Jahrmarkt in der Stadt Band 2 Die Wahrheit über Jürgen Ein Roman von Nikolaus Klammer Der Mensch dürstet nach dem Bösen, aber er vermag es nicht, ihm seine Seele zu verschreiben. Deshalb schlägt er krumme Wege ein: Die Neurose, das Gelächter oder die Kunst. Eine Stadt Mitte der 90er Jahre in der bayerischen Provinz: Die Bilder des Malers Jonas Nix sind eine künstlerische Sensation und Tagesgespräch bei den Kulturschaffenden. Doch liegt der Erfolg wirklich in der Qualität seiner düsteren, blutigen Werke begründet oder eher an seinen verwandtschaftlichen Beziehungen zu einem Stadtrat und den oberen Zehntausend? Der junge Journalist und Maler Georg Hauser, der mit dem schwierigen Künstler in die Schule gegangen ist, beginnt nachzuforschen und Nix und die Personen in seinem Umfeld zu befragen. Hauser wird dadurch in ein Familiendrama verwickelt, das bald auch sein Leben bedroht und ihn vor die existenzielle Frage stellt: Wie weit würdest du für deine Kunst gehen?

Nikolaus Klammer erblickte am 10. Februar 1963 das Licht dieser besten aller Welten. Er übt den Beruf des Geschichtenerzählers aus, seit er sprechen kann - also schon eine lange, lange Zeit. Er lebt und schreibt im verträumten Diedorf bei Augsburg, ist seit über dreißig Jahren glücklich verheiratet und hat zwei inzwischen erwachsene Söhne, die längst auf eigenen Füßen stehen.

Jahrmarkt in der Stadt
Band 2

Die Wahrheit über Jürgen
Ein Roman von Nikolaus Klammer

Der Mensch dürstet nach dem Bösen, aber er vermag es nicht,
ihm seine Seele zu verschreiben.
Deshalb schlägt er krumme Wege ein:
Die Neurose, das Gelächter oder die Kunst.

Eine Stadt Mitte der 90er Jahre in der bayerischen Provinz: Die Bilder des Malers Jonas Nix sind eine künstlerische Sensation und Tagesgespräch bei den Kulturschaffenden. Doch liegt der Erfolg wirklich in der Qualität seiner düsteren, blutigen Werke begründet oder eher an seinen verwandtschaftlichen Beziehungen zu einem Stadtrat und den oberen Zehntausend?

Der junge Journalist und Maler Georg Hauser, der mit dem schwierigen Künstler in die Schule gegangen ist, beginnt nachzuforschen und Nix und die Personen in seinem Umfeld zu befragen. Hauser wird dadurch in ein Familiendrama verwickelt, das bald auch sein Leben bedroht und ihn vor die existenzielle Frage stellt:

Wie weit würdest du für deine Kunst gehen?



Autorentext

Geschichtenerzähler



Leseprobe

Ich lernte Jürgen in der Fachoberschule kennen. Wir besuchten sie vor sieben Jahren gleichzeitig. Da er, wenn ich richtig informiert bin, auf Drängen seiner Eltern ausgerechnet den von ihm ungeliebten Wirtschaftszweig besuchte, gingen wir nicht in die gleiche Klasse. Wir wären wahrscheinlich nie aneinandergeraten, wenn nicht durch einen Zufall jemand bei einer Gemäldeausstellung der Kunstkurse unserer Schule seine Arbeit neben die meine gehängt hätte.

Jürgens Werk war eine Collage aus Zeitungsartikeln über die Wiedervereinigung und dicken, schwarzen Kreidestrichen, die ein grob skizziertes Pissoir andeuteten. Darüber war quer in Kreuzform wie mit einer Wasserpistole etwas unangenehm Bräunlich-Rotes gespritzt, das ich zuerst für Farbe hielt. Es handelte sich um ordinäres, eingetrocknetes Ketschup, wie ich bei genauerer Untersuchung erleichtert feststellen konnte. Es klebte auf dem Bild und roch sogar schwach nach Essig und faulen Tomaten. Dennoch war diese Collage gelungen, das musste ich ein wenig neidisch anerkennen. Soweit ich es damals überhaupt beurteilen konnte, war das eine ordentliche Arbeit. Sie war handwerklich überzeugend, das Werk hatte Tiefe und Inspiration. Es erregte sofort heftige Debatten bei den Besuchern der Ausstellung, die das Gemälde daneben - meine bunte, expressionistisch ausgeführte Fabrik, auf die ich sehr stolz war -, mit einem Achselzucken abtaten. Und wirklich, neben diesem durchaus als Geniestreich zu bezeichnenden, im Wortsinn originellen Werk war mein Bild unbedeutend, epigonenhaft und dilettantisch.

Wie bei allen anderen Ausstellungsstücken klebte auch neben dem von Jürgen ein Foto, das den Künstler zeigte. Ich sah mir das Bild an, um mir das Gesicht einzuprägen, denn es war wahrscheinlich eines, das man sich merken musste. Wie ich bald darauf Gelegenheit hatte festzustellen, glich ihm dieses Foto nur in groben Zügen, es war offensichtlich eine etwas ältere und auch noch unscharfe Aufnahme.

Während ich durch die Aula schlenderte und mir die anderen Kunstwerke ansah, wurde ich auf eine Versammlung von vielleicht acht oder neun jungen Männern aufmerksam. Sie hatten sich am anderen Ende des Raumes um ein etwas größenwahnsinniges, abstraktes Triptychon eines Freundes von mir versammelt. Es waren wohl Schüler der Fachoberschule, weil ich ein paar der Gesichter kannte, aber ich hatte noch mit keinem von ihnen gesprochen. Ich trat unauffällig näher, um ihre Meinungen zu erlauschen. Es gab unter ihnen allerdings nur eine einzige. Denn in der Mitte der Gruppe, direkt vor dem Bild, stand Jürgen in der Rolle des gnadenlosen Kritikers. Jetzt fiel mir auf, dass mir sein Charakterkopf schon häufig begegnet war. Ich kannte seine eindrucksvolle Erscheinung nicht nur vom Pausenhof und von einem Informatikkurs, den er allerdings regelmäßig schwänzte. Jeder hat das schon einmal erlebt: Er war für mich ein "öffentliches" Gesicht, das ich immer wieder einmal gesehen hatte: Selbstredend auf dem Pausenhof, aber auch auf der Straße, im Bus, in einem Lokal, bei einer Vernissage. Es war schon ein seltsames Spiel des Zufalls, durch das wir uns nicht schon früher kennengelernt hatten. Dies hier ist schließlich eine sehr übersichtliche Stadt. Wie sich später herausstellte, besaßen wir sogar ein paar gemeinsame Bekannte.

Ich fand es irritierend, nun zum ersten Mal Jürgens tiefe Stimme zu hören. Bis jetzt war er für mich ein Gesicht in der Masse der alltäglichen Begegnungen gewesen. Es fällt mir schwer, ihn so zu beschreiben, wie ich ihn damals während der Ausstellung sah; als ich ihn zum ersten Mal wirklich aufmerksam musterte. Einiges mag sich jetzt in meine Beschreibung von ihm mischen, das mir damals noch nicht in den Sinn kam. Ich weiß aber noch, wie unproportioniert er auf mich wirkte, er war ein statisch nicht ganz ausgewogenes Bauwerk. In seinem schmalen, langgezogenen und hageren Schädel, der so aussah, als habe er ihn einem

Titel
Die Wahrheit über Jürgen
Untertitel
Ein Knstlerroman
EAN
9783746778181
Format
E-Book (epub)
Altersempfehlung
1 bis 18 Jahre
Hersteller
Herausgeber
Veröffentlichung
08.11.2018
Digitaler Kopierschutz
frei
Dateigrösse
1.91 MB
Anzahl Seiten
229
Features
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet
Auflage
9. Aufl.