Sie fahren zusammen mit dem Fahrrad durch die Stadt im Sommer, sie stellen die großen Fragen und finden kleine Antworten, sie baden im Wannsee und spielen Rollenspiele. Das Mädchen ist ein bisschen verliebt in Goran und träumt vom Küssen. Sie lädt ihn zum Essen ein, und dann kommt Goran in Begleitung von Magda. Wenn zwei sich treffen, ist das oft eine komische Sache - merkwürdig, verkrampft, unsicher das eine Mal, locker, selbstbewusst, geradeheraus das andere. In Schluss machen auf einer Insel durchleuchtet Nikola Richter das Zueinanderkommen zweier Menschen, meist Mann und Frau, meist in der Phase des Kennenlernens. Oft scheitert die Begegnung daran, dass am Anfang alles so unsicher ist und dass beide so viel erhoffen und erdenken. Zwanzig instabile Beziehungskonstrukte von der Meisterin der Beobachtung, erfolgreich erprobt auf Berliner Lesebühnen.

Nikola Richter, geboren 1976 in Bremen. Lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Anglistik und Komparatistik in Tübingen, Norwich und Berlin. 2006 erschien ihr viel beachtetes Buch 'Die Lebenspraktikanten'. 2013 gründete sie den Verlag mikrotext und wurde 2014 für ihre Arbeit mit dem Young Excellence Award des Börsenblatts ausgezeichnet.

Vorwort
Zwanzig ziemlich sachliche Großstadtromanzen.

Autorentext
Nikola Richter, geboren 1976 in Bremen. Lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Anglistik und Komparatistik in Tübingen, Norwich und Berlin. 2006 erschien ihr viel beachtetes Buch "Die Lebenspraktikanten". 2013 gründete sie den Verlag mikrotext und wurde 2014 für ihre Arbeit mit dem Young Excellence Award des Börsenblatts ausgezeichnet.

Leseprobe
Prophylaxe

Da beschlagen schon wieder die Scheiben, und der Blick nach draußen wird weich, aber betrübt. Kemper sagt mir immer, trockne die Wäsche nicht in deinem Zimmer, die Verdunstungskälte, du weißt doch. Bei fünf Kilo Wäsche musst du zehn Prophylaxeorangen essen. Aber ich zieh mir dicke Socken an, atme die feuche Luft, stelle die Heizung auf Stufe 6, das geht schon. Kemper droht, wenn du gewaschen hast, besuch ich dich nicht. Das hast du davon. Wir sind doch nicht bei Spitzwegs armem Poeten. Obwohl mir das lieb wäre. Spitzwegstadt. Oder auch Greifswald. CDF-Stadt. Ach, alle diese Malermänner. Ich würde über den hanseatischen Marktplatz schlendern, das Meeresrauschen käme zerstückelt über die gebeugten Häuser durch die engen Gassen, kleine Kiefern duften, Sand in meinen Augen und Ohren, diese Böen, Salz macht Hunger, ich würde Aal kaufen. Fetten Aal, und den mit der Hand essen. Und Eldena besuchen, in der Ruine picknicken. Diesmal nicht Aal, sondern Stullen. Und Schmand mit Glumse. Aber Kemper ist total dagegen. Bist du bescheuert, sagt er, und schmollt. Du hast sowieso einen Waschtick.

Wenn der mich früher erlebt hätte. Früher habe ich Leinen durch die Räume gespannt und alles darauf gehängt. Wenn ich in mein Zimmer wollte, musste ich Hemden, Socken und Unterhosen zur Seite schieben. Es roch intensiv nach Parfüm. Ariel war mein Lieblingsduft, auch wenn ich mich jetzt als Markenschwein oute. Ich könnte auch sagen: Spee war mein Lieblingsduft. Damit würde ich mich als Ost-Markenschwein outen. Damals jedenfalls kam diese Jeanswerbung im Fernsehen, die im Waschsalon spielt, wo der Typ seine Hose auszieht, um sie mal so richtig durchzuschleudern, was die Hose natürlich aushält, sogar noch besser macht. Der Typ steht also eine Weile vor der sich drehenden Waschtrommel, ohne Hose, und sieht wahnsinnig sexy aus. Anfang der Neunziger kaufte deshalb jeder diese Röhrenhosen. Auch ich hatte welche, die knapp unter der Hüfte saßen und einen Knackarsch machten. Damals kannte ich Kemper noch nicht. Kemperschnemper, du flotter Tramper. Damals stand ich auf dunkelhaarige Männer, denn ich hatte Alexis Sorbas gesehen, mich in seinen Tanz verliebt und eine Fixierung für Griechen entwickelt.

Ein Problem mit den Röhrenhosen waren die engen Taschen. Eine Freundin sagte, die seien gerade groß genug, um darin ein Kondom aufzubewahren. Ein anderes Problem war, dass der dünne Stoff am Hintern nach kurzer Zeit aufscheuerte. Man sagte mir, dass Jeansmaterial ein wilder Cowboystoff sei, also riss- und beißfest, doch diese Tradition wurde von der Produktionsabteilung nicht beachtet. Man musste sich bunte Flicken kaufen, welche zum Aufbügeln, die sich nach einer Wäsche wieder ablösten, und sagen: Das ist cool jetzt. Als ich meinen ersten griechischen Mann kennen lernte, war das mit meiner 1A-Röhrenhose mit aufgetrennter Naht ohne Flicken. Und das mit den Kondomen in den Taschen hatte ich noch nicht ausprobiert.

Kemper winkt jetzt ab und sagt: Schon x-mal gehört. Hast du nichts Neues? Alte Kamellen. Kemper hat ein gutes Gedächtnis und hört nicht gerne zu. Also sage ich: Nimm dir den Föhn und trockne meine Wäsche, dann hörst du mich nicht und machst dich gleichzeitig nützlich. Kemper findet das nicht lustig. Heute macht er echt Schwierigkeiten. Er ist bestimmt neidisch auf die Griechen. Dabei hat er auch schöne Haare, jedenfalls für einen Nichtgriechen. Ich fahre ihm über den Kopf und wuschele ihn ein bisschen durch. Das gefällt ihm meistens. Dann ist er erst mal ruhig. Heute aber nicht. War ja klar. Heute ist er bockig. Wolln wir nicht schwimmen gehen? Oder Tischtennis spielen? Oder mal wieder Halma? Kemper hat immer tolle Ideen. Mit Kemper verbringt man super Nachmittage. Ich schick ihn los, und er holt uns was vom Chinesen. Dann kann ich kurz die Griechengeschichte zu Ende erzählen.

Mir fällt ein, ich könnte die alte Jeans anziehen, um mich wieder als Griechenschlampe zu fühlen, jetzt, wo Kemper weg ist

Titel
Schluss machen auf einer Insel
Untertitel
Erzählungen
EAN
9783827074614
ISBN
978-3-8270-7461-4
Format
E-Book (epub)
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
06.12.2010
Digitaler Kopierschutz
Wasserzeichen
Dateigrösse
0.92 MB
Anzahl Seiten
192
Jahr
2010
Untertitel
Deutsch
Features
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet