Mathias Müller, geboren 1959 in Kirchheim am Neckar, hat über 30 Jahre als Lektor, Redakteur und Journalist für Buch-, Zeitschriften- und Tageszeitungsverlage gearbeitet. Danach wechselte er in die Öffentlichkeitsarbeit für eine internationale Kooperation. Ein Sach- und Kochbuch über Bier wurde 1993 unter seinem Pseudonym Ernst Friedrich veröffentlicht.
Autorentext
Mathias Müller:Mathias Müller, geboren 1959 in Kirchheim am Neckar, hat über 30 Jahre als Lektor, Redakteur und Journalist für Buch-, Zeitschriften- und Tageszeitungsverlage gearbeitet. Danach wechselte er in die Öffentlichkeitsarbeit für eine internationale Kooperation. Ein Sach- und Kochbuch über Bier wurde 1993 unter seinem Pseudonym Ernst Friedrich veröffentlicht.
Leseprobe
Die Fremde
"Bonan tagon. Mia nomo estas Vigdis. _u vi estas Adrian Schleyer?"1)
Adrian Schlayer starrte die Fremde an, die vor seiner Tür stand. Er verstand kein Wort außer seinem Namen. War das Spanisch ... oder Portugiesisch, was sie sprach?
Ihr Aussehen war nicht südländisch. Sie sah aus wie eine nordische Schönheitskönigin. Hellblondes, glattes Haar bis über die Schultern. Augen blau und klar wie das Eiswasser der Fjorde, die Adrian in Norwegen gesehen hatte. Eine gerade kräftige Nase zeigte, dass alles an ihr echt war. Der Schwung ihrer Oberlippe ließ ihre weißen Zähne sehen und gab ihrem Gesicht zusammen mit der vollen Unterlippe und dem angehobenen Kinn einen verächtlichen Ausdruck. Sie war sich ihrer Wirkung auf Männer bewusst.
Das Blut schoss Adrian vom Gehirn in den Unterleib. Bewegung hilft manchmal gegen eine Erektion. Adrian öffnete die Tür und hinkte zu dem langen, schmalen Holztisch, der in der Mitte seines Lofts stand. Er setzte sich auf einen der Stühle und während er seine verschwitzten Sportsachen von dem Stuhl daneben auf den Boden schob, winkte er ihr herein und sagte: "Yes, I am Adrian Schlayer. Come in."
Er war nicht in der Verfassung, eine Schönheitskönigin zu empfangen. Seine Schulter war grün und blau. Auf seinem Rücken zogen tiefe Kratzer ihre blutigen Spuren. In seinen Haaren klebte getrocknetes Blut. Sein einziges Kleidungsstück war eine verdreckte, zerrissene Radlerhose.
Er roch nach Schweiß und Dreck. Er war im Degerlocher Wald im Stuttgarter Süden Downhill gefahren. Und er war außer sich vor Wut. Wer in Stuttgart Downhill fährt, hat keine Freunde bei den Naturschützern. Die hetzen die Bullen auf uns. Warten am Ende der Strecke. Beschimpfen uns Radfahrer als Umweltschädlinge. Ich schlag dem Nächsten die Zähne aus. Einer hat mir vor einer Woche den Reifen zerstochen. Der Mistkerl in der Zahnradbahn. Jetzt ziehen grüne Talibans Drahtfallen in die Strecke. Ist neu, ist heimtückisch. Ist feig. ... Wie das ganze Umweltpack.
Adrian hatte den Draht nicht gesehen, der etwa einen halben Meter über dem Boden gezogen gewesen war. So war Adrian dagegen gefahren und hatte einen Salto über den Lenker geschlagen. Er war den Hang hinunter geschlittert, hatte sich hinabgekugelt, sich Arme und Beine aufgerissen, hatte sich überschlagen, versucht auf die Beine zu kommen, hatte sich nochmals überschlagen, war schneller und schneller geworden. Dann hatte eine alte Eiche seiner Talfahrt ein schnelles und hartes Ende bereitet. Sein Helm hatte ihn vor noch größeren Schäden bewahrt.
Adrian war wieder hochgeklettert und hatte den Draht mit bloßen Händen abgemacht, um dann mit seinem verbogenen Rad nach Hause zu laufen. Es war heiß gewesen und er hatte Durst gehabt. Er hatte sich auf ein Bier und eine Dusche gefreut. Aber dann hatte es geklingelt. Er hatte gedacht, es wäre die Polizei. Denn natürlich hatte er mit seinen Freunden telefoniert. Und die hatten bestimmt nicht lange gefackelt mit dem nächsten Umweltschützer, dem sie habhaft werden konnten.
Aber nun stand eine Schönheitskönigin vor seiner Tür. ... Und das beruhigte ihn ... ein wenig.
Die Königin hatte sich nicht bewegt. Sie sagte: "Tio estis angla. Mi rifuzas la anglan. Mi parolas Esperanton kaj se vi estas Adrian Schleyer, vi anka_ komprenos tion."2)
"Angla", das sollte wohl "Englisch" bedeuten. Ihrer Körpersprache nach und so verächtlich, wie sie dieses Wort hervorzischte, war Adrian sofort klar, dass die Fremde für Englisch nicht viel übrig hatte. Gab es das heutzutage noch? Jemand, der kein Englisch sprach? Na dann eben Französisch: "Qui, je suis Adrian Schlayer. Entrez," und mit einem kurzen Lächeln: "s'il vous plaît."
Immerhin. Jetzt lächelte sie. Adrian grinste. Er fühlte sich im Vorteil. Er war zweisprachig aufgewachsen. Mama aus dem Norden Frankreichs, Papa aus dem Süden Deutschlands. Er, Adrian,