Science Fiction experimentiert in Film und Literatur mit Möglichkeiten gegenwärtigen und zukünftigen Menschseins in einem Umfang, wie das kein anderes Genre zu leisten vermag. Die Grenzen zwischen Kitsch und Kunst zerfließen in der Science Fiction (so wie überall), gut postmodern eben. Das Buch nähert sich Science Fiction in Reflexionen über Fiktionalität und auch über Naturwissenschaften, insofern sie die narrative Struktur von Texten performativ bestimmen. Und wenn Nietzsche den Tod Gottes proklamierte, genauer: den Tod eines bestimmten christlich-europäischen Gottesbildes, dann versteht Markus Pohlmeyer Science Fiction inzwischen als das religiöseste aller Genres, ohne dass sie zwangsläufig irgendwie dogmatisch oder konfessionell aufgeladen sein müsste. Nachdem Kirchen und Fundamentalisten aller Religionen machtverblendet, machtverführt über Jahrhunderte Gott (auch intellektuell) verfolgt, verbrannt und vernichtet haben, wird Science Fiction zu einer literarischen Auferstehungsmaschine des Göttlichen und der Götter: nicht mehr die eine, einzige Heilsgeschichte, sondern Tausende, Abertausende von Geschichten eines Was-wäre-Wenn. Und natürlich dürfen hier nicht fehlen: '2001', 'Alien', 'Star Wars', 'Battlestar Galactica', Ted Chiang, ein dänischer Film und Donald Duck!
Markus Pohlmeyer studierte Latein, Griechisch, Deutsch und Philosophie in Würzburg, Tübingen und London. Lizenziat und Promotion in katholischer Theologie an der Universität Münster zu Johann Gottfried Herder und zur Geschichtenhermeneutik von Wilhelm Schapp. Lehrtätigkeit an einem Gymnasium in Schleswig Holstein. Seit 2007 Lehrtätigkeit an der Europa-Universität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: Religionsphilosophie (Deutscher Idealismus und S. Kierkegaard), Kunst und Religion, Science Fiction. Zahlreiche ethnologische und poetische Veröffentlichungen. Markus Pohlmeyer schreibt regelmäßig für CulturMag.
Autorentext
Markus Pohlmeyer studierte Latein, Griechisch, Deutsch und Philosophie in Würzburg, Tübingen und London. Lizenziat und Promotion in katholischer Theologie an der Universität Münster zu Johann Gottfried Herder und zur Geschichtenhermeneutik von Wilhelm Schapp. Lehrtätigkeit an einem Gymnasium in Schleswig Holstein. Seit 2007 Lehrtätigkeit an der Europa-Universität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: Religionsphilosophie (Deutscher Idealismus und S. Kierkegaard), Kunst und Religion, Science Fiction. Zahlreiche ethnologische und poetische Veröffentlichungen. Markus Pohlmeyer schreibt regelmäßig für CulturMag.
Leseprobe
Nach dem Tod der Mythen: SF als Auferstehung der Mythen
Warum sterben Mythen? Monotheistische Religionen neigen von ihrer inneren Struktur her zu einem Mythenproduktionsstopp. (Ihre eigenen Mythen sollen rationalisiert werden und somit ihre Herkunft aus dem Mythos hinter sich lassen.) Die institutionsstabilisierende eigene, einzig wahre Heilsgeschichte muss dogmatisiert werden (d.h. multiple Sinnpotentiale werden auf eine gültige Lesart reduziert und bisweilen auch sozial legitimiert und sanktioniert, wobei solche Sanktionen wiederum rückwirkend die Funktion einer Stabilisierung dieser Lesart ausüben). Odo Marquards Aufsatz "Lob des Polytheismus" (in vielen Hinsichten ergänzungs- und kritikbedürftig) fokussiert das Verhältnis von Polytheismus und Monotheismus im Rahmen einer Geschichtenhermeneutik, die auch deutliche Spuren von Wilhelm Schapp aufweist:
"Im Monotheismus negiert der eine Gott - eben durch seine Einzigkeit - die vielen Götter. Damit liquidiert er zugleich die vielen Geschichten dieser vielen Götter zugunsten der einzigen Geschichte, die nottut: der Heilsgeschichte; er entmythologisiert die Welt. Das geschieht epochal im Monotheismus der Bibel und des Christentums." [113]
Und: "Das Ende des Polytheismus, der Monotheismus, entmythologisiert - im Effekt - die Welt zur Geschichtslosigkeit." [114]
Genauer gesagt handelt es sich aber dabei keinesfalls um eine Archäologie einer durch Mythen verdeckten ratio , die man nur aufklärerisch freilegen müsse, sondern nur wiederum um die Generierung eines Monomythos mit ersehntem nachhaltigen Alleinstellungsmerkmal im Konkurrenzkampf mit anderen Religionen. Auf eine genuine Verstrickung von Politik und Mythos weist Marquardt hin: der aufklärerische Mythos des Fortschritts führe zur Freiheit.
"Der moderne - profane, innerweltliche - Aggregatzustand des Polytheismus ist die politische Gewaltenteilung: sie ist aufgeklärter - säkularisierter - Polytheismus. Sie beginnt nicht erst bei Montesquieu, bei Locke oder Aristoteles, sie beginnt schon im Polytheismus: als Gewaltenteilung im Absoluten durch Pluralismus der Götter." [115]
Marquardt formuliert hier geradeheraus eine politische Theologie. Man muss aber zugeben, dass eine Gewaltenteilung eher ein Projekt der Moderne war, denn ob ein polytheistisches Imperium Romanum, das übrigens bis 313 in mehreren Wellen die monotheistischen Christen verfolgt hat, einer Gewaltenteilung offen war, bleibt zu bezweifeln. Die mittlerweile sehr große Weite von Mythos-Definitionen bietet immer Anlass für Projektionen. So avanciert für Odo Marquardt die Polymythie zum Garanten der Freiheit, bei Darko Suvin liest sich das dagegen anders:
"Denn der Mythos ist das Wiederum-Tun, die ewige Wiederkehr und damit das Gegenteil schöpferischer menschlicher Freiheit. Es ist wahr, daß, wenn man von den mehr oder weniger übernatürlichen Erzählungen [...] absieht, 90% der übrigen SF Handlungsstrukturen aufweist, die aus der Geschichte in den Wildwestroman, einfach aneinandergereihte sensationsgierige Abenteuer oder Wiederkauungen der Mythographie entfliehen." [116]
In Hinblick auf Platons Werke, des Lehrers von Aristoteles, hat Christian Schäfer herausgearbeitet,
"[...] dass mythos und logos (so eine gängige terminologische Opposition) dem Begriffsgehalt ursprünglich beide das 'vernünftig darstellende Reden' bedeuten, der eine eben vor allem in Erzählform, der andere in argumentativ nachvollziehbarer Form [...]." [117]
Die sogenannten Kunstmythen Platons, z.B. das berühmte Höhlengleichnis , führen den argumentativen Diskurs in poetischer Gestalt fort, der oft eine Recodierung z.B. durch Sokrates erfordert, also ein Zurückholen in den Logos . [118] Die Definition von Mythos versc
Markus Pohlmeyer studierte Latein, Griechisch, Deutsch und Philosophie in Würzburg, Tübingen und London. Lizenziat und Promotion in katholischer Theologie an der Universität Münster zu Johann Gottfried Herder und zur Geschichtenhermeneutik von Wilhelm Schapp. Lehrtätigkeit an einem Gymnasium in Schleswig Holstein. Seit 2007 Lehrtätigkeit an der Europa-Universität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: Religionsphilosophie (Deutscher Idealismus und S. Kierkegaard), Kunst und Religion, Science Fiction. Zahlreiche ethnologische und poetische Veröffentlichungen. Markus Pohlmeyer schreibt regelmäßig für CulturMag.
Autorentext
Markus Pohlmeyer studierte Latein, Griechisch, Deutsch und Philosophie in Würzburg, Tübingen und London. Lizenziat und Promotion in katholischer Theologie an der Universität Münster zu Johann Gottfried Herder und zur Geschichtenhermeneutik von Wilhelm Schapp. Lehrtätigkeit an einem Gymnasium in Schleswig Holstein. Seit 2007 Lehrtätigkeit an der Europa-Universität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: Religionsphilosophie (Deutscher Idealismus und S. Kierkegaard), Kunst und Religion, Science Fiction. Zahlreiche ethnologische und poetische Veröffentlichungen. Markus Pohlmeyer schreibt regelmäßig für CulturMag.
Leseprobe
Nach dem Tod der Mythen: SF als Auferstehung der Mythen
Warum sterben Mythen? Monotheistische Religionen neigen von ihrer inneren Struktur her zu einem Mythenproduktionsstopp. (Ihre eigenen Mythen sollen rationalisiert werden und somit ihre Herkunft aus dem Mythos hinter sich lassen.) Die institutionsstabilisierende eigene, einzig wahre Heilsgeschichte muss dogmatisiert werden (d.h. multiple Sinnpotentiale werden auf eine gültige Lesart reduziert und bisweilen auch sozial legitimiert und sanktioniert, wobei solche Sanktionen wiederum rückwirkend die Funktion einer Stabilisierung dieser Lesart ausüben). Odo Marquards Aufsatz "Lob des Polytheismus" (in vielen Hinsichten ergänzungs- und kritikbedürftig) fokussiert das Verhältnis von Polytheismus und Monotheismus im Rahmen einer Geschichtenhermeneutik, die auch deutliche Spuren von Wilhelm Schapp aufweist:
"Im Monotheismus negiert der eine Gott - eben durch seine Einzigkeit - die vielen Götter. Damit liquidiert er zugleich die vielen Geschichten dieser vielen Götter zugunsten der einzigen Geschichte, die nottut: der Heilsgeschichte; er entmythologisiert die Welt. Das geschieht epochal im Monotheismus der Bibel und des Christentums." [113]
Und: "Das Ende des Polytheismus, der Monotheismus, entmythologisiert - im Effekt - die Welt zur Geschichtslosigkeit." [114]
Genauer gesagt handelt es sich aber dabei keinesfalls um eine Archäologie einer durch Mythen verdeckten ratio , die man nur aufklärerisch freilegen müsse, sondern nur wiederum um die Generierung eines Monomythos mit ersehntem nachhaltigen Alleinstellungsmerkmal im Konkurrenzkampf mit anderen Religionen. Auf eine genuine Verstrickung von Politik und Mythos weist Marquardt hin: der aufklärerische Mythos des Fortschritts führe zur Freiheit.
"Der moderne - profane, innerweltliche - Aggregatzustand des Polytheismus ist die politische Gewaltenteilung: sie ist aufgeklärter - säkularisierter - Polytheismus. Sie beginnt nicht erst bei Montesquieu, bei Locke oder Aristoteles, sie beginnt schon im Polytheismus: als Gewaltenteilung im Absoluten durch Pluralismus der Götter." [115]
Marquardt formuliert hier geradeheraus eine politische Theologie. Man muss aber zugeben, dass eine Gewaltenteilung eher ein Projekt der Moderne war, denn ob ein polytheistisches Imperium Romanum, das übrigens bis 313 in mehreren Wellen die monotheistischen Christen verfolgt hat, einer Gewaltenteilung offen war, bleibt zu bezweifeln. Die mittlerweile sehr große Weite von Mythos-Definitionen bietet immer Anlass für Projektionen. So avanciert für Odo Marquardt die Polymythie zum Garanten der Freiheit, bei Darko Suvin liest sich das dagegen anders:
"Denn der Mythos ist das Wiederum-Tun, die ewige Wiederkehr und damit das Gegenteil schöpferischer menschlicher Freiheit. Es ist wahr, daß, wenn man von den mehr oder weniger übernatürlichen Erzählungen [...] absieht, 90% der übrigen SF Handlungsstrukturen aufweist, die aus der Geschichte in den Wildwestroman, einfach aneinandergereihte sensationsgierige Abenteuer oder Wiederkauungen der Mythographie entfliehen." [116]
In Hinblick auf Platons Werke, des Lehrers von Aristoteles, hat Christian Schäfer herausgearbeitet,
"[...] dass mythos und logos (so eine gängige terminologische Opposition) dem Begriffsgehalt ursprünglich beide das 'vernünftig darstellende Reden' bedeuten, der eine eben vor allem in Erzählform, der andere in argumentativ nachvollziehbarer Form [...]." [117]
Die sogenannten Kunstmythen Platons, z.B. das berühmte Höhlengleichnis , führen den argumentativen Diskurs in poetischer Gestalt fort, der oft eine Recodierung z.B. durch Sokrates erfordert, also ein Zurückholen in den Logos . [118] Die Definition von Mythos versc
Titel
Science Fiction - Filmisch-literarisches Exil des Göttlichen. Reflexionen.
Untertitel
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet
Autor
EAN
9783959880169
ISBN
978-3-95988-016-9
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
08.12.2015
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
0.71 MB
Anzahl Seiten
140
Jahr
2015
Untertitel
Deutsch
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