Bjarne Jacobsen diskutiert die Frage, in welcher Denktradition der junge Max Weber steht. Anhand direkter Quellenbezüge sowie auf der Basis der vergleichenden Betrachtungsweise zentraler Argumentationsstrukturen Webers mit dem Werk des "frühen Neukantianers" Friedrich Albert Lange wird deutlich, daß sich dessen philosophische und sozialwissenschaftliche Anstöße als grundlegend erweisen. Die Zuordnung Webers zur Wertphilosophie H. Rickerts rückt dadurch in den Hintergrund. Erst im Licht der Reflexionen F. A. Langes gewinnen Max Webers Studien zur Antike, seine Definition des Idealtypus, aber auch sein Kausalitätsverständis besondere Klarheit und Tiefenschärfe. Es wird demonstriert, daß die weit geteilte Auffassung, daß wir mit Weber nie fertig sein werden, dem Erlangen einer privilegierten Position zuzuschreiben ist: oberhalb der sterilen Alternative "Hermeneutik oder Positivismus". Schon Lange bestand auf der Gleichrangigkeit der Wertsphäre mit der naturwissen-schaftlich beschriebenen "Welt". Aber erst Weber durchleuchtete, die Konsequenzen der nie zu ver-söhnenden Spannung zwischen diesen Sphären, in der Wissenschaft wie in der Ethik. Dabei ist er zu Einsichten vorgestoßen, die an Aktualität kaum eingebüßt haben bzw. von modischen Theorieentwürfen einfach ignoriert werden.
Autorentext
Dr. Bjarne Jacobsen promovierte am Lehrstuhl für Soziologie der Universität Aarhus, Dänemark. Er ist heute als Forschungsmitarbeiter in Århus tätig.
Inhalt
1. Max Weber und Friedrich Albert Lange.- 2. Linksliberale Sozialpolitiker im Umkreis der von Heinrich Braun herausgegebenen Zeitschriften, 18881895.- 3. Das nationale Interesse turmhoch über allem anderen.- 4. Sozialer Kampf im Interesse der Nation Das Lehrstück Rom.- 5. Der Kampf um das Dasein Der Kampf um die bevorzugte Stellung.- 6. Zwischen Schopenhauers Pessimismus und Spencers Optimismus: Die absolute Wirklichkeit/Wert-Dichotomie setzt sich durch.- 7. Die moderne sozial-philosophische Betrachtungsweise und ihr okzidentaler Gegenstand.- 8. Rationale Erkenntnis des Irrationalen, oder wenn Werkzeug und Stoff nicht kompatibel sind Der Idealtypus.- 9. Webers Lösung: vollkontrollierte Schattenspiele.- a. Die Brutalität der Wirklichkeit Kausalität als einzig gültige Ordnungsmöglichkeit.- b. Objektkonstitution durch Wertbeziehung.- c. Kausalität als Wirken.- d. Webers Begriff der Handlung und deren mögliches Verstehen.- e. Kausalität und Teleologie.- f. Rettungsinseln der Rationalität.- g. Unwirkliche Kausalzusammenhänge.- h. Kausalität in der Diskussion der Statistiker.- i. Über den Zusammenhang von Erklärungswerkzeug und jeweiligem Zweck der Erklärungsaktivitäten.- j. Objektive Möglichkeit und adäquate Verursachung bei Weber.- k. Webers Aktualität gegenüber dem Antisubjektivismus von heute.- 10. Weder Genealogie der Moral noch Primat der praktischen Vernunft: Webers Persönlichkeits Lehre.- a. Das Dreieck Lange Nietzsche Weber.- b. Von Nietzsches Persönlichkeits-Auffassung zu Weber.- c. Fichte und die Persönlichkeit.- d. Webers Auseinandersetzung mit Struve.- e. Das puritanische Erbe im bürgerlichen Individualismus.- f. AsozialeIndividualisierung: Nietzsche, Carlyle, Kierkegaard.- g. Simmels Suche nach Persönlichkeit: Von der Auflösung des Individuums zu einer erneuten Synthese.- h. Webers Lehre: Fichteanische Wertindividualität?.- i. Askese und Werk.- j. Mensch sein unter modernen Bedingungen: Individualisierte Theodizee.- 11. Webers Konsequenzen aus der Zwei-Welten Lehre: Veraltet oder aktuell?.- (Anhang:) Pëtr B. Struve: Worin denn besteht der wahre Nationalismus?.