache je weiter sie zurücklagen umso mehr verfälschte sie die Zeit. Für ein Kind ragte eine Felswand unendlich hoch in den Himmel, während ein Erwachsener sie in wenigen Stunden erklimmen konnte. Was das Auge wahrnahm, wurde ausgeschmückt mit der Phantasie eines Kindes, bis der Kontrast zwischen dem, was es zu sehen gab und den Geschehnissen, die sich auf dieser Kulisse abspielen sollten, so weit voneinander entfernt lagen wie Himmel und Erde. Genauso war es auch mit diesem Strand. Der feine weiße Sand klebte an ihren feuchten Füßen, als sie den Fußspuren ihrer Mutter folgte, die sich bald schon in den Wellen der Brandung verloren. Ich muss mich beeilen, sagte sie sich, damit wir wieder zu Hause sind, bevor Papa kommt. Sonst schimpft er mit uns, wenn er erfährt, dass wir alleine zum Meer gegangen sind. Das Abendessen köchelte bereits in einem schweren Eisentopf über dem Kochfeuer und sie hatte alle ihre Aufgaben erfüllt. Wenn sie jetzt noch ihre Mutter wiederfand, würde der Tag ein gutes Ende finden. Alima. Zuerst meinte sie, der Wind würde den Klang ihres Namens zu ihr tragen. Sie blieb stehen, schloss die Augen und genoss die salzige Brise auf ihrer Haut. Wenn der Wind zu einem sprach, sollte man zuhören, sagte ihr Papa immer und da er jeden Tag so viele Stunden auf dem Fischerboot verbrachte, musste er es wissen. Alima. Die Stimme klang diesmal näher. Alima blinzelte, wandte sich um und begegnete den seegrünen Augen, die sie nur zu gut kannte, denn sie sahen fast so aus, wie ihre eigenen. Mutter. Die Gestalt der Frau, die wenige Meter von ihr entfernt stand, glich der eines Geistes. Hoch gewachsen und dürr überragte sie die meisten Männer. Wer sich davon nicht abschrecken ließ, musste sich ihrer zumeist grimmigen Miene entgegenstellen. Es fiel ihr leichter, ihren Unmut kundzutun als ein lobendes Wort zu verlieren. Trotzdem galt sie unter den Leuten im Dorf als Schönheit. Ihre Haare schimmerten weiß, wie die einer alten Frau. Im Licht der untergehenden Sonne besaßen sie dieselbe Farbe wie ihre Augen. Zusammen mit ihrer blassen Haut wirkte sie in diesem Moment wie eine Statue, reglos und unbeugsam. Wäre Alima ihrem Papa auf diese Weise begegnet, wüsste sie, was sie zu tun hatte. Sie würde auf ihn zulaufen und ihre dünnen Ärmchen ausstrecken. Er wiederum würde lachen und sie hoch in die Luft werfen, nur um sie mit geschickten Händen wieder aufzufangen. Auch nach ihrem achten Sommer war Alima kleiner als alle anderen Kinder des Dorfes, obwohl ihre Eltern beide sehr groß waren. Es gab keinen Ort, an dem sie sich je sicherer gefühlt hatte als in den bärenstarken Armen ihres Papas. Mit ihrer Mutter war das nicht so einfach. Es gab Tage, da bekam Alima sie gar nicht zu Gesicht. Sie verschwand spurlos und tauchte abends wieder auf, müde und abgekämpft, obwohl sie nie verriet, wo sie hingegangen war. In letzter Zeit passierte das ziemlich häufig. Und wenn sie doch zu Hause war, wirkte sie abwesend, als ob lediglich ihr Körper da wäre, während ihr Geist an einem anderen, spannenderen Ort verweilte. Nur selten sprach sie direkt mit Alima. Meistens gab sie ihrer einzigen Tochter das Gefühl, als sei sie unsichtbar. Auch jetzt glitten die seegrünen Augen schnell vom Gesicht des Mädchens und wandten sich wieder den Wellen des Meeres zu, die sich sanft in der Brandung brachen. Bald schon würden sie nicht mehr so still angerauscht kommen, sondern sich auftürmen, bis der Sand komplett von der dunklen Flut verdeckt wurde. Wir sollten nach Hause gehen, schlug Alima vorsichtig vor. Der Sturm fängt bald an. Ihre Mutter drehte den Kopf in ihre Richtung, bis sie ihre Tochter aus den Augenwinkeln ansehen konnte. Du spürst ihn also auch, den Ruf des Meeres? Alima runzelte die Stirn. Was genau meinte sie damit? Ich weiß, dass bald ein Sturm kommt, auch wenn noch keine großen Wellen zu sehen sind, erklärte sie vorsichtig. Du spürst es auch, wenn an anderen Orten Stürme drohen, nicht wahr? Rätst du deinem Vater, wo er mit seinem Schiff hinfahren soll, um einen guten Fang zu machen oder Unruhen zu vermeiden? Spürst du, wenn das Meer sich regt und zürnt, wenn es sich ausruht oder zu lange verharrte? Etwas leiser fügte sie hinzu: Spricht es zu dir, bis du dich so sehr nach ihm verzehrst, bis du freiwillig in die Fluten waten und dich seiner Umarmung hingeben würdest, auch wenn es dein Ende bedeuten würde? Alima erschauderte und sie war sich nicht sicher, ob es nur an dem plötzlich auftretenden kalten Windstoß lag. Manchmal spielten sie und ihr Vater ein Spiel, wann immer er zu häufig vergeblich aufs Meer hinausfuhr und nach Fischen suchte. Dann tat sie so, als wäre sie der Kapitän seines Schiffes und er fragte sie, wo sie hinfahren würde, wenn sie es sich aussuchen konnte. Alima kannte alle wichtigen Sternzeichen und wie sie Seekarten richtig las. Schon jetzt wusste sie mehr über die Seefahrt als Kendrick, der fünf Jahre ältere Nachbarsjunge. Auch wenn der bereits mit seinem Vater zur See gefahren war, während sie selbst das noch nicht durfte. Meinte ihre Mutter das damit? Ich würde nie hinaus ins Meer gehen, erklärte Alima schließlich, als ihr keine bessere Antwort einfiel. Papa sagt, es ist zu gefährlich da zu schwimmen. Die ältere Frau seufzte tief und streckte eine blasse, feingliedrige Hand aus, um ihr damit über den Kopf zu streichen. Beinahe wäre das Mädchen zurückgeschreckt dies war die erste Berührung ihrer Mutter, an die sie sich erinnern konnte. Du verstehst es nicht, sagte sie und ihre Stimme klang gleichzeitig resigniert und erleichtert. Vielleicht spricht das Meer nur manchmal zu dir, oder du weißt nicht, wie du ihm richtig zuhören sollst. Es ist wohl besser so. Ich wünsche dir, dass du niemals verstehst, wo…
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Prolog Es war nicht immer dieselbe Erinnerung, die sie heimsuchte, doch alle hatten eins gemeinsam. Im Hintergrund war stets das Geräusch der Wellen zu hören, die sich an den Klippen brachen, ganz gleich, ob das Meer zu sehen war oder nicht. Manchmal konnte sie sogar das Meersalz auf ihrer Zunge schmecken, wie es ihren Rachen hinab lief, nur um sich dann, wenn sie aufwachte, mit den Tränen auf ihrer Wange zu vermischen, bis sie fürchtete, keine Luft mehr zu bekommen. Diesmal sah sie jedoch nicht die kleine Fischerhütte, in der sie ihre Kindheit verbracht hatte. Keine löcherigen Netze hingen von der Decke und der Geruch von frisch gefangenem Fisch lag nicht dick und schwer in der Luft. Das waren Gedanken an eine glückliche Zeit, an die sie sich gerne erinnerte. Stattdessen fand sie sich an einem weißen Sandstrand wieder, den es so bezaubernd nur in ihrem Kopf gab. Mit Erinnerungen war das so eine Sache je weiter sie zurücklagen umso mehr verfälschte sie die Zeit. Für ein Kind ragte eine Felswand unendlich hoch in den Himmel, während ein Erwachsener sie in wenigen Stunden erklimmen konnte. Was das Auge wahrnahm, wurde ausgeschmückt mit der Phantasie eines Kindes, bis der Kontrast zwischen dem, was es zu sehen gab und den Geschehnissen, die sich auf dieser Kulisse abspielen sollten, so weit voneinander entfernt lagen wie Himmel und Erde. Genauso war es auch mit diesem Strand. Der feine weiße Sand klebte an ihren feuchten Füßen, als sie den Fußspuren ihrer Mutter folgte, die sich bald schon in den Wellen der Brandung verloren. Ich muss mich beeilen, sagte sie sich, damit wir wieder zu Hause sind, bevor Papa kommt. Sonst schimpft er mit uns, wenn er erfährt, dass wir alleine zum Meer gegangen sind. Das Abendessen köchelte bereits in einem schweren Eisentopf über dem Kochfeuer und sie hatte alle ihre Aufgaben erfüllt. Wenn sie jetzt noch ihre Mutter wiederfand, würde der Tag ein gutes Ende finden. Alima. Zuerst meinte sie, der Wind würde den Klang ihres Namens zu ihr tragen. Sie blieb stehen, schloss die Augen und genoss die salzige Brise auf ihrer Haut. Wenn der Wind zu einem sprach, sollte man zuhören, sagte ihr Papa immer und da er jeden Tag so viele Stunden auf dem Fischerboot verbrachte, musste er es wissen. Alima. Die Stimme klang diesmal näher. Alima blinzelte, wandte sich um und begegnete den seegrünen Augen, die sie nur zu gut kannte, denn sie sahen fast so aus, wie ihre eigenen. Mutter. Die Gestalt der Frau, die wenige Meter von ihr entfernt stand, glich der eines Geistes. Hoch gewachsen und dürr überragte sie die meisten Männer. Wer sich davon nicht abschrecken ließ, musste sich ihrer zumeist grimmigen Miene entgegenstellen. Es fiel ihr leichter, ihren Unmut kundzutun als ein lobendes Wort zu verlieren. Trotzdem galt sie unter den Leuten im Dorf als Schönheit. Ihre Haare schimmerten weiß, wie die einer alten Frau. Im Licht der untergehenden Sonne besaßen sie dieselbe Farbe wie ihre Augen. Zusammen mit ihrer blassen Haut wirkte sie in diesem Moment wie eine Statue, reglos und unbeugsam. Wäre Alima ihrem Papa auf diese Weise begegnet, wüsste sie, was sie zu tun hatte. Sie würde auf ihn zulaufen und ihre dünnen Ärmchen ausstrecken. Er wiederum würde lachen und sie hoch in die Luft werfen, nur um sie mit geschickten Händen wieder aufzufangen. Auch nach ihrem achten Sommer war Alima kleiner als alle anderen Kinder des Dorfes, obwohl ihre Eltern beide sehr groß waren. Es gab keinen Ort, an dem sie sich je sicherer gefühlt hatte als in den bärenstarken Armen ihres Papas. Mit ihrer Mutter war das nicht so einfach. Es gab Tage, da bekam Alima sie gar nicht zu Gesicht. Sie verschwand spurlos und tauchte abends wieder auf, müde und abgekämpft, obwohl sie nie verriet, wo sie hingegangen war. In letzter Zeit passierte das ziemlich häufig. Und wenn sie doch zu Hause war, wirkte sie abwesend, als ob lediglich ihr Körper da wäre, während ihr Geist an einem anderen, spannenderen Ort verweilte. Nur selten sprach sie direkt mit Alima. Meistens gab sie ihrer einzigen Tochter das Gefühl, als sei sie unsichtbar. Auch jetzt glitten die seegrünen Augen schnell vom Gesicht des Mädchens und wandten sich wieder den Wellen des Meeres zu, die sich sanft in der Brandung brachen. Bald schon würden sie nicht mehr so still angerauscht kommen, sondern sich auftürmen, bis der Sand komplett von der dunklen Flut verdeckt wurde. Wir sollten nach Hause gehen, schlug Alima vorsichtig vor. Der Sturm fängt bald an. Ihre Mutter drehte den Kopf in ihre Richtung, bis sie ihre Tochter aus den Augenwinkeln ansehen konnte. Du spürst ihn also auch, den Ruf des Meeres? Alima runzelte die Stirn. Was genau meinte sie damit? Ich weiß, dass bald ein Sturm kommt, auch wenn noch keine großen Wellen zu sehen sind, erklärte sie vorsichtig. Du spürst es auch, wenn an anderen Orten Stürme drohen, nicht wahr? Rätst du deinem Vater, wo er mit seinem Schiff hinfahren soll, um einen guten Fang zu machen oder Unruhen zu vermeiden? Spürst du, wenn das Meer sich regt und zürnt, wenn es sich ausruht oder zu lange verharrte? Etwas leiser fügte sie hinzu: Spricht es zu dir, bis du dich so sehr nach ihm verzehrst, bis du freiwillig in die Fluten waten und dich seiner Umarmung hingeben würdest, auch wenn es dein Ende bedeuten würde? Alima erschauderte und sie war sich nicht sicher, ob es nur an dem plötzlich auftretenden kalten Windstoß lag. Manchmal spielten sie und ihr Vater ein Spiel, wann immer er zu häufig vergeblich aufs Meer hinausfuhr und nach Fischen suchte. Dann tat sie so, als wäre sie der Kapitän seines Schiffes und er fragte sie, wo sie hinfahren würde, wenn sie es sich aussuchen konnte. Alima kannte alle wichtigen Sternzeichen und wie sie Seekarten richtig las. Schon jetzt wusste sie mehr über die Seefahrt als Kendrick, der fünf Jahre ältere Nachbarsjunge. Auch wenn der bereits mit seinem Vater zur See gefahren war, während sie selbst das noch nicht durfte. Meinte ihre Mutter das damit? Ich würde nie hinaus ins Meer gehen, erklärte Alima schließlich, als ihr keine bessere Antwort einfiel. Papa sagt, es ist zu gefährlich da zu schwimmen. Die ältere Frau seufzte tief und streckte eine blasse, feingliedrige Hand aus, um ihr damit über den Kopf zu streichen. Beinahe wäre das Mädchen zurückgeschreckt dies war die erste Berührung ihrer Mutter, an die sie sich erinnern konnte. Du verstehst es nicht, sagte sie und ihre Stimme klang gleichzeitig resigniert und erleichtert. Vielleicht spricht das Meer nur manchmal zu dir, oder du weißt nicht, wie du ihm richtig zuhören sollst. Es ist wohl besser so. Ich wünsche dir, dass du niemals verstehst, wo…
Titel
Nereids Zehnt
Autor
EAN
9783961272730
Format
E-Book (pdf)
Altersempfehlung
ab 14 Jahre
Hersteller
Veröffentlichung
01.03.2022
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
0.96 MB
Anzahl Seiten
100
Auflage
1. Auflage
Lesemotiv
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