In Wenn Schatten bluten schreibt Autor Martin F. Niessl über seine Arbeit in der Sicherheitsbranche. Die Ereignisse basieren auf wahren Begebenheiten, mussten aufgrund von Verschwiegenheitserklärungen abgeändert werden. Der Roman erzählt die tragische Liebesgeschichte zwischen Richard und Simone, mit Rückblenden zu verschiedenen Stationen in Richards Leben: Mit siebzehn hat er als Türsteher in einer Disco angefangen, hat später Security-Jobs bei Konzerten und Veranstaltungen übernommen, als Personenschützer im In- und Ausland gearbeitet.

Autorentext
Martin Franz Niessl wurde 1973 in Wien geboren. Schon mit siebzehn Jahren arbeitete er als Türsteher in Bars und Diskotheken. Nach seiner Zeit beim Bundesheer war er jahrelang im Bereich Sicherheitsdienst und Personenschutz tätig. Mitte dreißig machte er eine Ausbildung zum diplomierten Body- und Vitaltrainer, um seiner Sportleidenschaft als Fitnesstrainer nachgehen zu können.

Leseprobe
Geistig und körperlich entkräftet sitze ich da, hadere mit den Dingen, welche sich die letzten knapp zwei Jahre abgespielt haben. Ich habe gerade mit meiner großen Liebe Schluss gemacht. Ihr alle Sachen von meiner Wohnung, welche in unmittelbarer Nähe zum Burgenland liegt, nach Wien gebracht. So wie sie es wollte. Hat sie zumindest behauptet. Offenbar hat sie es sich anders überlegt, denn sie hat mir meine Sachen nicht ausgehändigt. Wie ein pubertierendes Mädchen stand sie da, in ihrer Wohnungstür, und verweigerte immer wieder die Herausgabe meiner Kleidung, Kosmetika und anderer Dinge. An meine Wohnungsschlüssel dachte ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Ich wollte nur sichergehen, dass ich alles aus meiner Wohnung mitgenommen hatte, um ihr keinen Anlass zu geben, nochmals bei mir aufzutauchen. Die letzten zwei Jahre waren hart, der Psychoterror, den sie betrieben hat, war nicht mehr zu ertragen. Täglich überflutete sie mich mit tausenden Nachrichten über die unterschiedlichsten sozialen Medien. Und das zehrt mittlerweile gewaltig an meinen Nerven. Die gesamte Situation ging mir durch und durch und lähmte mich mittlerweile. Irgendwie kam sie immer irgendwo durch. Da nützte kein Sperren oder Blockieren, Nummern und E-Mail-Adresse ändern, Facebook- und Instagram-Accounts löschen. Wie eine Furie konnte sie sein, ohne Vorwarnung, ohne jeden Anlass. Mehr als zwanzig Jahre Therapie, einschließlich der Einnahme von Psychopharmaka, zeigten keine Wirkung. Keine Stabilität, keine Verbesserung ihrer emotionalen Unzulänglichkeiten. Es klopft an der Tür. Das kann nur sie sein. Ich gehe zur Tür. Ja!?, frage ich. Ich hab deine Sachen, sagt sie. Ihre Stimme klingt irgendwie unsicher und zugleich entschlossen. Es klingt so, als ob zwei Personen zur gleichen Zeit diese Worte aussprechen. Ein Krankheitsbild, vor dem sie sich am meisten fürchtete, die Schizophrenie, gestand sie mir schon zu Beginn unserer Beziehung. Sie erzählte mir von all ihren Leiden und Lastern. Sie machte kein Geheimnis daraus. Oft fragte ich sie nach einer Therapiesitzung, was der Psychologe gesagt hatte, doch sie erzählte es mir nie. Nach so einer Sitzung war sie meist ein oder zwei Tage wie paralysiert. Trotzdem liebte ich sie von Tag zu Tag mehr. Ihr Kern und ihre Schale waren für mich einfach vollkommen. Das, was dazwischen lag, die eigentliche Frucht, war das Problem. Es braucht nur eine Stelle leichte Fäule zu haben und man verdirbt sich den Magen. Auf Dauer wurde das sehr anstrengend. Das erinnerte mich an einen Spruch: Was mich nährt, zerstört mich. Ihr fehlte jegliches Selbstwertgefühl und sie war schwer depressiv, was sie durch Aggressionen überspielte, so konnte sie andere beherrschen und sich gleichzeitig in eine alternative Realität versetzen. Das schützte sie aber nicht auf Dauer, vor allem, weil sie oft nicht mehr wusste, was Wahrheit war und was Einbildung. Ich hatte schon viel geschafft, um ihr zu helfen, sich zu festigen und ihre Mitte zu finden. Liebe kann viel bewegen, jedoch nicht auf Dauer und nicht alles. Ihre ganzen Merkmale, die sie als Makel betrachtete. Ich liebte jedes Einzelne, das machte sie so einzigartig. Ihre Augen, die zwar groß waren, aber eine leicht asiatische Form aufwiesen, der kleine Zeh mit einem viel zu kleinen Zehennagel, bei dem sie sich immer schwertat, ihn zu lackieren, die vielen winzigen, süßen Blutschwämmchen auf ihrer linken Pobacke, der leichte Spalt zwischen ihren Schneidezähnen. Und, ich bildete es mir nicht ein, ihr Schweiß roch nach Honig. Jeden Morgen sah ich sie an wie am ersten Tag, wie im ersten Moment, als ich sie gesehen hatte. Jeden Abend sah ich sie sehnsüchtig an, als würde ich sie zum letzten Mal sehen. Ihr fiel das manchmal auf und sie fragte mich dann: Du liebst mich wirklich, oder? Na was glaubst du denn?, erwiderte ich. Kurz überlege ich, ob ich die Tür öffnen soll. Entschließe mich dazu, es zu tun, nur einen Spalt breit. Ich ergreife die Tragetasche und möchte die Tür wieder schließen. Doch sie ist zu schnell und blockiert sie mit ihrem Fuß. Sie hat ein leichtes Spiel in meiner momentanen Verfassung, mein Reaktionsvermögen und meine Wahrnehmung sind am Boden. Sie drückt mit aller Kraft dagegen, versucht in die Wohnung zu gelangen, ich habe wirklich Mühe standzuhalten. Ich habe ihr viel beigebracht, sie sehr gut trainiert, vom ersten Tag an, an dem ich sie getroffen habe, habe ich sie unter meine Fittiche genommen und trainiert. So wird das nichts, denke ich, so bekomme ich die Tür nie zu. Ich öffne sie und strecke gleichzeitig meine Hände aus, nehme sie an den Schultern, um sie wieder hinauszuschieben, vorsichtig, denn ich will sie auf keinen Fall verletzen. So rasch ich kann, gehe ich wieder zurück in die Wohnung, doch sie ist schnell und geht mir nach. Das Spiel wiederholt sich ein paar Mal, währenddessen beginne ich, sie zu beschimpfen und verlange, dass sie endlich verschwinden soll. Ich entscheide mich, sie weiter vom Eingang weg, den langen Gang hinunter zu schieben, um mehr Zeit für den Rückzug zu haben. Ich schiebe sie ungefähr fünf Meter weit den Gang entlang, sage ihr, sie soll zum Teufel gehen. Plötzlich lässt ihr Widerstand nach, ich nehme meine Hände von ihren Schultern, so wie ich es gelernt habe. Kein Anfassen an empfindlichen Stellen oder Weichteilen, kein Angriff meinerseits, keine Tätlichkeiten. Also verhalte ich mich neutral. Ihr Blick wird plötzlich ausdruckslos, sie greift in ihre Jackentasche und streckt ihren Arm in meine Richtung. Ein flüssiger Strahl trifft mein Gesicht Was tut sie da, denke ich. Ich fühle nichts, ich reagiere überhaupt nicht, ich stehe reglos da und lasse es geschehen, dass sie mir, ohne abzusetzen, immer noch Flüssigkeit in mein Gesicht sprüht. Pfefferspray brennt nicht sofort, aber mittlerweile müsste schon die halbe Dose in meinem Gesicht gelandet sein. Ich habe nicht zum ersten Mal Pfefferspray abbekommen, ganz zu schweigen von Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichsten Waffen und unzähligen Schlägen und Tritten. Schließlich war es ja jahrzehntelang mein Beruf gewesen. Das kann nicht sein, dass meint sie nicht ernst, ist das wirklich Pfefferspray, den sie mir da regelrecht zu fressen gibt? O.K.! Jetzt beginnt es zu brennen, es ist wirklich dieser Scheiß-Spray. Ich gehe auf sie zu und greife nach dem Spray. Sie ist eingeschüchtert, weil ich nicht so reagiere, wie sie es offensichtlich erwartet hat. In die Wohnung zurückweiche oder gar zu Boden gehe. Sie flüchtet den Gang entlang, ich laufe ihr nach, zwar mit getrübter Sicht, doch meine Augen schließen sich nicht ganz. Jahrelanges Training, in Gefahrensituationen über den erträglichen Schmerz hinauszugehen, macht sich bezahlt. Ich laufe ihr über die bogenförmigen Stiegen Richtung Haustor nach. Meine Augen tränen, meine Sicht ist extrem eingeschränkt. Doch ich kenne meine Umgebung und so bin ich trotz dieses Handicaps ziemlich schnell unterwegs. Und plötzlich trifft mich ein Schlag, längs, mitten ins Gesicht. Ich bin kurz benommen und frage mich, was das war. I…
Titel
Wenn Schatten bluten
EAN
9783903370234
Format
E-Book (epub)
Altersempfehlung
ab 16 Jahre
Veröffentlichung
20.01.2024
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
1.11 MB
Anzahl Seiten
304
Größe
H19mm
Lesemotiv